| # taz.de -- Rassistische Attacke auf Dreijährigen: „Die Hemmschwelle sinkt“ | |
| > Sabine Seyb von der Opferberatungsstelle Reach Out über rassistische | |
| > Angriffe auf Kinder und was die Gesellschaft dagegen tun kann. | |
| Bild: Für Betroffene einstehen ist essenziell in der Bekämpfung von strukture… | |
| taz: Anfang der Woche wurde ein dreijähriges Kind in Zehlendorf von einer | |
| Frau mit wohl rassistischer Motivation körperlich angegriffen. Passiert so | |
| etwas öfter? | |
| Sabine Seyb: Wenn wir unsere Statistik anschauen, beobachten wir eine | |
| erschreckende Kontinuität von rassistischen Angriffen auf Kinder und | |
| Jugendliche. Von Anfang 2018 bis Ende Juni 2022 haben wir 170 Fälle | |
| registriert, in denen Kinder von rassistischer Gewalt betroffen waren. Im | |
| selben Zeitraum waren 101 Jugendliche betroffen. Dann gibt es auch die | |
| Taten, bei denen Kinder dabei sind und zuschauen müssen, wenn ihre | |
| erwachsenen Begleitpersonen von rassistischer Gewalt betroffen sind. Das | |
| waren im gleichen Zeitraum etwa 64 Kinder. Die psychischen Folgen sind für | |
| die Kinder und Jugendlichen und für ihre Familien häufig schwerwiegend. Die | |
| Betroffenen erleben die Angriffe oft als besonders traumatisch, weil | |
| Passant*innen meistens nicht eingreifen und helfen. | |
| Warum nicht? | |
| Zum einen gibt es Menschen, die rassistisch sind und Vorfälle, die sie | |
| beobachten, als “nicht schlimm“ einordnen oder sogar offen zustimmen. Dann | |
| gibt es aber auch jene, die vielleicht nicht einschreiten, weil sie selber | |
| Angst haben. Es gibt aber immer eine Möglichkeit einzuschreiten und Hilfe | |
| zu holen, ohne sich selbst zu gefährden. | |
| Woher kommen die Zahlen? | |
| Wir beobachten systematisch die Medien und Polizeipressemeldungen, um von | |
| Fällen zu erfahren. Zum anderen informieren uns auch unsere berlinweiten | |
| Netzwerke und Kooperationspartner*innen in den Bezirken über | |
| Angriffe. Zudem wenden sich ja die Betroffene auch direkt an uns, weil sie | |
| Unterstützung brauchen. Auch mit den Berliner Registern, die extrem rechte, | |
| rassistische, antisemitische, antifeministische, LGBTIQ*-, obdachlosen- | |
| oder behindertenfeindliche Fälle dokumentieren, tauschen wir uns aus. | |
| Woran liegt es, dass so häufig Kinder betroffen sind? | |
| Das ist eine Entwicklung, die wir über die letzten Jahre konstant | |
| beobachten können. Das Problem ist, dass die Hemmschwelle der | |
| Angreifer*innen sinkt. Wir reden ja hier nicht in erster Linie von | |
| Neonazis, die solche Taten verüben, sondern eben von Personen, die | |
| rassistisch denken und ihre Überzeugung quasi im Vorbeigehen auch | |
| gewalttätig äußern. Die Täter*innen wiegen sich in Sicherheit, was ja | |
| leider zu oft zutrifft, weil eben niemand eingreift und sie nicht zur | |
| Verantwortung gezogen werden. | |
| Woran liegt das? | |
| Es ist wichtig, das Problem im Zusammenhang mit institutionellem Rassismus | |
| zu sehen. Solange Intitutionen und politisch Verantwortliche rassistisch | |
| sprechen und handeln, Menschen diskriminieren und ausgrenzen, lassen sich | |
| die Taten auf der Straße kaum verhindern. Je konsequenter und klarer | |
| beispielsweise Politiker*innen auf rassistische Taten reagieren und | |
| Solidarität mit den Opfern zeigen, desto höher die Chance, dass die | |
| Angreifer*innen sich in ihrem Handeln nicht länger ermutigt fühlen | |
| können. Dazu gehört auch eine konsequente Strafverfolgung, bei der die | |
| Motive solcher Taten ermittelt, als strafverschärfend gewürdigt werden und | |
| vor allem den Betroffenen geglaubt wird. Das gleiche gilt natürlich für | |
| Pädagog*innen und Lehrer*innen in den Umfeldern der betroffenen | |
| Kinder. Würde eine klare Kante gezeigt werden, gäbe es nicht so eine | |
| niedrige Hemmschwelle. | |
| Was muss passieren, um die Situation für Betroffene zu verbessern? | |
| Einerseits müssen beispielsweise Lehrer*innen und Erzieher*innen für | |
| Rassismus sensibilisiert werden. Sie müssen Stellung beziehen für die | |
| betroffenen Kinder und Jugendlichen und eben nicht wegschauen, schweigen | |
| oder das Problem herunterspielen. Es passiert noch viel zu oft, dass | |
| Betroffenen nicht geglaubt wird oder Menschen im Umfeld einfach wegschauen. | |
| Am wichtigsten ist aber das Zeug*innen eingreifen und sich solidarisch in | |
| den Situationen zeigen. Macht ein Kind die Erfahrung eines rassistischen | |
| Übergriffes und niemand schreitet ein, ist das Weltbild des Kindes oft | |
| zutiefst erschüttert und das Grundvertrauen in ihre Umwelt zerstört. | |
| Schreitet aber eine erwachsene Person ein, können Kinder ein so | |
| schreckliches Erlebnis besser verarbeiten. | |
| Was raten Sie Betroffenen? | |
| Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen Unterstützung und | |
| Beratung in Anspruch nehmen können. Sei es bei uns, bei der psychologischen | |
| Beratung von OPRA oder auch in den eigenen Netzwerken und Communities. | |
| Zudem gibt es speziell für Kinder mit Rassismuserfahrungen und deren Eltern | |
| das Projekt PowerMe. Ziel des Projektes ist es, die Kinder im Umgang mit | |
| Rassismus und Diskriminierung zu begleiten und zu stärken. | |
| 8 Sep 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Max Leyendecker | |
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