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# taz.de -- Die These: Die Machttrunkenen
> Muss Sebastian Kurz bald in den Knast? Der Machtzirkel um ihn und sein
> ÖVP-Gefolge hat in Österreich den Glauben an die Demokratie erschüttert.​
Bild: Wien, 24.05. 2020: Sebastian Kurz und Thomas Schmid im Ibiza-Untersuchung…
Thomas Schmid ist so etwas wie die Black Box der türkisen ÖVP von Sebastian
Kurz. Wenn man sie knackt, findet man jedes Detail der verunglückten Reise
dokumentiert. In dem Fall: die Vorbereitungen für den kometenhaften
Aufstieg des jungen Hoffnungsträgers bei den österreichischen
Konservativen, die generalstabsmäßig [1][durchgezogene Übernahme der Partei
und dann der Republik].
Über 300.000 Chat-Nachrichten, die auf Schmids Handy sichergestellt wurden,
zeichnen das Sittenbild einer Clique von jugendlichen Emporkömmlingen, die
glaubten, das Land gehöre ihnen und niemand könne sie dafür zur
Verantwortung ziehen. Die Hybris dieses kleinen Machtzirkels hat in
Österreich den Glauben an die Demokratie erschüttert.
Entsprechend groß war das Medieninteresse, als Schmid nach mehreren
vergeblichen Vorladungen am Donnerstag vor dem parlamentarischen
Untersuchungsausschuss „betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen
ÖVP-Regierungsmitglieder“, vulgo ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss,
erschien.
Die Freude der Abgeordneten und der Medienvertreter währte nicht lange:
Schmid entschuldigte sich höflich für sein Nichterscheinen bei bisherigen
Terminen, verkündete dann aber, er werde von seinem Recht, die Aussage zu
verweigern, Gebrauch machen.
## „Ich bin so glücklich:-)))! Ich liebe meinen Kanzler“
Denn seine Befragung durch die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sei noch nicht abgeschlossen, jede
Aussage könne ihn belasten. [2][][3][Schmid will durch seine
Auskunftsfreudigkeit vor der WKStA den Kronzeugenstatus erlangen und hofft
so auf Straffreiheit].
Es half auch nichts, dass ihm im Ausschuss Beugestrafen angedroht wurden.
Schmid wollte nicht einmal die Frage, ob er ÖVP-Mitglied sei oder ob er von
der WKStA protokollierte Aussagen gemacht habe, beantworten. Das in 15
ganztägigen Befragungen erstellte Protokoll im Umfang von 454 Seiten ist
eine wahre Fundgrube an Fakten, deren Stichhaltigkeit von den
Strafverfolgungsbehörden noch überprüft wird.
Einzelne Chats von Schmid, die an die Medien geleakt wurden, sind
inzwischen zu geflügelten Worten geworden. So etwa „Ich bin so
glücklich:-)))! Ich liebe meinen Kanzler“, als Kurz dessen berufliche
Aufstiegswünsche mit einem „Kriegst eh alles, was du willst“ abgesegnet
hatte. In Zusammenhang mit einer Steuerangelegenheit eines Milliardärs
erinnerte Schmid einen Mitarbeiter von Kurz: „Vergiss nicht – du hackelst
(arbeitest; Anm. d. Red.) im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die
Reichen!“
Das Selbstverständnis der „Wirtschaftspartei“ ÖVP als Hure der Reichen ist
durch Chats und Aussagen von Schmid eindrucksvoll dokumentiert. Der
Immobilienmagnat René Benko, in Deutschland bekannt, seit er [4][Kaufhof
und Karstadt] übernommen hat, bot Thomas Schmid einen Job in seiner Signa
Holding mit 300.000 Euro Gage jährlich plus Boni in gleicher Höhe an.
Laut Schmid habe sich Benko im Gegenzug eine „steuersenkende Lösung“ für
seine Probleme mit dem Fiskus gewünscht. Schmid habe dann Druck auf den
zuständigen Beamten gemacht. Aus der Stelle als „Generalbevollmächtigter“
bei Signa wurde dann nichts, weil Sebastian Kurz seinen besten Mann im
Finanzministerium nicht gehen lassen wollte.
Zu den Lieblingsmilliardären der ÖVP zählt auch Siegfried Wolf, der mit dem
russischen Oligarchen Oleg Deripaska im Geschäft ist und jüngst das
MAN-Werk in Steyr übernommen hat.
Bei Wolf ging es um Steuerschulden, die dieser nicht oder nur teilweise
zahlen wollte. Schmid in seinem Einvernahmeprotokoll: „Er hat mich aus
meiner Sicht gedrängt und gepusht zu seinen Gunsten tätig zu werden.“
Tatsächlich zeigte sich der damalige Finanzminister Hans-Jörg Schelling
flexibel und verzichtete auf einige Millionen Euro von Wolf. Andere
Steuerzahler können von solcher Kulanz nur träumen.
Sebastian Kurz war damals noch Außenminister in einer SPÖ-geführten
Koalition. Die Umfrageergebnisse der ÖVP grundelten um die 20 Prozent,
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) war noch in Amt und Würden, er erfreute
sich zunehmender Popularität. Populär war auch der damals 30-jährige
Sebastian Kurz, der in der alten grauen Tante ÖVP einen von vielen als
erfrischend gesehenen Farbtupfer abgab. Mit einer Gruppe von Getreuen aus
der Jungen ÖVP entwarf er daraufhin das „Projekt Ballhausplatz“.
## Das „Österreich-Beinschab-Tool“
Ballhausplatz 2 ist die Adresse jenes Trakts der ehemaligen kaiserlichen
Hofburg, der die Büros des Bundeskanzlers beherbergt. Die Verschwörer
sammelten kompromittierendes Material über politische Gegner in- und
außerhalb der eigenen Partei, warben um Sponsoren und Prominente und sägten
am Stuhl des eigenen Parteichefs und Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner.
Dabei bedienten sie sich einer Methode, die nicht nur moralisch fragwürdig
ist, sondern nun auch Kurz hinter Gitter bringen könnte. Die Sache ist so
heikel, dass Kurz ein Telefongespräch mit Schmid aufnahm, in dem er seinen
ehemals ergebenen Erfüllungsgehilfen offenbar nötigen wollte, alle Schuld
auf sich zu nehmen und Kurz reinzuwaschen.
Das Ergebnis erwies sich als wenig hilfreich. Es geht um die Frage: Hat
Kurz selbst den Auftrag gegeben, [5][manipulierte Umfragen in einem
Boulevardblatt zu platzieren und diese Intrige mit Steuergeldern aus dem
Finanzministerium zu bezahlen]?
Schmid spricht vom „Österreich-Beinschab-Tool“ und nannte Kurz als
Auftraggeber. Österreich heißt die Gratiszeitung der geschäftstüchtigen
Gebrüder Fellner, die sich wohlwollende Berichterstattung über Politiker
mit fetten Anzeigen bezahlen lassen. Sabine Beinschab heißt eine
Meinungsforscherin, deren Ein-Frau-Betrieb zu großen Teilen von
öffentlichen Aufträgen lebte.
Sie hatte den Auftrag, Sebastian Kurz nur im besten Licht erscheinen zu
lassen. Beinschab, die inzwischen Kronzeugenstatus erhalten hat, ist
vollumfänglich geständig. Die Honorarforderungen für ihre Umfragen und
Studien, die einzig dem Image von Kurz nützten, reichte sie auftragsgemäß
im Finanzministerium ein.
Jetzt mussten sich Kurz und Co nur noch aus der ungeliebten Koalition mit
den Roten befreien, um den Marsch auf den Ballhausplatz erfolgreich
antreten zu können. Dabei betätigte sich der damalige ÖVP-Innenminister
Wolfgang Sobotka als „Abrissbirne“, wie Christian Kern später in einem
Interview erzählte: Kurz habe immer wieder den Stillstand und die
Streitereien in der Regierung beklagt, die dieser jeden Tag gemeinsam mit
Sobotka herbeigeführt habe.
Sobotka wurde später mit dem Posten des Nationalratspräsidenten belohnt.
Mitterlehner warf schließlich entnervt das Handtuch und gab den
Parteivorsitz ab. Kurz triumphierte und steuerte auf Neuwahlen zu, nach
denen er mit der rechten FPÖ den idealen Partner fand.
## Ibiza mach Regierung kaputt
Die neue Regierung aus ideologisch Rechten und opportunistischen
Neokonservativen strahlte so viel Harmonie aus, so mancher glaubte, sie
könne mehr als zwei Legislaturperioden halten. Nur Herbert Kickl, der sich
als Innenminister anschickte, eine der wichtigsten Bastionen der ÖVP zu
schleifen, störte den Koalitionsfrieden.
Dann ploppte [6][der Ibiza-Skandal] auf. Im Mai 2019 wurde ein im Sommer
2017 heimlich aufgenommenes Video publik. Die Selbstentblößung des späteren
Vizekanzlers Strache musste zu dessen Rücktritt führen. Kurz nutzte die
Gelegenheit, um den Störenfried Kickl zu entfernen – und wurde mit einem
von der FPÖ mitgetragenen Misstrauensvotum bestraft. Bundespräsident
Alexander Van der Bellen ernannte eine Beamtenregierung, die sich großer
Beliebtheit erfreute, weil sie auf die tägliche Inszenierung verzichtete.
Es folgten Neuwahlen, bei denen Sebastian Kurz noch zulegte und in den
erstarkten Grünen einen neuen Partner fand. Inzwischen hatten aber die
Korruptionsermittler im Appartement von Thomas Schmid eine tickende
Zeitbombe erbeutet: ein Handy mit über 300.000 teils höchst
kompromittierenden Chat-Nachrichten, die nach und nach an die Medien
durchsickerten.
Als das Österreich-Beinschab-Tool vor einem Jahr bekannt wurde, forderte
Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen eine „untadelige Person“ als
Partner und provozierte damit den Rücktritt von Sebastian Kurz, der die
Geburt seines Sohnes als Anlass für seinen Abschied von der Politik
verkaufte.
## Keine Lust mehr auf Demokratie
Die WKStA ermittelt seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos gegen 45
Beschuldigte wegen Untreue, Amtsmissbrauchs, Bestechlichkeit und Bestechung
– darunter Thomas Schmid, Sebastian Kurz, etwa 30 weitere ÖVP-Politiker und
die ÖVP als Ganzes. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung,
solange kein Gericht einen rechtskräftigen Schuldspruch gefällt hat.
Diese Causa prima der Politik beschäftigt die österreichische
Öffentlichkeit fast genauso wie Teuerung und Energiekrise. Ist sie doch ein
Lehrstück darüber, wie die Hybris einer machttrunkenen Gruppe ins Verderben
führt. Wie auf einen kometenhaften Aufstieg ein tiefer Sturz folgt.
Zumindest politisch.
Wirtschaftlich haben sich Kurz und seine engsten Getreuen saniert. Dank
ihrer in der Politik geknüpften Netzwerke haben sie bei internationalen
oder nationalen Hedgefonds angeheuert und machen kräftig Kohle. Der
Kollateralschaden ist nicht nur ein ramponiertes bürgerliches Lager, das
das Stigma der „Hure der Reichen“ nicht so schnell abstreifen kann, sondern
ein Verfall des Vertrauens in Politik und Demokratie.
Laut jüngsten Erhebungen stimmen 22 Prozent der Wahlberechtigten „sehr“
oder „ziemlich“ der Forderung nach einem „starken Mann“ zu, „der sich…
um Parlament und Wahlen kümmern muss“.
6 Nov 2022
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[4] /Insolvenz-bei-Galeria-Karstadt-Kaufhof/!5888905
[5] /Korruptionsaffaere-in-Oesterreich/!5801230
[6] /Ibiza-Skandal-in-Oesterreich/!5689053
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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Österreich
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geholt.
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