# taz.de -- WM-Flaneur in der arabischen Welt: Blicke wie Pfeile | |
> Wenn freizügige WM-Touristen in eine Gesellschaft des Männerüberschuss | |
> und strenger Sexualmoral kommen, ereignen sich mitunter beschämende | |
> Dinge. | |
Bild: Wo verläuft die Grenze? Bei Knie- und Armfreiheit? Zwei Fans von Costa R… | |
Ich bin nur ein [1][unbedarfter Flaneur] in dieser arabischen Welt. Und | |
manchmal erlebt man als ein solcher beschämende Dinge. In der U-Bahn zum | |
Beispiel, wo jetzt seit ein paar Tagen die Fans mit Tröten krawallen und | |
harte Bässe durch Bluetooth-Boxen jagen, ist ein Trupp aus Tunesien | |
unterwegs. Einer bläst in eine Vuvuzela, und ich schrecke auf. Zwei Frauen | |
im tunesischen Trikot sind auch dabei. Sofort eilt ein Helfer, ein | |
„Spectator’s Guide“ in gelber Jacke herbei, aber nicht etwa, um den Weg zu | |
weisen. | |
Die Gelbjacke rückt einer jungen Tunesierin auf die Pelle, nötigt sie zu | |
einem Handschlag, fragt sie, ob sie nicht Freundschaft schließen möchte mit | |
ihm. „Bist du verheiratet?“, fragt er. „Ich liebe tunesische Frauen.“ D… | |
Bedrängte windet sich in ihrer Ablehnung, versucht die Szene wegzulächeln. | |
„Wir sind alle verheiratet.“ Die Gelbjacke lässt nicht locker. Sein | |
schmieriger Machismo ist unerträglich. Ich wundere mich, dass die | |
tunesischen Männer in der Gruppe das durchgehen lassen. | |
Andere Szene: Eine Anhängerin der serbischen Mannschaft ist allein [2][in | |
der U-Bahn] unterwegs. Sie trägt die Fahne ihres Landes als Umhang auf dem | |
Rücken – und überdies ausgesprochen körperbetonte Kleidung. Männer starren | |
sie an. | |
Sie flüchtet in einen weniger belebten Bereich der Metro. Sie scheint die | |
Blicke wie Pfeile zu spüren, die sich in ihren Körper bohren. Immer weiter | |
rückt sie ab, in der ersten Klasse versucht sie, hinter den Sesseln zu | |
verschwinden. Entrüstet schaut sie zu den Glotzern herüber, versucht sie | |
mit strengen Blicken zu disziplinieren, aber das klappt nicht. | |
Die WM-Touristen bringen eine Freizügigkeit ins Land, die auf einen | |
Männerüberschuss trifft – und eine strenge Sexualmoral. Einheimische Frauen | |
tragen oft schwarze Gewänder, zum Teil Burkas mit Augenschlitzen. | |
Die Frauen von Expats haben derweil gelernt, ihre Mode anzupassen. Sie | |
kleiden sich kompromisslerisch, versuchen modisch zu sein, aber nicht | |
„aufreizend“ zu wirken. Aber wo verläuft die Grenze? Bei Knie- und | |
Armfreiheit? Ist es nicht ein schönes Zeichen, wenn | |
WM-Schlachtenbummlerinnen keine Zugeständnisse machen? Oder ist es | |
unangemessen? | |
Die Katarer haben oft genug gesagt, jeder und jede sei willkommen. | |
Kleidervorschriften gibt es hier und da zwar, aber sie sind während der WM | |
aufgeweicht. Als ich in Shorts in ein Museum marschiere, eigentlich ein | |
No-Go, sagt keiner was. Aber ich bin eh nur ein Flaneur, der kein Aufsehen | |
erregt. | |
27 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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