# taz.de -- Fußballverein dreht Imagefilm: Das Bremer Schlüsselloch | |
> Nun hat es auch Werder getan: eine Doku über sich selbst gemacht. | |
> Herausgekommen ist Happy-End-Entertainment mit Zoff und Zärtlichkeiten. | |
Bild: Warmhalten im Pyronebel: Niclas Füllkrug und Milos Veljkovic von Werder … | |
BREMEN taz | Abergläubisch durften die [1][Verantwortlichen bei Werder | |
Bremen] nicht sein, als sie sich im Sommer 2021 entschieden, die anstehende | |
Zweitligasaison mit der Kamera zu begleiten. Es hätte schließlich auch wie | |
beim AFC Sunderland laufen können, wo 2017 nach dem Abstieg die Rückkehr | |
in die Premier League dokumentiert werden sollte. Stattdessen stand am | |
Ende sogar der Abstieg in die Dritte Liga und der Verkauf des Klubs. | |
Da die Doku „Til I Die“ aus dem „düsteren Scheitern“ des Clubs | |
„triumphierendes Fernsehen“ machte, wie The Independent schrieb, und | |
zeitgleich erfolgreiche Serien über Juventus Turin und Manchester City | |
entstanden, ließen auch einige Clubs in Deutschland Streaming-Serien über | |
sich herstellen. Von „Inside Borussia Dortmund“ über „Underground Berlin… | |
bis zu „Bayern München – Behind the Legend“ verraten schon die Titel die | |
Währung, mit der diese Dokus handeln. | |
„Authentizität und Nahbarkeit stehen an erster Stelle“, schreibt die | |
Streaming-Plattform Dazn nun auch über „Ein Jahr zweite Liga – Die Werder | |
Doku“, mit deren Ausstrahlung sie heute beginnt. | |
Wenn damit der Blick durchs Schlüsselloch gemeint ist, der dem Fan zeigt, | |
dass es sich bei Baumann, Bittencourt und Füllkrug um ganz normale Menschen | |
handelt, werden die Erwartungen erfüllt. Der Gesichtsausdruck, mit dem | |
Maximilian Eggestein nach seinem Verkauf an den SC Freiburg durch die | |
Katakomben streift und seine Habseligkeiten in einem blauen Müllbeutel | |
zusammensammelt, erinnert an das Gefühl, mit dem man selbst schon mal einen | |
Arbeitsplatz räumen musste. | |
## Einblick in die Kabine | |
Wenn Trainer Markus Anfang vor einem Spiel oder in der Halbzeit eine | |
Brandrede hält, in der er die Spieler daran erinnert, dass hier | |
„Leistungsgesellschaft ist – da geht es ums Gewinnen“, dann kennen viele | |
solch vermeintlich motivierende Übersprungshandlungen aus ihrer | |
Kreisliga-Kabine. Als die [2][sportliche Leitung überlegt], ob Ömer Toprak | |
verkäuflich ist und ob man Mitchell Weiser verpflichten soll, ist der Ton | |
kein anderer als bei einer Vorstandsdiskussion im Turnverein über die | |
Anschaffung neuer Gymnastikbälle. | |
Und wenn der frisch verpflichtete Weiser vor dem Spiegel in verschiedenen | |
Posen testet, wie ihn das Werder-Trikot kleidet, denkt mancher an den | |
Stolz, mit dem er selbst das erste Mal Vereinsfarben angelegt hat. Da gibt | |
es Zoff und Zärtlichkeiten und auch überraschende Bekenntnisse – wie die | |
von Sportchef Frank Baumann: „Wenn wir Ömer abgeben und dann zwei Spiele | |
verlieren, bin ich weg.“ | |
Das ist überwiegend unterhaltsam, wobei die ruckelnde Kamera und der | |
teilweise schwer verständliche Ton die Schlüssellochperspektive noch | |
verstärken. Ob die Werder-Serie, wie die Sunderland-Doku, auch zum Triumph | |
des Fernsehens wird, hängt davon ab, wie die in den ersten beiden Folgen | |
angelegten Spannungsbögen weiterverfolgt werden. | |
Wie entwickelt sich die Freundschaft zwischen Bittencourt und Weiser | |
weiter? Wie geht Niklas Füllkrug mit seinem Frust nach der Verpflichtung | |
von Marvin Ducksch um und ist Frank Baumann wirklich der große Stoiker, an | |
dem noch jede Krise abzuprallen scheint? | |
Eine Stärke von „Til I die“ ist, dass sie die Geschichte des AFC | |
Sunderlands in den Kontext von Stadtentwicklung, Arbeiterklasse und | |
Fankultur stellt. Dass der Werder-Film dies nicht in gleichem Maße leistet, | |
ist schon in den Bedingungen dieser Low-Budget-Produktion angelegt. 237 | |
Stunden Rohmaterial drehte das clubeigene TV-Team, die Agentur „Team | |
Nawrot“ machte daraus mit den Filmemachern Fabian Nolte und Henrik Paro den | |
fertigen Film. | |
Um das Kabinengeflüster soziokulturell einzubetten, wurden zusätzliche | |
Interviews geführt, unter anderem mit SZ-Reporter Ralf Wiegand und dem | |
Werder-Fan Maxi Kamp, die die Bedeutung des Klubs für die Stadt und die | |
Anhänger beschreiben. Niklas Füllkrug erläutert im Interview vieles näher, | |
was Kamera und O-Ton nur andeuten. Das ist informativ, unterläuft in seiner | |
Bravheit aber die Trash-Ästhetik des Restes. | |
## Türen für unabhängigen Journalismus geschlossen | |
Laut Werder [3][begleitet die Dokumentation das Team] „ungefiltert“ durch | |
die Saison. Jeder reflektierte Journalist kennt seine eigene Schere im | |
Kopf. Auch wenn es keine Zensur gab, wie glaubhaft versichert wurde, ist | |
auch dieser Film natürlich durch unzählige subjektive Entscheidungen aller | |
Beteiligten gefiltert. | |
Die Offenheit dient auch der Imagebildung eines Klubs, der transparent und | |
nahbar rüberkommen will. Im großen medialen Bogen, in dem dieses Projekt | |
eingebunden ist, öffnen die Profi-Clubs im gleichen Maße Schlüssellöcher | |
für selbstproduzierte „hautnahe“ Berichterstattung, wie sie die Türen für | |
unabhängigen Journalismus schließen. | |
Der Spannungsbogen des Films führt in Bremen anders als in Sunderland zum | |
Happy End. Frank Baumann spoilerte jedenfalls, „dass auch [4][in der Doku | |
der Aufstieg gelingen] wird“. Erste Kneipen wie das Eisen im Bremer Viertel | |
haben bereits angekündigt, die Zeitraffer-Katharsis vom Absturz zur | |
Auferstehung als Gruppenerlebnis zu zelebrieren. | |
25 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Lorenzen | |
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