# taz.de -- Geflüchtete in Großbritannien: Hilfe vom Militär | |
> Immer mehr Asylsuchende erreichen die Insel. Der Zustand in einem Lager | |
> gilt als inakzeptabel – ein Problem für Premier Sunak. | |
Bild: Blick in das Durchgangslager Manston im englischen Kent am 1. November | |
LONDON taz | Die ehemalige Luftwaffenbasis Manston im südenglischen Kent | |
ist Großbritanniens größtes Durchgangslager für Asylbewerber:innen, welche | |
in kleinen Booten aus Frankreich den Ärmelkanal überqueren. Jetzt steht | |
deshalb der neue Premierminister Rishi Sunak vor seiner ersten großen | |
Herausforderung. | |
In den einstigen Baracken und Zelten ist Platz für 1.600 Ankömmlinge, die | |
überprüft werden, bevor sie entweder ins Asylverfahren kommen und eine | |
Unterkunft zugewiesen bekommen oder abgeschoben werden. | |
Derzeit ist Manston mit über 4.000 Personen überfüllt. Ganze Familien | |
sitzen statt der vorgesehenen 24 bis 30 Stunden nun teils wochenlang fest. | |
Es wurden Seuchenausbrüche und Konflikte gemeldet, Untersuchungsberichte | |
von drei verschiedenen Prüfstellen haben die Zustände als nicht akzeptabel | |
kritisiert. Inzwischen hat Innenministerin Suella Braverman das britische | |
Militär gebeten, mit Personal und Notunterkünften auszuhelfen. | |
Die Überfüllung geht zum einen auf die gestiegene Anzahl von Überquerungen | |
zurück. Dieses Jahr ist die Zahl der Personen, die den Ärmelkanal in | |
kleinen Booten überquerten, mit inzwischen fast [1][40.000 Personen doppelt | |
so hoch] wie noch 2021, das bereits ein Rekordjahr war. | |
## Brandsätze auf Aufnahmezentrum | |
Die Gesamtzahl von Asylbewerber:innen in Großbritannien steigt aber | |
nur langsam. 2021 gab es 48.540 Asylanträge. Die Wartezeit bis zur | |
Entscheidung über den Antrag steigt jedoch und liegt jetzt bei | |
durchschnittlich 480 Tagen. Von denen, die im Jahr 2021 ankamen, haben nur | |
4 Prozent einen Bescheid erhalten. In 81 Prozent der 2021 bearbeiteten | |
Fälle war der Antrag erfolgreich. | |
Insgesamt 117.000 Asylbewerber warten derzeit in Großbritannien auf eine | |
Entscheidung – 35.000 davon sind laut Braverman in Hotels untergebracht. | |
Das koste den Staat umgerechnet 8 Millionen Euro pro Tag, sagte sie. In | |
einer Zeit knapper Kassen ist das aus Sicht des rechten Flügels der | |
Konservativen ein leichtes Einsparziel. | |
Ein weiteres Argument der Rechten stellt der steigende Anteil von Menschen | |
aus Albanien unter den Bootsflüchtlingen dar – inzwischen ein Drittel der | |
Neuankömmlinge. Sie haben kaum Aussichten auf Asyl. Albanien ist | |
Nato-Mitglied, in Medienberichten ist von einer florierenden albanischen | |
Schattenwirtschaft in britischen Städten die Rede, die Illegale ausbeute. | |
Im Unterhaus wurde Braverman am Montag des Versagens bezichtigt. Sie suche | |
nicht genügend Unterkünfte, obwohl sie über die schlechten Zustände in | |
Manston unterrichtet sei, hieß es. Braverman dementiert: Sie habe für 4.500 | |
Hotelplätze mehr gesorgt. | |
Doch dass jeden Tag Bewohner der englischen Südküste in Kent | |
Bootsflüchtlinge anlanden sehen, die die britische Küstenwache an Land | |
bringt, passt nicht zum konservativen Brexit-Versprechen, die britischen | |
Grenzen unter Kontrolle zu bringen. | |
Symbol der Zuspitzung war am Sonntag ein missglückter Brandanschlag auf ein | |
Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in Dover. Ein 66-jähriger Mann versuchte, | |
drei improvisierte Brandbomben aus seinem Wagen in das Zentrum zu werfen, | |
was aber nur zu geringem Schaden führte. Danach soll er sich bei einer | |
Tankstelle das Leben genommen haben. | |
## Sunaks größter Fehler | |
Innenministerin Braverman, die zum rechten Lager ihrer Partei zählt, | |
beschrieb die Bootsanlandungen am Montag im Unterhaus als „Invasion“. | |
Während des konservativen Parteitages im Oktober hatte die ehemalige | |
Generalstaatsanwältin die Realisierung der [2][Ruanda-Deportationen von | |
Asylsuchenden] als ihren größten Traum genannt. | |
Noch steht ein Urteil des höchsten britischen Gerichts über die Legalität | |
dieser Deportationen aus, die von der Regierung Boris Johnson erdacht | |
worden waren und zu denen sich sowohl Johnsons Nachfolgerin Liz Truss als | |
auch ihr [3][Nachfolger Rishi Sunak] bekannt haben. | |
Braverman muss sich nicht nur gegen Forderungen nach einer verschärften | |
Einreisepolitik behaupten, sondern auch gegen diejenigen, die eine humane | |
Asylpolitik fordern, mit sicheren Einreiserouten ins Vereinigte Königreich. | |
Außerdem steht sie unter Beschuss, weil Rishi Sunak sie zum zweiten Mal zur | |
Innenministerin gemacht hat, nachdem sie [4][zunächst von Liz Truss berufen | |
worden] war und dann zurücktreten musste, weil sie vertrauliche | |
Regierungsdokumente über ihre persönliche E-Mail verschickt hatte. | |
Dass Sunak sie zurückholte, halten manche für seinen bisher größten | |
Fehltritt. | |
1 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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