# taz.de -- Nico Sauer entwickelt ungewohnte Musik: Schall macht satt | |
> Nico Sauer, Komponist aus Berlin, versucht sich die Musik der Zukunft | |
> vorzustellen. Wie das klingt? Lässt sich erkunden im | |
> Zeiss-Großplanetarium. | |
Bild: Nico Sauer entspannt im Hier und Jetzt, die Zukunft im Blick | |
Wie klingt die Musik der Zukunft? Schwer zu sagen. Zumindest in manchen | |
musikalischen Bereichen wird sie im kommenden Jahr wahrscheinlich schon | |
etwas anders tönen als in diesem. Wie aber klingt sie in hundert Jahren? | |
Das kann nun wirklich kein Mensch vorhersagen, oder? | |
Nico Sauer, in Berlin lebender Komponist, versucht trotzdem, nach ganz weit | |
vorne zu blicken. In seinem Stück „Moonbreaker“, das am 3. November im | |
Berliner Zeiss-Großplanetarium aufgeführt wird und das er selbst ein | |
„Hörspiel mit Projektionen“ nennt, kann man ihn hören, den spekulativen | |
Sci-Fi-Sound von Überübermorgen. | |
Versprochen wird einem etwa „Vaporwave-Jazz“ und von Klängen, die eine KI | |
produziert hat. Die wurde freilich so programmiert, als sei sie bereits auf | |
einem technischen Niveau, das sie eigentlich erst in 100 Jahren haben kann. | |
Klingt abstrakt und kompliziert? Es kommt noch besser. Das Setting von | |
„Moonbreaker“ ist nicht der traurige Planet Erde, der nach Meinung | |
kartoffelbreiwerfender Bilderstürmer dann eh nicht mehr für Menschen | |
bewohnbar sein wird, sondern der Mond. | |
## Ein paar Vögel haben es auf den Mond geschafft | |
Die Menschen sind gerade dabei, sich in Klang aufzulösen und ernähren sich | |
nur noch von Schallwellen. Ein paar Vögel von der Erde haben es auch auf | |
den Mond geschafft. Wie diese dann in ihrer neuen Umgebung pfeifen und | |
zirpen werden, das wird man in Sauers Stück auch zu hören bekommen. | |
Er selbst nennt sein Stück einen „Trip“ und ein „irres | |
Science-Fiction-Ding“. Tim Florian Horn, Präsident des | |
Zeiss-Großplanetariums, der Sauer sein Okay für die Aufführung an seinem | |
Haus gegeben hat, sagt: „Ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich verstanden | |
habe, um was es hier genau geht.“ | |
Der 35-jährige Sauer, der in Karlsruhe und Dresden Komposition studiert | |
hat, unter anderem bei dem berühmten Komponisten [1][Wolfgang Rihm], hat | |
sich spezialisiert auf derartig durchgeknallte Konzepte, die mit der | |
herkömmlichen Neuen Musik, aus der er eigentlich kommt, kaum noch etwas zu | |
tun haben. Er selbst tritt bei seinen Projekten weniger als Komponist auf, | |
sondern vielmehr als Gestalter, Vordenker und Ermöglicher. | |
Für „Moonbreaker“ hat er das Drehbuch geschrieben und er hat das Hörspiel | |
produziert. Ein Stück nur hat er selbst komponiert, alle anderen sind | |
Auftragskompositionen. Und der Auftrag an Rapper und Soundforscher aus | |
aller Welt lautete in diesem Fall gemäß „Moonbreaker“-Konzept: Schreibt | |
Musik, von der ihr euch vorstellt, dass sie so in 100 Jahren klingt. | |
## Unterwasser-Musik | |
Sauers letztes großes Projekt in Berlin fand im vergangenen Sommer statt. | |
Es war kaum weniger bizarr als „Moonbreaker“. Damals rief er zur | |
Monsterjagd am Tegeler See auf. Beauftragte Komponisten und Komponistinnen | |
sollten sich vorstellen, dass es im Tegeler See eine unbekannte Kreatur | |
gibt, eine Art Ungeheuer im Badesee. Das wolle man nun an die Oberfläche | |
locken, und zwar mit Hilfe der Kompositionen, die unter Wasser abgespielt | |
werden. Sechs Wochen lang fuhr Sauer jeden Tag ins Strandbad Tegelsee, um | |
zu sehen, was passierte. Immerhin ein paar Kinder, so berichtet er, waren | |
sich ziemlich sicher, das Monster tatsächlich gesichtet zu haben. | |
Er glaubt: „Sound entsteht allein schon durch ein bestimmtes Konzept. | |
Dadurch, dass man sich vorstellt, wie etwas klingen könnte, klingt es | |
schon. Im Gehirn passiert dann etwas Ähnliches, wie wenn man wirklich mit | |
den Ohren hört.“ | |
Diese Philosophie kommt nun auch bei „Moonbreaker“ zum Tragen, wo allein | |
schon die Vorstellung einer Musik der Zukunft den eigentlichen Klängen | |
übergeordnet scheint. Auf Sauers Homepage, auf der sich allerlei lustiger | |
Quatsch findet und wo man unter anderem ein Computerspiel mit der | |
Kunstfigur Taxi Boat Nico spielen kann, gibt es dementsprechend auch einen | |
Onlineshop, in dem man „Klangideen“ erwerben kann, „Klänge, die man sich | |
nur vorstellen, aber nicht hören kann“. | |
„Moonbreaker“ wurde bereits in Planetarien in Jena und Bochum aufgeführt. | |
Endgültig fertig ist das Stück aber wohl nie, es wird weiter mutieren und | |
in Berlin anders aussehen als bei den bisherigen Stationen. | |
Nach dem Treffen mit Sauer in einem Friedrichshainer Café schickt er mir | |
eine Textnachricht, in der steht, er würde sich nun noch mit einem | |
„Sonnenesser“-Guru aus den USA über die Idee der reinen Ernährung durch | |
Schallwellen unterhalten, um die es ja auch bei „Moonbreaker“ geht. | |
Sogenannte Lichtesser, die glauben, eine Ernährung durch „feinstoffliche“ | |
Energie sei mehr oder weniger ausreichend für den menschlichen Organismus, | |
gibt es in der Esoterikszene wirklich. | |
1 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Musikfest-Berlin/!5714356 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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taz Plan | |
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