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# taz.de -- Landtagswahl im Saarland: Hauptsach gudd gewählt
> Am Sonntag wird im Saarland gewählt. Bitte, wo? Wir stellen Ihnen das
> kleinste Flächenland und seine schrulligen Stammesfürsten vor.
Bild: Anke Rehlinger, SPD, bis Sonntag nur die stellvertretende Ministerpräsid…
Das Saarland wählt am Sonntag. Warum soll mich das interessieren?
Im Saarland leben zwar weniger Menschen als in Köln. Trotzdem sind die
immens wichtig. Nicht nur, weil sie über der Republik so viele musikalische
Sternchen erstrahlen ließen: Nicole, Cindy & Bert und Frank Farian – sie
alle nahmen hier ihren künstlerischen Anfang. Aber das Saarland hat auch
einige Politikstars hervorgebracht: Erich Honecker, Heiko Maas, Peter
Altmaier, Annegret Kramp-Karrenbauer und natürlich [1][Oskar Lafontaine].
Am Sonntag läuft im kleinsten Flächenland der erste Stresstest für den
neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und für SPD-Kanzler Olaf Scholz.
Wessen Partei gewinnt, kann erst einmal durchatmen. Wer verliert, muss vor
den nächsten drei, noch wichtigeren Landtagswahlen gegen Widerstand
ankämpfen.
Und was ist dort eigentlich mit den Grünen los?
Es ist kompliziert, aber das Problem hat einen Namen: Hubert Ulrich.
Jahrzehntelang hielt der inzwischen 64-Jährige als ewiger Vorsitzender
seine Partei in Geiselhaft. Er kaufte Dienstautos günstig, um sie später zu
einem „gudden Preis“ zu verscherbeln. 2009 rang er der grünen Basis das
Bündnis mit CDU und FDP ab. Es folgten Skandale und Skandälchen.
„Saarmaika“ hielt nur drei Jahre.
Doch Ulrich bewies Stehvermögen. Vor der Landtagswahl 2017 verdrängte er
die grünen Frauen, denen Platz eins auf der Landesliste zugestanden hätte.
Mit ihm als Spitzenkandidat flog die Partei dann aus dem Landtag. Ulrich
reichte diese Klatsche immer noch nicht, er wollte in den Bundestag. Nach
dem finalen Machtkampf um die Listenplätze gab es im Saarland dann nicht
einmal eine rechtsgültige Liste. Die Grünen standen bei der vergangenen
Bundestagswahl nicht mal auf den Stimmzetteln.
Ob jetzt alles besser wird? Bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag
treten nun vor allem grüne Nachwuchskräfte an. Sie haben sich im Machtkampf
mit Ulrich bewährt. Umfragen sehen sie bei wackeligen 5 Prozent. Und dann
ist da auch noch das neue Bündnis Bunt.Saar, das enttäuschte WählerInnen
von Grünen und Linken einsammeln will. Immerhin hat die Grüne
Spitzenkandidatin Lisa Becker versprochen: „Mit mir kommt Hubert Ulrich
nicht zurück!“
Apropos Männer mit großen Egos: Der Linken geht es auch nicht gut, sie
liegt bei Umfragen bei 5 Prozent. Wird Oskar Lafontaines Parteiaustritt sie
weiter schwächen?
Ohne „Oskar“ müssen die Linken zittern. Sein Stern ist zwar inzwischen
verblasst. Trotzdem bleibt er der bekannteste und mutmaßlich populärste
Politiker im kleinen Bundesland. Die Linken-Spitzenkandidatin Barbara
Spaniol hat dann auch Loblieder auf den Abtrünnigen gesungen. Sie versucht
sich in Schadensbegrenzung. Wer im „Reich“, so nennen die alten
SaarländerInnen immer noch den Rest Deutschlands östlich der Landesgrenze,
was zu sagen hatte, der [2][macht die Menschen hier ziemlich stolz]. Im
saarländischen Landtag haben sie „Oskar“ mit stehenden Ovationen
verabschiedet, ziemlich parteiübergreifend.
Ministerpräsident im Saarland ist [3][Tobias Hans], der mit dem peinlichen
Selfie-Video vor einer Tankstelle. Muss ich mich weiter mit ihm befassen?
Eher nicht. Die Wetten für ihn stehen schlecht. Seine CDU liegt in den
Umfragen bei rund 30 Prozent und damit etwa 10 Prozentpunkte hinter der
SPD. Hans hat noch keine Wahl gewonnen, er wurde von Annegret
Kramp-Karrenbauer als Nachfolger durchgesetzt. Sollte er abgewählt werden,
wird es wohl einsam um ihn. Auch die Rolle als Juniorpartner in einer von
der SPD geführten Großen Koalition wäre nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Immerhin: Als Minister müsste Hans sich weiterhin keine Sorgen um die hohen
Spritpreise machen. Und selbst einem Oppositionsführer steht im Saarland
ein Dienstwagen nebst Tankkarte zu.
Wer ist diese SPD-Frau, die nach allen Prognosen die künftige
Ministerpräsidentin sein wird?
Anke Rehlinger, 45, ist nicht dafür bekannt, eine ruhige Kugel zu schieben.
Parallel zum Studium der Rechtswissenschaft trainierte sie hart: Vom
Fünfkampf wechselte sie zu den Wurfdisziplinen. Beim Kugelstoßen erzielte
sie Rekorde. Noch immer hält sie den saarländischen Landesrekord: 16,02
Meter, erzielt am 17. August 1996 in Rehlingen bei ihrem Verein. Die
Namensähnlichkeit von Ort und Protagonistin indes ist Zufall.
„Ich bin die Anke“, so stellt sie sich im Wahlkampf gerne vor, denn im
Saarland duzt man nicht nur GenossInnen, sondern auch stellvertretende
MinisterpräsidentInnen. Sie bekennt auf den Plakaten „echte Saarlandliebe“.
Seit zehn Jahren gehört sie der Landesregierung an, vier Ressorts hat sie
durch.
Doch ihr Weg nach ganz oben könnte kompliziert werden. Eine solide
Grundlage, eine verlässliche Mehrheit nennt sie als Voraussetzung für die
neue Regierung. Doch niemand kann sagen, wer in den Landtag einzieht und
für eine Regierungsbildung infrage kommt. Sogar ein Zwei-Parteien-Parlament
ist möglich.
Kann es wirklich sein, dass letztlich nur CDU und SPD im Landtag landen?
Grüne, Linke, FDP und AfD liegen zurzeit bei 4 bis 6 Prozent, es wird für
alle sehr knapp. Wenn alle „Kleinen“ scheitern sollten, käme es tatsächli…
zu einem Zwei-Parteien-Parlament. Eine davon würde über die absolute
Mehrheit verfügen, denn die Zahl der Sitze ist ungerade. Schafft es von den
Kleinen nur die AfD, bleibt den „Großen“ CDU und SPD wohl nur die
Neuauflage der Groko, egal wer knapp vorne liegt.
Wie konnte es so weit kommen? Die Volksparteien sind doch dem Untergang
geweiht.
CDU und SPD im Saarland erzählen stolz, dass der „Organisationsgrad“ in
ihren Landesverbänden höher ist als der im „Reich“. Die Krise der Stahl-
und Kohleindustrien haben die „Großen“ an der Saar gelehrt, dass sie nur
etwas erreichen, wenn sie zusammenhalten. Das Saarland ist und war stets
auf den Geldtransfer aus Bonn/Berlin und Brüssel angewiesen. Das wird auch
nach der Wahl so bleiben. Da muss man zusammenhalten. Deshalb die Sympathie
für die Große Koalition, die auch SPD-Landeschefin Rehlinger betont. Die
kleinen Parteien sind traditionell schwach. Grüne und FDP haben
außerparlamentarische Durststrecken hinter sich. Die relativ neuen
„Kleinen“, Linke und AfD, haben sie möglicherweise noch vor sich.
Eine Frage noch: Wie viele Fußballplätze gibt es im Saarland eigentlich?
Die Zählung der taz dauert an. Platz wäre für 359.913. Es sind jedenfalls
ziemlich viele, nicht nur Bolzplätze, sondern auch große Stadien, in denen
Traditionsvereine vor langer Zeit Triumphe feierten: Der FC 08
Homburg-Saar, der 1. FC Saarbrücken, Röchling Völklingen 06, Borussia
Neunkirchen 1905. Erstklassig sind sie schon lange nicht mehr. Aber
gelegentlich zeigen sie sich im Pokalwettbewerb als Angstgegner oder
mischen im Aufstiegskampf zur 1. oder 2. Bundesliga mit. Topscorer Stefan
Kuntz, inzwischen Nationaltrainer der Türkei, bestritt 1980 in Neunkirchen
in der 2. Bundesliga sein erstes Spiel als Profi.
Das Stadion, in dem er damals auflief, ist heute in einem erbärmlichen
Zustand, die Tribünen bröckeln. Der organisierte Profifußball an der Saar
hat die Krise von Stahl und Bergbau gerade so überlebt. Jetzt steht die
nächste Transformation an, mit dem Ende des Verbrennermotors und der
Energiewende. Optimisten sagen: neues Spiel, neues Glück. Die Saarländer
grüßen mit „Glück auf!“.
26 Mar 2022
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## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
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