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# taz.de -- Ungarn-Abstecher des Giro d'Italia: … und jetzt zum Sport
> Aus dem Giro dell’Ungheria wird nun wieder eine Italien-Rundfahrt. Und
> das Politische? Wurde beim Ausflug der Radprofis an den Balaton
> ausgeblendet.
Bild: Im Konfettiregen: der Niederländer Mathieu van der Poel im begehrten ros…
Einpacken, Auspacken, Vulkan hoch fahren. So sehen die aktuellen oder
kommenden Tätigkeiten der [1][175 Teilnehmer des Giro d’Italia] aus, die
die ersten drei Etappen beim Auslandsstart in Ungarn überstanden haben;
Lediglich der Slowene Jan Tratnik schied sturzbedingt vorzeitig aus.
Sportlich bot der Giro ein buntes Programm. Das rosa Trikot sicherte sich
im steilen Etappenfinale zum Auftakt Mathieu van der Poel. Der vielseitige
Enkel der Tour-de-France-Legende Raymond Poulidor verteidigte auch beim
Zeitfahren der zweiten und dem Massensprint der dritten Etappe sein
Führungsleibchen. „Für mich war das ein toller Auftakt. Ich denke aber,
dass ich das Trikot am Ätna verlieren werde“, sagte der Niederländer. Das
ist ziemlich realistisch.
Die ganz langen Berge wie der Ätna-Aufstieg am heutigen Dienstag sind
allein wegen des Wettkampfgewichts nichts für den explosiven früheren
Cross-Spezialisten. Zehn bis fünfzehn Kilogramm bringt er mehr auf die
Waage als Rundfahrtspezialisten von Schlage eines Richard Carapaz oder
Simon Yates. Die Wattzahlen, um den Malus auszugleichen, vermag selbst so
ein Supertalent wie der Niederländer nicht dauerhaft auf die Pedale zu
bringen.
## Leichtgewichtige Klettermaxen
Bei den leichtgewichtigen Klettermaxen hat sich der Brite Simon Yates in
eine exzellente Ausgangsposition gefahren. Er gewann überraschend das kurze
Zeitfahren am Samstag und liegt elf Sekunden hinter van der Poel auf
Gesamtrang zwei. Wie man am Ätna in Rosa hinaufstiefelt, zeigte Yates schon
2018, als er als Etappenzweiter die Führung eroberte. Angesichts seiner
sehr komplexen Beziehung zum Giro – Totaleinbruch nach langer Führung 2018,
Corona-Ausstieg 2020, Achterbahnfahrt zwischen Etappensieg und
Maximalerschöpfung 2021 – wäre die erneute Führung eine schöne Sache für
den Kapitän des australischen Rennstalls Bike Exchange.
Seine wichtigsten Konkurrenten – Ex-Girosieger Carapaz, Ex-Podiumsfahrer
Miguel Ángel López und der Ex-Tour-Zweite Romain Bardet – fuhren bisher mit
Tarnkappe. Lediglich Bora-hansgrohe-Co-Kapitän Wilco Kelderman zeigte ein
Mix aus Ambitionen und guter Verfassung, als er den Bergaufspurt zum
Auftakt eröffnete. Auch beim Zeitfahren verlor er nur 17 Sekunden auf
Yates. Vorerst raus aus dem Gesamtsiegpuzzle ist nach einem Sturz beim
Zeitfahren dessen Teamkollege Emanuel Buchmann.
Ein deutscher Radprofi mischt immerhin clever mit beim Giro. Rick Zabel,
gewöhnlich mannschaftsdienlicher Sprintanfahrer, sicherte sich in der
magyarischen Hügellandschaft das Bergtrikot. Den Ätna wird der Sohn des
einstigen Sprintstars Erik Zabel heute aber wohl in hinterer Position
hinaufschwitzen.
## Feiges Sportmarketing
Ein Kapitel ganz eigener Art schlug Oldie Mark Cavendish auf. Der Brite
ließ sich auch von der fulminanten Sprintvorbereitung vom Gesamtführenden
van der Poel für dessen Alpecin-Fenix–Teamkollegen Jakub Mareczko nicht aus
der Ruhe bringen und holte seinen 16. Tagessieg beim Giro. Gigantische 34
Siege stehen bei der Tour de France zu Buche, zwei bei der Vuelta, die er
allerdings auch nur zwei Mal fuhr. „Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste,
ich weiß aber immer noch, wie man Siege holt“, frohlockte der fast
37-Jährige.
Politisch blieb der Giro seltsam farblos. Nur kurz kochte kurz vorm Start
die Kontroverse hoch, dass ausgerechnet das Gastgeberland des rosa Rennens
eine sehr homophobe Gesetzgebung aufweist – [2][mit Adoptionsverbot und
Eheverbot für homosexuelle Paare]. Selbst Filme und Bücher mit Inhalten
über nicht heterosexuelle Liebespraktiken sind für Menschen unter 18 Jahren
im Reich des Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei verboten.
Giro-Offizielle hatten vorm Start betont, dass politische Aspekte strikt
außerhalb des Rennens zu bleiben hätten.
Es handelt sich um feiges Sportmarketing. Etappenstädte zahlen zwischen
70.000 und 100.000 Euro für einen Start, etwa 200.000 Euro für eine
Zielankunft. Bei drei Etappen in Ungarn macht das schon einmal eine knappe
Million. Für eine Grande Partenza, also den Gesamtstart, muss man noch den
einen oder anderen sechsstelligen Betrag draufpacken. Das Medienunternehmen
RCS sackt das gern ein – und gibt im Gegenzug die Parole der ganz
unpolitischen Sportberichterstattung aus.
Unpolitisch ist das alles natürlich nicht. Starker Mann hinter dem
ungarischen Radsportengagement ist Béla Bátorfi, seines Zeichens
Leibzahnarzt von Staatspräsident Orbán. Bátorfi lässt sich von öffentlichen
Geldern nicht nur Werbekampagnen für Dentaltourismus finanzieren. Er war
auch zwei Jahre lang Patron eines Rennstalls im Straßenradsport und ist
Präsident des ungarischen Triathlonverbands.
Die Tretleidenschaft des ambitionierten Zahnarztes passt aktuell ganz prima
ins sportpolitische Rahmenkonzept des Regierungschefs. Ungarn war
Mitgastgeber der Fußball-Europameisterschaft im letzten Jahr, richtet in
diesem Jahr die Schwimm-WM und im nächsten die Leichtathletik-WM aus.
Perspektivisch werden die Sportstätten auf eine Olympiabewerbung
ausgerichtet. An welchen Strippen man für einen erfolgreichen Aufschlag im
IOC-Parcours ziehen muss, dürfte Wladimir Putin seinem politischen Freund
Orbán gewiss verraten haben.
Die rosa Rundfahrt, die so offensichtlich über Diskriminierung von
LGBTQ+-Menschen im Ausrichterland der ersten drei Etappen schwieg, ist ein
beschämender Meilenstein dieser Sportgroßveranstaltungsoffensive.
9 May 2022
## LINKS
[1] https://www.giroditalia.it/en/
[2] https://www.hrw.org/de/news/2021/06/23/ungarn-praesident-sollte-veto-gegen-…
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
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