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# taz.de -- Sky-Krimiserie „Poker Face“: Zurück in die Vergangenheit
> In „Poker Face“ klärt die Heldin Charlie (Natasha Lyonne) Morde auf. Mit
> ihrer Superkraft, Lügen als solche zu erkennen.
Bild: Natasha Lyonne in „Poker Face“
Der Bender/Nack, ein Standardwerk zur „Tatsachenfeststellung vor Gericht“,
nennt zehn Warnsymptome der Körpersprache – vom Schwitzen über den erhöhten
Puls und das (entweder nervöse oder verschmitzte) Lachen bis zum Kopfsenken
–, die den Lügner verraten. Das Buch verschweigt allerdings nicht, dass es
sich keinesfalls um empirisch gesicherte Kriterien handele. Anders gesagt:
Manche Lügner lügen wirklich so schlecht, dass man ihnen das schon an der
(roten) Nasenspitze ansieht. Niemand, kein Mensch und auch kein
Lügendetektor, kann aber mit absoluter Sicherheit immer sagen, ob ein
anderer lügt oder nicht.
Niemand? Eine neue Serie in zehn Episoden will es so, dass eine Frau genau
das kann. Sie kann es einfach, weil sie es kann, und darüber hinaus will
die Serie um diese besondere Fähigkeit ihrer Heldin kein Aufhebens machen.
Deshalb widerspricht die Heldin der Ankündigung des Formats [1][aus dem
Hause Sky] als angebliche „Mystery-Crime-Serie“ in Folge eins auch gleich
mal explizit selbst: „There is nothing mystical about it.“
Es ist vielmehr wie in der charmanten 1990er-Jahre-Serie „Allein gegen die
Zukunft“. Da bekam der Held, ein Börsenmakler aus Chicago, morgens einfach
immer schon die Zeitung vom folgenden Tag. Wie das möglich war, war völlig
egal und wurde auch nie erklärt. Entscheidend war die dem Mann damit
auferlegte Verantwortung, alle möglichen Unglücksfälle und Katastrophen zu
verhindern.
Eine entsprechende Verantwortung lastet nun auch auf Charlie (Natasha
Lyonne). Man kann sich vorstellen, dass sie mit ihrer Fähigkeit einmal
ziemlich erfolgreich als Pokerspielerin unterwegs war. Man kann sich auch
vorstellen, dass das bald aufgefallen ist – und zwar einem Casino-Mobster,
der sie aus dem Verkehr gezogen, aber immerhin mit einem Job als Kellnerin
in seinem Casino versorgt hat. Nun hat der Mobster-Junior übernommen,
Adrien Brody mit viel Goldschmuck und noch mehr Pomade in den Haaren, er
muss sich beweisen, will Charlies Talent nicht länger brachliegen lassen.
Er verspricht ihr, sie reich zu machen. Sie sei reich gewesen, sagt sie.
Wie das gewesen sei? „Easier than being broke, harder than just doing
fine.“
## Dialogsätze auf der Zunge zergehen lassen
In „Poker Face“, so der Serientitel, fallen Dialogsätze, die man sich auf
der Zunge zergehen lassen muss, möglichst in der englischen
Originalfassung. In jeder Folge spielt ein namhafter Gaststar à la Ellen
Barkin oder Nick Nolte – den Mörder. „Poker Face“ ist zwar nicht „Myst…
wohl aber Krimi. Und zwar streng nach der „Columbo“-Rezeptur: bis hin zur
Radiosendung vom Band als Alibi für den – nicht ganz so – perfekten Mord,
der am Anfang einer jeden Episode steht. Dann tritt Charlie auf den Plan
und besorgt die Aufklärung. Ganz klassisch, um nicht zu sagen: wunderbar
altmodisch.
Letzteres scheint die Spezialität des – erstmaligen – Serienschöpfers Rian
Johnson zu sein, [2][der mit seinem Spielfilm „Knives Out“] schon das zuvor
verstaubte Agatha-Christie-Genre elegant wiederbelebt hat. Um dann mit der
Fortsetzung „Glass Onion“ kolossal übers Ziel hinauszuschießen. Bei „Po…
Face“ trifft er den Ton nun wieder perfekt. Spielt ironisch mit der
Old-school-Attitüde seiner Serie.
Zum Beispiel in Folge vier. Da verkauft Charlie T-Shirts für eine
Indieband, die in den 90ern mal einen Hit hatte. Chloë Sevigny, selbst ein
Geschöpf aus den 90ern, gibt die Sängerin als Wiedergängerin von Courtney
Love, schreit sich in bester Riot-Grrrl-Manier die Seele aus dem Leib. Als
die Band einmal im Tonstudio ist, wartet draußen eine junge Frau mit einer
Cap mit der Aufschrift „Murder Girl“. „Is your band Death Metal or
something?“, will Charlie von ihr wissen. Antwort: „It’s my podcast. I
solve murders.“ Charlie, die auch Morde aufklärt, sieht nicht so aus, als
hätte sie schon mal was von Podcasts gehört, geschweige denn einen gehört.
Dass Charlie in jeder Episode an einem neuen Ort und in einem neuen Job
aufschlägt – so funktionierte in den 1980ern schon „Ein Engel auf Erden“,
in den 1990ern „Zurück in die Vergangenheit“ –, liegt übrigens daran, d…
sie permanent, nun ja, „auf der Flucht“ ist. Vor den Häschern des
Casino-Mobsters, dessen Sohn sie nämlich in Folge eins des Mordes an ihrer
besten Freundin überführt. Die wird gegeben von Dascha Polanco, mit der
Natasha Lyonne schon in „Orange Is The New Black“ und „Matrjoschka“
zusammen gespielt hat. Für Serien-Nostalgiker ist „Poker Face“ ein wahres
Fest.
26 Apr 2023
## LINKS
[1] /Sky-Serie-Ich-und-die-Anderen/!5785933
[2] /Krimikomoedie-Knives-Out/!5653529
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Krimiserie
Lügen
Glücksspiel
Kolumne Einfach gesagt
Serie
Sky
Komödie
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