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# taz.de -- Meldeportal zur Müllvermeidung: Alles gut, wenn alle gut?
> Wer in einer Bäckerei oder Imbiss keine Mehrwegverpackung bekommt, kann
> das bei Greenpeace melden. Ist es mehr als ein Beschwerdeportal für
> Spießer?
Bild: Meldeportal anno dazumal
Wir alle kennen diese leicht unseriös wirkenden Online-Umfragen auf
Nachrichtenseiten, die zum Abstimmen animieren sollen: Ich habe eigentlich
gar keine starke Meinung darüber, ob Wölfe abgeschossen werden sollten oder
nicht – aber es ist so reizvoll, an einer Live-Abstimmung teilzunehmen,
damit sich die Tacho-Nadel in Richtung einer von zwei vorgegebenen
Antworten bewegt. Außerdem bekomme ich das Gefühl, dass ich etwas bewirken
kann, wenn ich live einsehen kann, die stolze 127.542ste Teilnehmerin zu
sein.
Eines ähnlichen Reizes bedient sich ein in der letzten Woche gestartetes
Online-Meldeportal der [1][Umweltorganisation Greenpeace], auf dem Verstöße
von Gastronomiebetrieben gegen das neue Verpackungsgesetz gemeldet werden
können.
Auf der Plattform ist live einsehbar, wie viele Meldungen von
Bürger*innen bisher eingegangen sind: Als dieser Text geschrieben wurde,
zählte die Website gerade 699 Meldungen. Bei jedem Neuladen der Website
blinkt die Zahl in Echtzeit groß auf. Wer da nicht die Meldung Nummer 700
einreichen will, ist wahrscheinlich ein abgestumpftes Individuum, das
jegliches Interesse an Interaktion mit seiner Umgebung verloren hat.
Aber nicht nur die Aufmachung des Meldeportals ist fraglich, auch die Idee
des Portals an sich. [2][Seit Beginn des Jahres sind Restaurants und
Lieferdienste in Deutschland dazu verpflichtet, Mehrwegverpackungen für
Essen und Getränke außer Haus anzubieten.] Diese müssen gut sichtbar und
dürfen nicht teurer sein als die Wegwerfoption. Die Bundesregierung will
damit „Abfälle vermeiden, Rohstoffe sparen und die Umwelt schonen“.
## „Greenpeace-Meldeheld:in“
Greenpeace nimmt diese Regelung nun zum Anlass, eine schwierige
Marketingkampagne zu fahren. Wer ein Café kennt, das seinen Kaffee-to-go
nicht in Mehrwegbechern verkauft, kann mit wenigen Klicks eine
„Greenpeace-Meldeheld:in“ werden. Online müssen nur Name und Adresse des
Geschäfts, der beobachtete Verstoß und die eigenen persönlichen Daten
angegeben werden, schon wird von Greenpeace ein E-Mail-Text generiert und
die zuständige Landesbehörde ermittelt. Im letzten Schritt öffnet sich das
eigene Mailprogramm, man muss nur noch auf „Abschicken“ klicken.
Die Häme und Empörung auf Social Media kommt vorrangig von
rechtsreaktionärer Seite: Ernst Wolff, Jan Fleischhauer und
Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt führen die Twitter-Debatte an. Unter ihren
Postings wird vielfach von „Verpackungs-Stasi“ geschwafelt und es werden
Blockwart-Vergleiche gezogen. Dieses verschwörungsmythische Narrativ eines
drohenden „Ökofaschismus“ ist geschichtsrevisionistisch und deshalb
unangebracht und gefährlich.
Doch diese rechtspopulistischen Kommentare lenken davon ab, wie
populistisch das Greenpeace-Meldeportal tatsächlich ist. Die Aktion wirkt
wie der verzweifelte Versuch, endlich mal wieder eine viel beachtete Aktion
zu starten. Während der potenzielle Greenpeace-Nachwuchs lieber mit der
Letzten Generation Straßen blockiert oder sich im „Hambi“ in Baumhäusern
verschanzt, fiel es Greenpeace in den vergangenen Jahren schwer, mit seinem
Aktivismus politische Durchschlagskraft zu erzeugen.
Eine Meldestelle für Law-and-Order-Fanatiker*innen hat nun die wohl
erwünschte Aufmerksamkeit erreicht, doch Greenpeace tut sich damit keinen
Gefallen. Da hilft es auch nichts, diese Online-Spielwiese für
Spießbürger*innen hip zu verpacken: Greenpeace bewirbt sein
„Single-Use-Meldeportal“ mit unlustigen Memes und cringe-worthy Emojis.
## Falscher politischer Ansatz
Ein solches Meldeportal spricht vielleicht spießige Hipster an, die schon
das Klima retten wollen und so, aber dem privat geführten Café um die Ecke
in Zeiten von Fachkräftemangel, Inflation und Discounter-Konkurrenz vor
allem gern eins reindrücken wollen, weil man dort immer so lang warten muss
und die für die Hafermilch immer noch Aufpreis verlangen. Doch es nährt
einen politischen Ansatz, der suggeriert, es werde schon alles gut, wenn
sich alle nur an die Regeln hielten. Dass die geltenden Regeln nicht
ausreichen, um die Klimakrise zu bekämpfen, wird außer Acht gelassen.
Greenpeace, bitte verleiht euren Aktionen in Zukunft wieder
emanzipatorischen Charakter und macht auf die strukturellen Ursachen der
Klimakrise aufmerksam. Denn die wird nicht dadurch abgewendet werden, dass
Deutsche Ordnungswidrigkeiten ans Umweltministerium durchstechen und sich
dadurch besser fühlen.
4 Apr 2023
## LINKS
[1] /Lebensmittel-zum-Mitnehmen/!5921514
[2] /Verstoesse-gegen-Mehrwegpflicht/!5911169
## AUTOREN
Luise Mosig
## TAGS
Müll
Populismus
Greenpeace
Mehrweg
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