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# taz.de -- Die Wahrheit: Schubladen immer mitdenken
> Wenn der Mann im Kiosk plötzlich französisch kann und auch sonst sehr gut
> in Schuss ist, dann heißt es: Schublade zu.
Bild: Himmel voller Geigen: Osang und Merkel auf dem Weg nach Biesdorf-Süd
Was macht die Frau da neben dem Mann, und sind die beiden ein Paar? Wir
erinnern uns: Als Zeitschriften noch Millionenauflagen und Menschen noch
Zeit hatten, auf dem Sofa die Beine hochzulegen und Illustrierte
wegzuschmökern, statt per Senkkopf Schlagzeilen vom Smartphone zu wischen,
da gab es gern mal die Rubrik „Hätten Sie es gewusst?“ – alias „Das he…
Personenraten“. Jenes Ratespiel war einzig deshalb im Blatt, weil es
beweisen sollte, wie sehr mensch stets vorschnell in Schubladen denkt
beziehungsweise andere dort fälschlich einsortiert.
Hätten Sie also damals gewusst, dass die abgebildete Person X, die da so
honigkuchenpferdgrinsend in die Kamera des damals noch gut bezahlten
Illustriertenfotografen grinste, dass diese Person eben nicht in die
Schublade des gut situierten Doppelverdieners passte, obwohl sie so
honigkuchenpferdmäßig glücklich grinste, sondern als Langzeitarbeitsloser
gerade einen Auffrischungsalphabetisierungskurs an der VHS Gummersbach
belegte? Nein, natürlich hätten Sie damals so wie ich seinerzeit
falschgelegen. Ich erinnere mich noch gut an jene Hochglanzgeschichte. War
sie einst in der Quick oder im Stern erschienen?
Letztens lag ich wieder falsch. Ich spazierte in den Berliner Spätkauf
meines Vertrauens hinein. Eine gedruckte fremdsprachige Zeitung sollte es
mal wieder sein. Der Kassierer, ein honoriges Mitglied der multinationalen
Sippschaft, die dieses traditionsreiche Etablissement gegen alle irren
Verbotsanwandelungen des unfähigen Ordnungsamts zu meiner vollsten
Zufriedenheit führte und feinste Kanak-Sprak parlierte im Sinne von: „Gehst
du Bahnhof, oder bist du mit Auto?“, jener Ali also entpuppte sich als
perfekt der französischen Sprache mächtig. Er überflog die Titelseite von
Le Monde, referierte sie mir kurz und bündig. Alles klar, hatte ich so
nicht erwartet. Da war es wieder, das Schubladendenken. Es sollte noch
besser kommen.
Ali hob zu einem Exkurs über die militärische Situation in der Ukraine an
und positionierte sich gegen das aktuelle Ausreiseverbot für ukrainische
Männer zwischen 18 und 60 Jahren. „Kämpfen soll nur, wer will und kann“,
sagte er, und dann sagte er noch, dass er aber für eine allgemeine
Wehrpflicht in Deutschland sei, „egal ob Mann, Frau oder sonst was“. Drei
Monate würden da schon reichen, „für jeden von uns, dann weißt du, was
Sache ist“.
Ich hob zaghaft an, dass es ja vielleicht doch immer die Möglichkeit eines
„Sozialdienstes oder so“ geben sollte? Ali nickte, er war ein
kompromissbereiter und friedlicher Typ, er selbst war auch „bei der Armee“
gewesen. „Wo denn?“, fragte ich ihn. „Bei der Bundeswehr, wo denn sonst?�…
Ich schluckte, da war sie wieder, die Schublade, ich hatte Ali in
Ostanatolien beim robbenden Bodeneinsatz vermutet. „Sieben Jahre war ich in
einem kleinen Dorf in Bayern“, sagte Ali und gab mir das Wechselgeld
zurück. „Bei den Gebirgsjägern.“
7 Apr 2022
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Kiosk
Alltagsrassismus
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Paris
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