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# taz.de -- Schiedsrichterinnen am Mikrofon: Geht’s raus und pfeift’s
> Bei dieser WM müssen Schiedsrichterinnen Entscheidungen via Videobeweis
> über das Stadionmikrofon erklären. Ein Unsinn! Der Nutzen tendiert gegen
> null.
Bild: Die Schiedsrichterin Hyeonjeong Oh hat beim Spiel Spanien gegen Sambia me…
Vor knapp 120 Jahren schuf die Fifa den Fußball nach ihrem Bilde. Doch
relativ spät, weit hundert Jahre später, stellten deren männlichen Schöpfer
fest, dass der Fußball noch nicht vollkommen war, und sie erfanden den
Videobeweis. Perfekt war der Fußball jedoch immer noch nicht. Das Gemurre
nach jedem Spiel war nicht minder groß als [1][vor der Erschaffung des
Videobeweises.] So gab die Fifa im Jahre 2023 den Schiedsrichterinnen und
Schiedsrichtern eine Stimme. Von nun an sollten sie dem Volk in den Stadien
und an den TV-Bildschirmen verkünden, welche Ergebnisse die Studien der
Bilder des Videobeweises erbracht hatten.
Zuvor sollten die Unparteiischen immer möglichst unscheinbar sein, dass
nach einem Spiel keiner ein schlechtes Zeugnis über sie ablegte. Doch am
20. Juli beim Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft zwischen Neuseeland und
Norwegen sprach die japanische Schiedsrichterin die ersten Worte ins
Stadionmikrofon: „After on-field review the decision is: penalty!“
Die Frage ist, was soll der Mist? Es ginge um eine bessere Transparenz und
Verständlichkeit der Entscheidungen, erklärte Fifa-[2][Schiedsrichterchef
Pierluigi Collina] vor der WM.
Doch wozu braucht es die Stimme der Unparteiischen, wenn diese
kommunizierten Entscheidungen auch für die TV-Kommentatoren sichtbar auf
der Anzeigetafel im Stadion angezeigt werden? Und wenn es um mehr
Verständlichkeit geht, warum nur für diejenigen, die des Englischen mächtig
sind und dabei auch noch den Spezialwortschatz des Schiedsrichterwesens
drauf haben? Auf der Videowand könnten hingegen Erklärungen in den Sprachen
der beteiligten Teams übermittelt werden.
## Schiedsrichter als Entertainer?
Und müsste die Fifa konsequenterweise nicht auch die unverständlichen
Entscheidungen der Referees erklärbar machen, die nicht vom Videobeweis
überprüft werden? So gesehen wäre es am besten, die Schiedsrichter
kommentieren über Lautsprechanlage gleich ihr ganzes Spiel.
Warum rückt die Fifa nun ohne Not die Performance ihrer wichtigsten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Mikrofon ins Zentrum der
Aufmerksamkeit? Der südkoreanischen Schiedsrichterin Hyeonjeong Oh war es
am Mittwoch bei der Partie zwischen Sambia und Spanien (0:5) sichtbar
unangenehm, als sie in der 86. Minute schon zum zweiten Mal in Auckland ans
Mikrofon zitiert wurde. Erneut musste sie erklären, dass das
Schiedsrichterinnenteam auf dem Feld fälschlicherweise auf Abseits
entschieden hatte und der Treffer von Spanien doch zählte.
Erst untergräbt die Fifa durch den Videobeweis die Autorität der
Unparteiischen und lässt diese nun noch antanzen, um allen zu erklären, was
sie falsch oder eventuell doch mal richtig gesehen haben.
Vielleicht möchte die Fifa auf dem Spielfeld der Weltstars ein wenig an der
Rollenbesetzung rütteln. An den eigenen Angestellten im schwarzen Trikot
soll niemand mehr vorbeisehen können. Wäre ja gelacht, wenn sich mit der
Zeit nicht auch ein paar Entertainer hervortun, die das Publikum mit ihrer
Präsenz und starken Stimme verzücken, die sich als gewandte Conférenciers
des Fußballspektakels hervortun. Fehleinschätzungen machen sie mit einem
smarten Augenzwinkern vergessen. Über Pannen im Videokeller helfen sie mit
spontanem Witz.
Diejenigen, die gut pfeifen, aber vor dem Mikrofon das Stottern anfangen
oder denen die Stimme bricht, müssen sich nicht grämen. Es können
schließlich nicht alle bei einer Weltmeisterschaft berücksichtigt werden.
In den unteren Ligen [3][gibt es weiter großen Schiedsrichterbedarf.]
Die Idee der Fifa, ihre Mitarbeiterinnen bei dieser WM ganz groß
rauszubringen, hat jedoch einen Haken. Bei dem Stadionlärm sind deren
Durchsagen kaum zu verstehen. Und Durchsagen wie „Ruhe bitte, die
Schiedsrichterin spricht“ wären vermutlich nicht sonderlich wirksam. Am
Mittwoch jedenfalls bekannte Claudia Neumann, die ZDF-Reporterin vor Ort,
sie habe kein Wort der Unparteiischen verstanden. Das Problem dürfte im
Ultra-Lärm beim Männerfußball ein noch größeres werden. Die Fifa sollte
sich an die weisen Worte von Franz Beckenbauer halten. „Geht’s raus und
pfeift’s“ Jedenfalls so etwas Ähnliches hat er mal gesagt. Und mehr braucht
es auch wirklich nicht.
26 Jul 2023
## LINKS
[1] /FIFA-nach-zweijaehrige-Testphase/!5488791
[2] /Debatte-um-VAR-und-neue-Regeln/!5603718
[3] /Nachwuchsprogramm-fuer-Schiedsrichter/!5423203
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Frauen-Fußball-WM 2023
Schiedsrichter
Videobeweis
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schiedsrichterin
Fußball-WM 2022
Fußball-Bundesliga
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