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# taz.de -- Ukrainische Armee: General des Glücks
> Er ist das Gesicht des militärischen Erfolgs der Ukraine.
> Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. Er hat die Armee modernisiert und
> neu aufgestellt.
Bild: Modernisierer des Militärs: Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee …
Nach der erfolgreichen Gegenoffensive der ukrainischen Armee im Gebiet
Charkiw schrieb der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte auf
Facebook: „Wir sind hier zu Hause. Und unsere Heimat überlassen wir niemand
anderem. Den Feinden werden wir nicht vergeben.“ Hinter diesen Sätzen steht
Walerij Saluschnyj, der „Eiserne General“, das Gesicht des ukrainischen
Militärerfolgs.
Vor allem in sozialen Medien wird der General unter Ukrainer*innen
derzeit gefeiert wie kaum ein anderer. Viele ukrainische Accounts haben ein
Porträt Saluschnyis als Profilfoto, in einem vielfach geteilten
Tiktok-Video heißt es: „Wenn Saluschnyi einen dunklen Raum betritt, macht
er nicht das Licht an, sondern schaltet die Dunkelheit aus.“
Umfragen zufolge ist Saluschnyj nach Präsident Wolodimir Selenski die
beliebteste Person in der Ukraine. Und auch das Time-Magazin wählte ihn
bereits im Frühjahr unter die Top 100 einflussreichsten Persönlichkeiten
der Welt und widmet ihm in seiner [1][aktuellen Ausgabe die
Titelgeschichte].
Einen deutlichen Schub erhielt seine Prominenz vor zwei Wochen, als dem
ukrainischen Militär eine blitzartige Gegenoffensive gelungen ist – genau
in dem Moment, in dem der Krieg einzufrieren schien. Im Nordosten des
Landes überraschten die Ukrainer die russischen Truppen, die ungeordnet
flohen und große Teile okkupierten Landes aufgaben. In Kombination mit
einer zweiten Operation im Süden verkünden die ukrainischen Streitkräfte,
sie hätten über 6.000 Quadratkilometer Land und Dutzende Städte und Dörfer
von russischer Kontrolle in weniger als zwei Wochen befreit und
Nachschubwege des Feindes abgeschnitten.
Wer ist der Mann, dem diese Erfolge zugeschrieben werden?
Der 49-jährige Saluschnyj ist der erste ukrainische Oberbefehlshaber, der
nicht in der Sowjetarmee gedient hat. Sein Vater war dort noch
Berufssoldat. Er selbst hat seine Kindheit auf Schießübungsplätzen
verbracht und wollte schon immer Soldat werden. Als er in die Armee kam,
war die Ukraine bereits unabhängig: Nach dem Abschluss der Militärakademie
1997 trat Saluschnyi in die Armee ein und durchlief alle Stufen des
Militärdienstes, vom Zugführer über den Bataillons- und Oberkommandeur.
Wolodimir Selenski hatte Walerij Saluschnyj im Juli 2021 auf diesen Posten
gesetzt. Das sei auch für ihn selbst unerwartet gewesen. „Meine
Beförderungen waren wie die eines einfachen Soldaten. Ich wurde ernannt und
habe mein Amt angetreten. Man hat mir ein neues Amt angeboten, ich habe es
angenommen. Und so ging es immer weiter, aber ich hätte nie gedacht, dass
ich mal hochrangiger General würde“, sagte er in einem Interview.
Saluschnyj, der fließend Englisch spricht und drei Hochschulabschlüsse hat,
erklärte gleich nach seiner Ernennung, die Streitkräfte von sowjetischen
auf Nato-Standards bringen zu wollen. In seiner ersten Rede an seine
Untergebenen erklärte er: „Die Veränderungen müssen weitergehen, vor allem
in der Weltanschauung und der Einstellung zu den Menschen. Ich möchte, dass
Sie Ihr Gesicht den Menschen zuwenden, Ihren Untergebenen. Meine
Einstellung zu Menschen hat sich während meiner gesamten Dienstzeit nicht
geändert.“
Als offener und moderner General wird der Oberkommandeur auch von den
ukrainischen Offizieren beschrieben. Sie sagen, er verstehe die Probleme
auch der untersten militärischen Ränge so gut, weil er diese selber alle
durchlaufen habe.
## Im Team mit dem Präsidenten
Präsident Selenski betont, dass es keine Missverständnisse zwischen ihm und
der Armeeführung gibt: „Wir arbeiten als Team.“ Anders als Selenski ist
Saluschnyj allerdings keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Er
meidet Auftritte. Sein erstes Interview seit Beginn des Krieges ist das
diese Woche im Time-Magazin erschienene.
Saluschnyj lächelt meistens, er hat Humor, macht gerne Selfies und treibt
Sport. Wenn er nicht Uniform tragen muss, zeigt er sich gern im T-Shirt.
Trotz seines hohen Ranges gilt er nicht als hochmütig oder herrisch. Dass
er die neue Generation ukrainischer Generäle verkörpert, zeigt sich aber
nicht nur an äußerlichen Faktoren, sondern vor allem auf dem Schlachtfeld.
Der General gilt als Schlüsselfigur für das Scheitern des russischen
„Blitzkriegs“, nach dem Kyjiw in drei Tagen eingenommen werden sollte. Und
auch, dass es der russischen Armee nicht gelang, den gesamten Donbass bis
zum 9. Mai vollständig zu erobern, wird der Strategie des Generals
zugerechnet.
## Theorie und Praxis
Was Walerij Saluschnyj auszeichnet, ist, dass er seine militärischen
Kenntnisse nicht nur aus dem Hörsaal hat, sondern vom Schlachtfeld: 2014
befehligte er eine Brigade, die an den blutigen Kämpfen um die Stadt
Debalzewe im Donbass teilnahm, und ab 2019 war er Leiter des
Einsatzkommandos Nord, wo er mit der Bildung von Kampfeinheiten betraut
war.
Beim Angriff auf Kyjiw im Februar war die russische Armee der ukrainischen
zahlenmäßig und technisch deutlich überlegen. Daher beschloss die
ukrainische Militärführung, die russischen Kolonnen nicht auf dem Weg
zurückzuhalten, sondern ins Land zu lassen, um sie mürbe zu machen. Während
die russische Armee in der Regel einen Feuersturm startet und unter großen
Verlusten Territorium besetzt, setzte die ukrainische Armee darauf, die
russischen Konvois aus dem Hinterhalt zu überfallen und Artillerie aus
großer Distanz abzufeuern.
Sicher, ohne die Waffen aus dem Westen wäre die ukrainische Armee heillos
unterlegen. Das aber leugnet auch niemand in der Ukraine. Und sicher, es
ist nicht Saluschnyis Verdienst allein, es gibt weitere Offiziere, Generäle
und militärische Geheimdienstchefs neben ihm, die Militärexperten nennen,
wenn es um die Verantwortung für die Erfolge geht.
Saluschnyi wird zugeschrieben, dank seiner Erfahrung und auch dank
zahlreicher gemeinsamer Manöver mit Soldaten aus Nato-Mitgliedsstaaten,
eine Vision von einer ukrainischen Armee entwickelt zu haben, die
selbstständig denken und entscheiden kann. So entstand eine Gruppe von
Offizieren, die eine dezentralisierte, selbstbestimmte und im Gegensatz zur
russischen Militärpraxis flexiblere Art der Kriegsführung anstrebe.
So habe Saluschnyi Einheiten gebildet und Kampfstrategien entwickelt, die
unter anderem auf der guten Ortskenntnis der Soldaten beruhten: Mobile
Gruppen, die sich schnell bewegten und nach dem Prinzip „beißen und rennen“
operierten. Sie rückten vor, zerstörten die Ausrüstung des Feindes und
zögen sich zurück. Eine „Guerilla“- Methode, die in der ukrainischen Armee
jetzt als Standard gilt. Die kleineren Einheiten erforderten zwar mehr
persönliche Initiative und innovative Entscheidungen durch Feldwebel,
Unteroffiziere und Hauptmänner. Aber genau das mache ihren Erfolg gegen die
behäbigen Russen aus.
## Gut geschulte Nachwuchskräfte
„Zu uns kommen junge Leute, Absolventen der Militärakademien. Das sind
völlig andere Menschen, nicht solche, wie wir es früher als Leutnants
waren“, sagte Saluschnyi letztes Jahr in einem Interview. „Fast alle
beherrschen Fremdsprachen, sind belesen und versiert im Umgang mit moderner
Kommunikationstechnik. In fünf Jahren werden sie die Armee komplett
verändert haben. Das sowjetische Denken stirbt aus – ob man es will oder
nicht“.
Dieser Punkt ist entscheidend nach Ansicht von Militärexperten. In der
russischen Armee gäbe es noch das traditionelle Kommandomodell, in dem nur
die Befehlshaber Entscheidungen träfen, die von oben nach unten
weitergegeben würden. Saluschnyj hingegen verfolge ein Führungsmodell, in
dem er alle Untergebenen ungeachtet ihres Ranges und ihrer Position mit
Respekt behandele und diese ihn dafür ebenfalls respektierten.
Ein weiterer Aspekt, den die neue ukrainische Armee im Vergleich zur
russischen Truppenführung auszeichnet, betrifft die Sicherheit der
Soldaten. Diese habe laut Saluschnyi im Zweifel klar Vorrang vor dem Halten
von Gebieten. Während der Kämpfe um Lyssytschansk und Sewerodonezk ließ
sich das beobachten: Unter dem Ansturm der russischen Artillerie und
Infanterie zog sich die ukrainische Armee zurück.
## Glücksfall für die Ukraine
Walerij Saluschnyj ist für die Ukraine ein militärischer Glücksfall. Dass
er schon jetzt Historisches geleistet hat, finden nicht nur die Ukrainer
und Ukrainerinnen. Er sei „der militärische Kopf, den sein Land brauchte“,
sagt auch Mark Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der
US-Streitkräfte. Seine Taten „werden in die Geschichte eingehen“. Und für
Saluschnyis Nachfolger werde die Messlatte außerordentlich hoch sein,
schreibt die ukrainische Zeitschrift Nowoje Wremja.
Wie der Krieg ausgeht, ob die Offensive des Spätsommers 2022 die Wende im
Krieg oder nur eine Etappe sein wird, wissen wir nicht. Aber sie wird im
Gedächtnis bleiben als der Moment, in dem der Krieg einzufrieren drohte und
es zum ersten Mal so aussah, als könne die Ukraine den Krieg wirklich
gewinnen.
Saluschnyj ist überzeugt, dass die ukrainische Armee alle von Russland
besetzten Gebiete zurückerobern kann. Wenn die Unterstützung durch die
westlichen Partner weitergehe und ausgedehnt würde, noch schneller. „Wir
haben den Feind an allen Fronten gestoppt. Wir haben ihnen solche Verluste
zugefügt, wie sie noch nie erlebt haben und sich nicht hatten vorstellen
können. Alle Ukrainer wissen das. Die ganze Welt weiß das“, meint der
ukrainische Oberkommandeur und fügt hinzu: „So schwer es auch für uns sein
wird, dieser Krieg wird keine Schande für uns sein.“
Aus dem Russischen [2][Gaby Coldewey]
1 Oct 2022
## LINKS
[1] https://time.com/6216213/ukraine-military-valeriy-zaluzhny/?utm_source=twit…
[2] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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