# taz.de -- Ex-Profi über Fußball und Tradition: „Es bräuchte ein Wunder“ | |
> Marco Bode war Spieler und Aufsichtsrat bei Werder Bremen. Er erklärt, | |
> warum der Club wohl nie mehr Meister wird und wie Nachwuchsarbeit gehen | |
> könnte. | |
Bild: Jubel um die Beine von Ailton: Meisterkonfetti hat es seit 2004 in Bremen… | |
taz am wochenende: Herr Bode, wie haben Sie den 15. Mai verbracht, den Tag, | |
als Werder Bremen mit einem Sieg gegen Regensburg den [1][Wiederaufstieg in | |
die Bundesliga] klargemacht hat? | |
Marco Bode: Ich habe das Spiel mit Freunden im Garten gesehen. Aber meine | |
Tochter hat das erste Mal in der Ostkurve gestanden und kam abends völlig | |
erschöpft von den Feierlichkeiten in der Stadt nach Hause. | |
Hatte sie ein Stück vom Rasen dabei? | |
Nein, den Platzsturm hat sie nicht mitgemacht. | |
War bei Ihnen Wehmut dabei, nicht mehr ganz nah dran zu sein? | |
Natürlich bin ich nicht mehr im Amt und habe die Verantwortung nicht mehr. | |
Aber emotional hat sich nicht viel geändert. Gott sei Dank hängt nicht | |
alles am Amt, auch die Menschen nehmen mich nach wie vor als Werderaner | |
wahr. | |
Nach dem Abstieg haben Sie im Aufsichtsrat gegen viel Kritik an | |
Sportvorstand Frank Baumann festgehalten. Fühlen Sie sich bestätigt? | |
Ich bin froh, dass wir standhaft geblieben und nicht in Aktionismus | |
verfallen sind. Nicht um Frank zu schützen, sondern um handlungsfähig zu | |
bleiben. Er hat in einer harten Zeit einen guten Job gemacht. | |
Sie und drei andere Aufsichtsräte haben dagegen kurz nach dem Abstieg | |
verkündet, bei der Neuwahl im vergangenen Oktober nicht wieder anzutreten. | |
Warum? | |
Jeder von uns hatte persönliche Motive, aber wir wollten auch nach außen | |
ein Zeichen der Veränderungsbereitschaft setzen. Dadurch kehrte vielleicht | |
auch ein wenig Ruhe ein. Ich hatte schon vor dem Abstieg überlegt, in | |
meinem Leben etwas zu verändern. Meine besondere Rolle fühlte sich in den | |
Jahren der Pandemie und des Abstiegskampfes nicht mehr richtig an. | |
In Ihrem Buch betonen Sie die Rolle von Glück und Zufall im Fußball. Gehört | |
der Abgang von Markus Anfang, der mit gefälschtem Impfpass erwischt wurde, | |
in diese Kategorie? | |
Der Wechsel zu Ole Werner war sicher auch ein glücklicher Zufall und hatte | |
eine große Bedeutung für den weiteren Verlauf. Aber unsere These lautet | |
nicht, Bayern ist seit zehn Jahren deutscher Meister, weil sie Glück | |
hatten. Sondern: bei allem, was passiert, spielen immer auch glückliche und | |
unglückliche Zufälle eine Rolle, aber wir Menschen möchten gern eine | |
Geschichte mit kausalen Erklärungen haben. Jede Entscheidung, die wir im | |
Fußball treffen, hat das Ziel, die Wahrscheinlichkeit für Erfolg zu erhöhen | |
– ausschließen kann man den Zufall aber nie. | |
Sie schließen dagegen in Ihrem Buch aus, dass Werder Bremen jemals wieder | |
Deutscher Meister wird. | |
Unter den jetzigen Bedingungen ist es sehr schwer vorstellbar, dass ein | |
Klub wie Werder, Köln, [2][Frankfurt], Mönchengladbach oder Stuttgart über | |
eine ganze Saison die Bayern, den BVB oder [3][RB Leipzig] schlagen. Es ist | |
aber nicht unmöglich, wenn sich die Strukturen ändern oder ein Wunder | |
passiert. Was wir sagen wollen: Tradition zu haben, eine große Zahl an Fans | |
zu haben, ist eine Stärke von Fußballklubs. Aber es ist gefährlich, wenn | |
daraus eine zu große Erwartungshaltung entsteht. Die führt bei | |
Traditionsklubs zu mehr Unruhe, Trainerentlassungen und finanziellen | |
Risiken, als es sie sowieso schon gibt. | |
Sie nennen das Rattenrennen. | |
Wir waren darin sicher nie die größten Treiber, aber wir haben zu allen | |
Zeiten ein bisschen mitgemacht. In dem Moment, wo es sportlich läuft, fällt | |
es nicht so auf. Es ist schwierig, sich komplett davon zu verabschieden. | |
Das primäre Ziel für alle Klubs bleibteinfach der sportliche Erfolg. | |
In der 2. Liga gab es vor ein paar Wochen das Nordderby HSV-Werder als | |
Spitzenspiel. Warum wollten beide überhaupt aufsteigen, wenn es das in der | |
1. Liga nicht mehr geben wird? | |
Weil man als Sportler auf dem höchstmöglichen Niveau spielen will. Aber es | |
ist fast die wichtigste Erkenntnis der letzten Saison, dass das | |
Zweitliga-Jahr ganz vielen Menschen Spaß gemacht hat. Das von manchen | |
beschworene Horrorszenario ist nicht eingetreten. | |
Sie beschreiben die Ursachen für das Auseinanderklaffen des Wettbewerbs, | |
aber auch mögliche Gegenmaßnahmen wie eine gleichmäßigere Verteilung der | |
Fernsehgelder. Dabei scheinen Sie einer geschlossenen europäischen Super | |
League der Topklubs nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Warum? | |
Niemand will Bayern oder Dortmund aus der Bundesliga drängen. Aber was | |
jetzt an Reformen bei der Champions League passiert, ist eine Super League | |
durch die Hintertür. Noch mehr Spiele und noch höhere Einnahmen bedeuten, | |
dass der Abstand der Topklubs zu den anderen Klubs in den nationalen Ligen | |
zementiert wird. Dabei wird die Super League als Erpressungstool genutzt. | |
Wir sollten souverän sein und den Gedanken zulassen: Ohne Topklubs bricht | |
die Welt nicht zusammen, ohne die Topklubs gäbe es mehr Ausgeglichenheit | |
und finanzielles Fair Play in der Bundesliga. | |
Dennoch betonen Sie die Notwendigkeit, sich noch andere Ziele als den | |
sportlichen Erfolg zu setzen. Welche könnten das sein? | |
Der Kampf um die Integrität des Wettbewerbs ist wichtig. Aber die Wahrheit | |
ist auch, dass sich so schnell grundlegend nichts verändern wird. Und da | |
glaube ich, dass jeder Klub sich fragen sollte, was ihn eigentlich | |
besonders ausmacht. Und für Werder sehe ich da vor allem die Themen | |
Ausbildung, soziale Verantwortung und Persönlichkeitsentwicklung. | |
Nachwuchsentwicklung hat fast jeder Klub ganz oben auf dem Zettel. Was ist | |
neu an dem Gedanken? | |
Klar, in unserem Leistungszentrum wird auch jetzt eine gute Arbeit gemacht. | |
Ich denke vor allem an eine Weiterentwicklung um ein Thema, das man im | |
Englischen „social-emotional intelligence“ nennt. Es geht dabei nicht nur | |
um schulische Bildung, sondern auch um interkulturelles Lernen und | |
Diversität. Man sollte beispielsweise kein Internat oder Leistungszentrum | |
mehr bauen, in dem Mädchen keine größere Bedeutung bekommen. Ich stelle mir | |
einen Ort vor, an dem Sportlerinnen und Sportler sich begegnen, wo aber | |
auch Innovationen stattfinden, in sportbezogenen Start-ups oder beim | |
Co-Working. Wie ein kleines College. Im Buch heißt das bei uns Campus 4. | |
Wer soll das finanzieren? Ein Investor? | |
Da wird man vielleicht sagen: Davon redet er seit zehn Jahren. Weil es eben | |
schwierig ist, den passenden Partner zu finden. Das muss ein strategischer | |
Partner sein, der unabhängig von der Ligazugehörigkeit genau solche Wege | |
mitgeht und mit uns eine gemeinsame Infrastruktur schafft. Natürlich in | |
der Hoffnung, über eine besondere Philosophie Talente zu bekommen, die | |
andere Klubs nicht bekommen. | |
Welche Rolle hätten Sie auf so einem Campus? | |
Ich stehe im Moment vor der Frage, ob ich überhaupt noch mal in irgendeiner | |
Weise im Fußball eine berufliche Rolle übernehmen möchte, in einem Verein, | |
Verband oder einem Unternehmen, das im Fußball aktiv ist. Ich merke, dass | |
mich diese Dinge nach wie vor beschäftigen, weiß aber noch nicht, wohin | |
mich das führen könnte. | |
4 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Lorenzen | |
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