| # taz.de -- Selenski live im Hörsaal: Kurz kommt Hektik auf | |
| > Studierende der Humboldt-Universität und der Viadrina in Frankfurt (Oder) | |
| > diskutierten mit dem ukrainischen Präsidenten. Der ist erstaunlich | |
| > locker. | |
| Bild: Studieren mit Selenski: Hörsaal in der Europa-Universität Viadrina in F… | |
| Berlin taz | Es gab auch unbequeme Fragen. Wie schützt man Frauen vor | |
| sexualisierter Gewalt, auch durch heimkehrende Soldaten? Wie geht das | |
| überhaupt, ein Land fit zu machen für den Beitrittsprozess zur EU, wenn es | |
| sich mitten im Krieg befindet? | |
| Vielleicht war das eine der Überraschungen an diesem ungewöhnlichen | |
| [1][Aufeinandertreffen am Dienstag zwischen Berlin, Frankfurt (Oder) und | |
| Kyjiw]. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski stellte sich den | |
| Fragen von Studierenden der [2][Humboldt-Universität] und der | |
| [3][Europa-Universität Viadrina] – und diese Fragen waren nicht abgestimmt, | |
| geschweige denn vorsortiert. | |
| Selenski, diesmal nicht in olivgrün, sondern im schwarzen Pullover, schien | |
| das Setting zu gefallen. Je länger die Fragerunde dauerte, desto konkreter | |
| wurde er in seinen Antworten. Auf die Frage nach der sexualisierten Gewalt | |
| sagte er, dass das Parlament die Istanbuler Konvention verabschiedet habe. | |
| Damit beuge man häuslicher Gewalt vor. | |
| Der Reformprozess, antwortete er auf die andere Frage, gehe auch im Krieg | |
| voran. „Wir haben keine Zeit zu warten“, betonte Selenski. „Deshalb machen | |
| wir auch im Kriegsgeschehen Reformen, aber eben langsamer.“ Bei der | |
| Digitalisierung aber habe man einen „Durchbruch“ erzielt. | |
| 250 Studierende und Beschäftigte aus der Ukraine sind an der Viadrina | |
| tätig, gerade baut die Europa-Universität ein [4][„Ukraine-Zentrum“] auf, | |
| betonte Präsidentin Eva Kocher. „Das trägt dazu bei, dass wir die | |
| Ereignisse besser verstehen.“ HU-Präsidentin Julia von Blumenthal sagte, es | |
| sei wichtig, Wissen über die Ukraine zu befördern. „Viel zu wenig wurde in | |
| der Vergangenheit auf die Stimmen derjenigen gehört. die zur Ukraine | |
| forschen.“ | |
| ## Idee nach einem Besuch in Frankfurt | |
| Der Videocall mit dem Präsidialamt in Kyjiw wurde in die gefüllten Hörsäle | |
| der HU und der Viadrina übertragen und auch bei Youtube gestreamt. „Die | |
| Idee dazu kam, als uns eine Delegation aus der Ukraine besuchte“, sagte Eva | |
| Kocher. Der Termin selbst fiel auf den 31. Jahrestag der Aufnahme | |
| diplomatischer Beziehungen zwischen Berlin und Kyjiw. | |
| Eine Frage war die nach den Zerstörungen der Infrastruktur. „Wie soll die | |
| Rückkehr der Ukrainerinnen und Ukrainer in ihr Heimatland aussehen?“ | |
| Antwort des Präsidenten: „Wenn die Menschen zurückkommen, brauchen sie | |
| Wohnungen und Schulen, auf die die Kinder gehen können.“ Er als Präsident | |
| könne natürlich nicht sagen, kommt zurück. „Die Menschen kommen zurück, | |
| wenn es sicher ist. Deshalb bedanken wir uns für die Flugabwehrsysteme. | |
| Aber wir erwarten auch weitere Waffen.“ | |
| Es war ein Spagat zwischen dem Alltag vor allem ukrainischer Studierender | |
| und ihrer Fragen und dem Kriegsgeschehen in der Ukraine – und auch ein | |
| Lehrstück in Sachen Diplomatie. Als ein ukrainischer Jurist fragte, wie die | |
| Botschafter von Kyjiw ausgewählt würden, sagte Selenski, dass natürlich | |
| viele Juristen darunter seien und lud den Mann ein, sich zu bewerben. Es | |
| gebe aber auch Botschafter mit einer militärischen Ausbildung. „Die kennen | |
| sich mit Waffen aus.“ | |
| Zwischendurch kam Hektik auf. Das Präsidialamt in Kyjiw habe gerade | |
| mitgeteilt, dass der Präsident die Sitzung unterbrechen müsse, sagte Julia | |
| von Blumenthal. „Er muss zu einem Videocall mit den Streitkräften.“ Zehn | |
| Minuten bestimmte das Geschehen an der Front auch die universitäre | |
| Diskussion in den Hörsälen von Frankfurt und Berlin. | |
| Die Pause nutzte der ukrainische Botschafter Oleksij Makeiev für eine | |
| Forderung an die Bundesregierung. Nein, er habe den neuen | |
| Verteidigungsminister noch nicht gesprochen, antwortete Makeiev auf die | |
| Frage nach der Ernennung von Boris Pistorius. Er gehe aber davon aus, dass | |
| Ende der Woche in Ramstein wichtige Entscheidungen getroffen werden. | |
| Auch das Gespräch mit Studierenden ist also eine Gelegenheit, den Druck | |
| aufrecht zu erhalten, Kampfpanzer zu liefern. „Wir haben es geschafft, eine | |
| Koalition von Staaten zusammenzuführen“, betonte Makeiev. Auf der US-Basis | |
| in der Pfalz treffen sich am Freitag die Verteidigungsminister der | |
| Ukraine-Kontaktgruppe. Dabei wird es auch um die Frage geben, ob | |
| Deutschland der Lieferung von Leopard-Panzern durch Polen und anderen | |
| Nato-Staaten zustimmt. | |
| Nach dem Gespräch mit den Streitkräften kehrte Selenski zurück. Die | |
| Diskussion genoss er sichtlich, oft huschte sogar ein Lachen über sein | |
| Gesicht. „Ist die Ukraine ein Land mit Zukunft?“, lautete die letzte Frage. | |
| „Wir verteidigen unser Land mit unserem eigenen Leben“, sagte der | |
| ukrainische Präsident. Sie ist das freieste Land der Welt, denn Freiheit | |
| ist das höchste Gut, das man hat.“ | |
| „Wir stehen an ihrer Seite“, bedankte sich die HU-Präsidentin, „und wir | |
| freuen uns auf den Tag, in dem wir ihr Land wieder bereisen können.“ | |
| 17 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/januar-2023/nr-23110 | |
| [2] https://www.hu-berlin.de/de | |
| [3] https://www.europa-uni.de/de/index.html | |
| [4] https://www.europa-uni.de/de/struktur/unileitung/pressestelle/Ukraine/index… | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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