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# taz.de -- Autor Gaspard Kœnig reitet durch Europa: Philosophierender Cowboy
> Der französische Autor Gaspard Kœnig ist mit dem Pferd von Frankreich
> nach Italien geritten. Er will wissen, wie es sich im heutigen Europa
> lebt.
Bild: Ankunft in Rom: Gaspard Koenig
„Ich möchte den Menschen direkt begegnen, zufällig, ohne Filter durch
Social Media. Ich suche den direkten Augenkontakt, der Vertrauen schafft.
Das Pferd hilft mir dabei“, das sagt Gaspard Kœnig bei der Berliner
Präsentation seine Buches „Mit Montaigne auf Reisen“. Eine Reise mit dem
Pferd durch Frankreich, Deutschland und Italien bis Rom. Er ist dafür 20
Wochen und 2.500 Kilometer unterwegs.
Der Philosoph, ehemalige Redenschreiber für die französische
Wirschaftsministerin Christine Lagarde, Reiter und Buchautor folgt den
Spuren des von ihm geschätzten Michel Montaigne. Der französische Jurist,
Politiker, Humanist und Moralphilosoph Montaigne reiste 1580 mit Pferd und
Gefolge von Bordeaux nach Rom und führte darüber Tagebuch. Es ist 2014 in
der Anderen Bibliothek auf Deutsch erschienen.
Und wie Montaigne will er ein Bild von Europa bekommen. Dabei teilt er
Montaignes Skepsis gegenüber jeglichen Dogmen, Totalitarismen und
Religionen sowie die Ablehnung menschlicher Überheblichkeit gegenüber
anderen Naturgeschöpfen. Seiner sechs Jahre alten Stute Desti, einer
Spanierin, kommt Kœnig im Laufe ihrer überstandenen Herausforderungen immer
näher. Nicht nur, dass sie gemeinsam pinkeln, sie trösten sich gegenseitig
und er kann sie schon bald frei weiden lassen.
Es lebe die Permakultur
Vor allem das ländliche Frankreich und seine Bewohner erkundet Kœnig in
seinem Reise-Essay. Über das Landleben schreibt er: „Es wimmelt nur so von
Initiativen. Sie sind zuversichtlich, dort Erfolg zu haben, wo die alten
versagt haben. Der Bauer ist tot, es lebe die Permakultur.“ Diese Bewegung
aufs Land, eine versprengte Ansammlung individueller Projekte und
Initiativen ist eine kleine Revolution, die nicht viel Aufsehen erregt,
aber die Strukturen auf dem Land nicht nur ökologisch nachhaltig verändert.
Kœnig, der bekennende Liberale, goutiert die Gesellschaft eigenwilliger
Aus- und Neueinsteiger auf dem Land, wo er Gastfreundschaft und
Unterstützung erfährt. In anregenden Disputen mit seinen
Reisebekanntschaften verteidigt er überzeugt „den Vorrang der individuellen
Freiheit gegenüber dem Versuch, kollektive Werte und eine kollektive
Lebensart durchzusetzen“.
Als Hürde dieser Neuaufstellung auf dem Land wird von ihren
Verfechter*innen immer wieder das zentralistische Frankreich, noch mehr
die europäische Bürokratie kritisiert. „Auf dem Land akzeptiert man, dass
das Leben hart ist, aber nicht, dass es absurd ist“, erkennt Kœnig, nachdem
er überall frustrierte Erzählungen über bürokratische Vorschriften gehört
hat.
Das Drama der Vorstädte
„Was wirklich zählt, sind die Nebenflüsse, die ich während meiner Reise
durchquere. Was würde passieren, wenn man die Quelle schließen, wenn man
die Lichter im Élysée-Palast löschen würde. Nichts. Die Nebenflüsse würden
weiter fließen.“
Dabei kontrastiert Kœnig durchaus den Niedergang der kleinen Städte mit
ihren verblassten Aufschriften auf verlassenen Geschäften und Cafés. Er
verzweifelt an der Hässlichkeit der Vorstädte mit ihrer funktionalen
Architektur, ihrer menschenfeindlichen Gestaltung, dem nie endenden
Verkehr. Ein bedrohlicher Straßendschungel für Reiter und Pferd.
Kœnig lernt Frankreich und die Franzosen, das Land und seine Perspektiven
auf seinem philosophischen Parforce-Ritt besser kennen. Zwei Drittel des
Buches erzählen von Frankreich. Und diese zwei Drittel lesen sich mit
Gewinn.
Doch dieser Tiefgang und Kœnigs Erzählkunst flachen mit dem Grenzübertritt
nach Deutschland ab. Es mag an der Sprache liegen, die den Zugang, den
Disput erschwert, an der Liebe zum Objekt, an der Erschöpfung durch die
Reise oder einfach an zunehmender Fremdheit: Findet Kœnig bei seiner Reise
durch Süddeutschland noch manchmal Zugang zu den Menschen und ihren
Ansichten, so bleibt er, der kaum Deutsch und kein Italienisch spricht, in
Italien gänzlich außen vor.
Der touristische Blick
Er erkennt das selbst: „Meine Beziehungen zur hiesigen Bevölkerung bleiben
reine Geschäftsbeziehungen. Ich suche einen Bauernhof, um Desti
unterzubringen? Unweigerlich verweist man mich an einen Agrotourismo. Ich
bitte um ein Stückchen Schlafcouch? Man ruft die Nachbarin an, die gerade
ein Zimmer frisch für Aibnb renoviert hat.“ Nirgendwo sonst auf seiner
Route, weder in Frankreich noch in Deutschland, wurde ihm Gastfreundschaft
so konsequent verweigert wie in Italien.
In der Fremde, deren Sprache er nicht spricht, bleibt der Fremde fremd.
Kœnigs Begegnungen wirken nun eher schablonenhaft, wenig erhellend,
manchmal amüsant. Wenn er etwa von den blonden deutschen Walküren im
perfekten süddeutschen Reitstall schreibt, die mühelos vom beheizten Sitz
ihres BMWs auf einen Ledersattel wechseln, spürt man auch die Distanz, die
er nicht mehr aufbrechen kann. Man erkennt den vom Klischee genährten
touristischen Blick.
Über das Fazit seiner Reise schreibt Kœnig selbst: „In jedem Fall weiß ich
jetzt, welchen Liberalismus ich verteidigen muss. Ganz gewiss nicht jenen
Neoliberalismus, der entlang meines Weges Einkaufszentren,
Pavillonsiedlungen und Betonblocks aus dem Boden schießen ließ; der die
Bäume der Treidelpfade abgeschnitten und Videoüberwachungen in den
Innenstädten installiert hat.“
Vielmehr geht es ihm wie seinem historischen Vorbild Montaigne um einen
Liberalismus, der auf dem Individuum gründet. „Bei Montaigne geht es darum,
wie man zum Individuum wird. Das interessiert mich, denn viele Themen
Montaignes sind erstaunlich modern: Er ist einer der Ersten, die sich für
Tierrechte einsetzten. Er ist ein großer Theoretiker des guten Reisens, für
den das Unterwegssein an sich wichtiger ist als das Ankommen.“
16 Dec 2022
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Europa
Reisen
Philosophie
Schwerpunkt Emmanuel Macron
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