# taz.de -- Vom Wert Olympischer Spiele: Aristokrat im Dienst des DDR-Sports | |
> Warum einst Ringen wirklich wichtig war. Und wie ein Adeliger mit | |
> Nazi-Vergangenheit aus dem Westen zum großen Olympiafunktionär der DDR | |
> wurde. | |
Bild: Halbfliegengewichtler Claudio Pollio packt seinen Gegner bei den olympisc… | |
Ich weiß noch, wie ich, im Fernsehen lief [1][Olympia in Moskau], die | |
Medaillen des Tages in ein Heftchen eintrug und danach einen Wutanfall | |
bekam, denn ich hatte den Halbfliegengewichtler Saksylik Uschkempirow an | |
die falsche Stelle gesetzt. Der siegreiche Russe, keine 48 Kilogramm | |
schwer, kämpfte in der griechisch-römischen Technik, der Italiener Claudio | |
Pollio, auch er so leicht wie eine halbe Fliege, war Freistilringer. Ich | |
hatte die beiden verwechselt, und das trieb mich zur Weißglut. Diese kleine | |
Episode illustriert, wie ernst die Olympischen Spiele schon von 9-jährigen | |
Kindern genommen wurden. | |
Olympia stand in der DDR auf Platz eins, dann kam Fußball, dann irgendwas. | |
Die Mittel flossen dorthin, wo es im Wettstreit mit dem Westen viele | |
Medaillen zu gewinnen gab. Der Bereich „Sport I“ mit 18 Sportarten erhielt | |
drei Viertel des Geldes, die restlichen 17 Sportarten 25 Prozent: Sport II. | |
[2][Olympia galt als Exerzierfeld der Ideologen], auf dem ein | |
Stellvertreterkrieg der Blöcke inszeniert wurde. Niemand in der | |
DDR-Nomenklatura wäre auf die Idee gekommen, Sport und Politik zu trennen. | |
Beide Sphären klebten so fest aneinander wie heute die Hände von | |
Klimabewegten am Asphalt. | |
Einer der größten olympischen Propagandisten in der DDR war ausgerechnet | |
ein Adeliger mit Nazi-Vergangenheit: Manfred von Brauchitsch. Der Spross | |
aus einem schlesischen Adelsgeschlecht wurde 1960 Präsident der | |
Gesellschaft zur Förderung des Olympischen Gedankens in der DDR, kurz DFOG. | |
Die Geschichte, wie er zu diesem Posten kam, ist abenteuerlich, denn | |
Manfred von Brauchitsch, Herrenfahrer pfeilschneller Mercedes-Boliden, | |
Sturmführer des NS-Kraftfahrercorps, persönlicher Referent von Junkers-Chef | |
Heinrich Koppenberg und Referent im Reichsministerium für Rüstung und | |
Kriegsproduktion unter Albert Speer, diente sich den DDR-Oberen an. Schon | |
1950 kam er mit Walter Ulbricht in Kontakt. | |
## Flucht in die DDR | |
Brauchitsch unterzeichnet seinerzeit einen Aufruf der Sozialistischen | |
Einheitspartei Deutschlands „gegen eine Remilitarisierung Deutschlands“ und | |
wird 1951 Mitorganisator der kommunistischen Weltjugendspiele. Sein Buch | |
„Kampf um Meter und Sekunden“ erscheint 1953 in einem Ost-Verlag; das | |
Honorar lässt ihm Ulbricht in Westmark überweisen. | |
All das bringt ihm im Westen Ärger ein. Brauchitsch kommt wegen | |
„Vorbereitung zum Hochverrat, Geheimbündelei und Staatsgefährdung“ für a… | |
Monate ins Gefängnis, Untersuchungshaft. Einer erneuten Verhaftung entzieht | |
er sich durch Flucht in die DDR. | |
Seine Karriere als Funktionär beginnt. Brauchitsch, der nach Aussage des | |
ehemaligen Pressesprechers des DDR-Olympiakomitees, Volker Kluge, nie in | |
der SED war, erhält als Olympia-Promoter drei Mal den Vaterländischen | |
Verdienstorden und 1988 den Olympischen Orden des IOC – was Manfred Ewald, | |
Chef des DTSB, missfallen haben soll, verständlich, fremdelte die | |
kleinbürgerliche Elite doch mit dem „Weltmann“ (Kluge), der „nie seinen | |
aristokratischen Dünkel ablegen konnte“. | |
Kluge, selber Stasi-belastet (IM „Frank“), hält den ehemaligen Rennfahrer | |
für einen „ehrlichen Makler“, der vom Westen schlecht behandelt worden sei, | |
doch nach der Wende war es ausgerechnet der Mercedes-Konzern, der dessen | |
karges Rentendasein finanziell aufbesserte. | |
21 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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