# taz.de -- Die Wahrheit: Trollgespräche | |
> Einst war er ein Geschenk, jetzt wird er zu Last: Der kleine Troll, der | |
> sich zu allem und jedem äußert, spätestens seit es das Internet gibt. | |
Bild: Ein Zug im Grünen | |
Eines meiner frühesten Reiseandenken aus dem Norden ist ein kleiner Troll. | |
Sein Körper ist mit knallrotem Plüsch bedeckt, und er guckt hübsch boshaft. | |
Mir war klar, dass ich gut auf ihn aufpassen muss, doch liegt diese | |
Erkenntnis leider schon Jahrzehnte zurück. Inzwischen ist er abgehauen. | |
Dafür taucht er an anderen Stellen wieder auf, selbstverständlich am | |
liebsten im Internet, in dem er sich magisch vervielfältigen kann. Schreibt | |
jemand: „Wie schön, die Sonne scheint!“, antwortet er: „Aber dadurch | |
entsteht Dürre.“ Ach so, aber ist es nicht trotzdem erlaubt, sich nach | |
einer Regenperiode über Wärme zu freuen? „Wie absurd über das Wetter zu | |
schreiben, wenn anderenorts Leute sterben.“ Das ist wahr, doch ist so | |
gesehen zur Zeit nicht alles absurd? „Rausreden war schon immer eine deiner | |
Stärken.“ Ja schon, aber die Sonne … „Es ist gar nicht bewiesen, dass sie | |
existiert.“ | |
Da klappe ich schnell den Rechner zu, um ein Minimum an Konsens in der Welt | |
zu erhalten, damit sie nicht umgehend aus der Bahn eiert. Konsens gibt es | |
derzeit entweder am Stammtisch, doch das ist nicht mein Revier, oder wenn | |
ich mit mir allein bin, aber nennt man das dann eigentlich noch Konsens? | |
„Nein, das bezeichnet man als billiges Augenverschließen vor der | |
unübersichtlichen Realität.“ Auweia, jetzt sitzt das lästige Vieh doch | |
wieder neben mir.„Warum so schlecht gelaunt? Du solltest jedes Korrektiv | |
begrüßen, damit du dich verbesserst.“ Das sehe ich ein. Also willkommen, | |
kleiner Troll, womit fangen wir an? | |
„Du willst dich verbessern? Ausgerechnet du? Haha. Der Zug ist doch schon | |
lange abgefahren.“ Na gut, es wäre mir eigentlich auch lieber, wenn ich | |
mich in meinem Alter nicht mehr so anstrengen muss. | |
„Wie absurd, sich nicht anstrengen zu wollen, wenn anderenorts Leute | |
sterben.“ Dann sollte ich wohl lieber rasch die Welt verbessern, damit | |
weniger Leute sterben. Mir ist nur noch nicht ganz klar, wie mir das allein | |
gelingen kann. | |
„Lieber mit dem Finger auf andere zeigen.“ Nein, ich meine nur, dass – | |
„Daran ist nur der Westen schuld mit seiner verfehlten Politik.“ Darüber | |
ließe sich diskutieren, aber – „Für Diskussionen ist es längst zu spät.… | |
Was tun wir denn hier gerade? „Sag du’s mir. Na bitte.“ Wie, na bitte? �… | |
bitte, na bitte.“ | |
In der vergangenen Woche habe ich ihn zurückgeschickt. Die Skandinavier | |
sind so entspannt und glücklich („Wer hat denn diesen Mythos erfunden?“), | |
dass sie den plüschgewordenen Antagonismus („Fremdwörter sind zu Sprache | |
geronnene Klassenprivilegien!“) bestimmt besser aushalten als ich („War | |
klar, jetzt wird wieder gejammert.“). Ich habe ihn in die Nordsee gesetzt | |
und ihm eine gute Reise gewünscht. | |
Als ich wieder zu Hause war, wartete er bereits auf der Fußmatte. Von nun | |
an werde er sich noch ekliger aufführen als in meinen schlimmsten Träumen, | |
sagte er und schüttelte das Salzwasser ab. Denen mangele es ohnehin an | |
Originalität, Fantasie und Weitsicht. Na bitte. | |
13 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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