| # taz.de -- Kriminalität in Südafrika: Die andere Pandemie | |
| > Pro Stunde sterben in Südafrika drei Menschen durch Gewalt. Reiche | |
| > Menschen beauftragen Security, um sich zu schützen. Doch was ist mit den | |
| > Armen? | |
| Bild: Nach dem Mord an dem Teenager Amani Pula 2015 kam es monatelang zu gewalt… | |
| Kapstadt taz | Am 19. August 2022 stellt sich der Polizeiminister | |
| Südafrikas, Bheki Cele, vor die Kamera und sagt: „[1][Südafrika ist brutal | |
| und gefährlich für Frauen und Kinder.]“ Er spricht über [2][die jüngste | |
| Kriminalstatistik]: In nur drei Monaten, von April bis Juni, sind 855 | |
| Frauen und 243 Kinder getötet worden. Hinzu kommen über 9.500 registrierte | |
| Vergewaltigungen. Was er nicht sagt: Die meisten Opfer von ihnen sind arm | |
| oder extrem arm. Eine leitende Ärztin aus der Notaufnahme eines großen | |
| Kapstädter Krankenhauses schätzt, dass diese Gruppen mehr als 85 Prozent | |
| der Opfer ausmachen. | |
| Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa nennt dies „eine zweite Pandemie nach | |
| Corona“ und verspricht erneut „mehr Training“ und „bessere Ausstattung�… | |
| die Polizei, die, schlecht bezahlt, immer wieder in Korruption und | |
| Waffenhandel verstrickt ist. Und sie fehlt an allen Ecken und Enden: 2019 | |
| gab es nur etwa 193.00 Polizist*innen in Südafrika. Ihnen gegenüber | |
| standen rund 498.000 gut ausgerüstete Wachleute, die sich aber nur | |
| Wohlhabende und Unternehmen leisten können. Auf jede*n Polizist*in | |
| kamen also 2,5 private Sicherheitskräfte. | |
| Doch nicht alle können sich ihre Sicherheit kaufen. Laut einem | |
| Weltbank-Bericht von 2019 ist Südafrika das Land mit der größten | |
| Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Demnach besitzen 10 Prozent der | |
| Bevölkerung mehr als 71 Prozent von Land und Wohlstand. 60 Prozent der | |
| armen Südafrikaner*innen müssen sich dagegen 7 Prozent an Besitz | |
| teilen. Für diese 60 Prozent, aber auch für weite Teile der unteren | |
| Mittelklasse, sind private Sicherheitskräfte keine Option. Was tun aber nun | |
| die, die sich keine Wachleute leisten können? | |
| In Gegenden, wo eher mittelständische Menschen zwar eine Wohnung oder ein | |
| einfaches Haus besitzen, aber sonst keinen großen Luxus, haben sich | |
| Nachbar*innen oft zusammengetan zu sogenannten Neighbourhood Watches. | |
| Ausgerüstet mit Taschenlampe und Knüppel, erkennbar an ihren blauen | |
| Plastikwesten, patrouillieren sie nach Einbruch der Dunkelheit durch die | |
| Straßen. Sie halten an, wer „verdächtig“ wirkt, also unbekannt ist und | |
| ärmlich gekleidet. Gärtner*innen und Putzhilfen werden an die | |
| Neighbourhood Watch gemeldet, um ihnen auf ihrem Heimweg freies Geleit zu | |
| sichern. | |
| ## Gewaltvolle Proteste im Jahr 2015 | |
| In Townships hingegen gibt es zuweilen sogenannte Straßenkomitees, in denen | |
| Nachbar*innen sich treffen, um Probleme gemeinsam anzugehen, wie zum | |
| Beispiel Müllabfuhr oder Straßenbeleuchtung oder auch Kriminalität. Zu | |
| Zeiten der Apartheid wurden hier auch politische Aktionen organisiert. Das | |
| ist heute eher die Ausnahme. | |
| Der 71-jährige Themba M. aus dem Township Masiphumelele bei Kapstadt war | |
| Mitglied eines dieser Komitees: „Ich zog damals aus einem Dorf im Ostkap | |
| hier ins Westkap auf der Suche nach Arbeit. Jetzt bin ich alt, ich will zu | |
| Hause sterben. Hier ist es mir zu gefährlich geworden. Da kann auch unser | |
| Komitee nicht mehr gegen an.“ | |
| „Hier“ kam es 2015 zu mehreren Monaten voller gewaltsamer Proteste, nach | |
| dem Mord an einem 14-jährigen Jungen, dessen Name bis heute unvergessen | |
| ist: Amani Pula. | |
| Lumka P. war damals selbst Teenager in der Nachbarschaft. „Amani war von | |
| einem Onkel, der mit Drogen handelte, vergewaltigt und ermordet worden“, | |
| erzählt der 24-Jährige. „Unsere Eltern und wir Jugendlichen kannten die | |
| Drogenhändler und hatten sie mehrfach bei der Polizei angezeigt. Die | |
| steckte aber mit den Kriminellen unter einer Decke und tat nichts. Da | |
| verloren einige von uns die Nerven und zündeten zwei Häuser von | |
| Drogenhändlern im Township an. In der Nacht darauf wurde einer von den | |
| Druglords erschlagen.“ Wer genau in die Brandstiftung verwickelt war, wer | |
| in die Lynchmorde, ob auch einzelne Personen aus dem Straßenkomitee | |
| involviert waren, ließ sich nie abschließend klären. Doch die meisten | |
| Menschen aus dem Township und den Komitees wollten gerade diese Art von | |
| Selbstjustiz verhindern. | |
| Mit brennenden Reifen blockierten sie die Hauptstraße Richtung Kapstadt. | |
| Selbst die angeforderten Soldat*innen konnten keine Ruhe herstellen. | |
| Schließlich kamen erst das Fernsehen und dann die Politik, um mit den | |
| Protestierenden zu verhandeln. Die Forderungen waren bescheiden. | |
| ## Mehr Sicherheit für alle | |
| Eine eigene Polizeistation für das Township mit seinen mehr als 40.000 | |
| Bewohner*innen sollte her. Es war eine Forderung nach mehr Sicherheit | |
| für alle. Am Ende wurde ein Polizeibus mit zwei Polizist*innen zugesagt, | |
| die zumindest acht Stunden tagsüber anwesend sein würden. Die Maßnahme hat | |
| nur mäßigem Erfolg. Die Drogenhändler trauen sich zwar nicht mehr mit ihren | |
| teuren Autos in das Township, parken inzwischen aber wieder in der Nähe der | |
| Einfahrtstraße, von wo sie mies bezahlte Jugendliche mit dem „Stoff“ | |
| losschicken. | |
| Drogen waren auch mit ein Grund, warum Kolumbien früher die Statistiken zur | |
| Gewaltkriminalität lange anführte. Seit gut zwei Jahrzehnten steht | |
| Südafrika an erster Stelle. Die Mordzahlen nehmen selbst weiter zu, | |
| [3][gegenwärtig um 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr] – auf insgesamt | |
| fast 26.000 Morde im Jahr. Pro Stunde sterben in Südafrika drei Menschen | |
| eines gewaltsamen Todes. | |
| Dass in Südafrika nicht alle Mordopfer gleiche Aufmerksamkeit erhalten, | |
| zeigt eine Woche im Oktober. Der Raubüberfall am 3. Oktober auf vier | |
| deutsche Touristen in der Nähe des Krüger Nationalparks, der zum Tod des | |
| 67-jährigen Fahrers Jörg S. führte, interessierte die internationale | |
| Presse. Die Tourismus-Ministerin Lindiwe Sisulu traf die drei Überlebenden; | |
| [4][Polizeiminister Cele erschien umgehend am Tatort]. Immer wieder | |
| betonten offizielle Stellen, dass es sich hier um „eine Ausnahme“ handeln | |
| würde. | |
| Zwei Tage später, am 5. Oktober, wurden während eines Konflikts zwischen | |
| Gangs zwei Mitglieder ermordet. Sonst bekämpfen sich Drogenbanden oder | |
| Kleinbussyndikate, sogenannte Taxi-Gangs, eher auf eigenem Terrain in den | |
| großen Townships. Zu oft werden hierbei auch Unbeteiligte Opfer von | |
| Schießereien. Zu landesweiten Berichten kam es nur deshalb, weil sie an | |
| Kapstadts Luxusstrand Camps Bay am helllichten Tag „hingerichtet“ wurden. | |
| Von den Medien unbeachtet hingegen blieb der Tod einer 21-jährigen Frau am | |
| darauffolgenden Abend, dem 6. Oktober. Auf dem Heimweg in Soweto griffen | |
| drei betrunkene Männer sie an, belästigten sie sexuell. Als die Frau sich | |
| wehrte, wurde sie erstochen. Nur durch einen Bekannten, der vergeblich | |
| versucht hatte, die Polizei zu alarmieren, erfuhr ich zufällig davon. | |
| Morde wie an der jungen Frau werden inzwischen als „gewöhnlich“ angesehen … | |
| abends im Township und dann noch mit Alkohol im Spiel. Bei rund 70 | |
| Mordopfern pro Tag in Südafrika reicht das Mitgefühl der Öffentlichkeit | |
| einfach nicht. Polizeiminister Cele sieht „Armut, Ungleichheit und | |
| Arbeitslosigkeit“ als Hauptursachen von Gewaltverbrechen. | |
| ## Doch wer kümmert sich? | |
| Unter den 15- bis 24- Jährigen liegt die [5][Arbeitslosigkeit landesweit | |
| bei 64 Prozent], in Townships und armen ländlichen Gebieten bei bis zu 85 | |
| Prozent. Jedes Jahr schaffen zwar rund 900.000 junge Leute ihr Matrik (dem | |
| Abitur vergleichbar), doch die wenigsten Eltern können danach die teuren | |
| Studiengebühren zahlen. Stipendien gibt es nur wenige. Und an beruflichen | |
| Ausbildungen mangelt es auch. | |
| Afrikanische Geflüchtete sind auch häufig unter den Opfern. Oft aus | |
| Simbabwe oder Somalia geflüchtet, werden sie von rechter Politik als | |
| „Konkurrenz“ um die wenigen Arbeitsplätze denunziert. | |
| „Ich habe jetzt einen Job bei einer radikalen Partei“, sagt Sipho R. aus | |
| dem Township Nyanga bei Kapstadt. Seit vier Jahren ist er trotz gutem | |
| Schulabschluss arbeitslos. „Die Partei will alle Weißen enteignen in | |
| Südafrika – und zahlen ein Taschengeld, wenn wir ihre Zettel verteilen, | |
| auch wenn ich nichts gegen Weiße habe. Einige meiner Freunde klauen | |
| inzwischen. So weit bin ich noch nicht.“ | |
| Wie Sipho geht es vielen seiner Generation. Bei einer Bevölkerung von gut | |
| 60 Millionen Menschen stellen junge Leute zwischen 18 und 34 Jahren fast | |
| ein Drittel aller Südafrikaner*innen. Auch um sie wollen manche | |
| Straßenkomitees sich kümmern. Mandy P., die Mutter von Lumka aus | |
| Masiphumelele, wo der junge Amani ermordet wurde, setzt sich dafür ein. | |
| Dazu wurde dort ein Straßenkomitee von früher aktiviert: „Wir alle lehnen | |
| Gewalt ab. Mein Sohn trommelt jetzt viermal pro Woche junge Leute zum | |
| gemeinsamen Sport zusammen – wie Fitness und Fußball. Vor Kurzem haben wir | |
| Geld gesammelt unter denjenigen von uns, die Arbeit haben. Jetzt haben sie | |
| sogar eigene Trikots und sind stolz drauf. Wenn der Staat es nicht schafft, | |
| müssen wir unserer Jugend Aufgaben geben. “ | |
| 30 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=uvclocKQrhw | |
| [2] https://www.gov.za/speeches/minister-bheki-cele-quarter-one-crime-statistic… | |
| [3] https://www.timeslive.co.za/news/south-africa/2022-08-19-crime-stats-murder… | |
| [4] /Mord-an-deutschem-Touristen-in-Suedafrika/!5886416 | |
| [5] https://www.statssa.gov.za/?p=15407 | |
| ## AUTOREN | |
| Lutz van Dijk | |
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