| # taz.de -- Politische Kultur im Saarland: Jeder kennt einen, der einen kennt | |
| > Hier sind sich Politiker gerne behilflich. Von Fehlern im Lebenslauf, | |
| > üppigen Gehältern beim Sportverband und einem Sparkassendeal. | |
| Bild: Da geht's lang! Nur wollen immer weniger Saarländer Tobias Hans auf sein… | |
| Saarbrücken taz | Im Saarland erzählen sie gerne Geschichten über den | |
| Zusammenhalt. Diese besondere Verbundenheit gehe zurück auf den Bergbau | |
| unter Tage, wo jeder auf den anderen angewiesen war. | |
| Das prägt, auch wenn sie sich selbst auf die Schippe nehmen: „Wenn ein | |
| Saarländer eine Briefmarke kauft, dann geht er nicht durch den Haupt-, | |
| sondern durch einen Nebeneingang; er hofft in der Post einen Freund zu | |
| treffen.“ Ein „gudder Bekannter“ besorgt auch Briefmarken zum günstigeren | |
| Sonderpreis. „Jeder kennt einen, der einen kennt“, so preist | |
| Ministerpräsident [1][Tobias Hans], CDU, die verzweigten Beziehungen und | |
| Familienbande im Saarland. Der 44-Jährige weiß davon aus eigenem Erleben. | |
| Als der Aktivist der Jungen Union und angehende CDU-Funktionär im Jahr 2006 | |
| die Politik endgültig zu seinem Beruf machte, war sein Vater, Peter Hans, | |
| CDU-Landtagsfraktionschef. Sohn Hans wurde „wissenschaftlicher Referent“ | |
| der Fraktion, anschließend „persönlicher“ eines Landesministers. 2009 zog | |
| er als Abgeordneter in den Landtag ein, 2012 stieg er zum | |
| Landtagsfraktionschef und 2014 zum Ministerpräsidenten auf. | |
| Kurz vor seiner Wahl zum MP musste Hans junior allerdings seinen Lebenslauf | |
| bearbeiten. Er hatte den Abbruch seines Universitätsstudiums verschleiert, | |
| indem er sich als „Informationswissenschaftler“ vorstellte. Auch die erste | |
| berufliche Station vor der Politik war geschönt. Hans war nicht wirklich | |
| „wissenschaftlicher“, also diplomierter Mitarbeiter in der psychiatrischen | |
| Fachklinik Neunkirchen-Münchwies“ gewesen, es war ein studentischer | |
| Nebenjob. | |
| Aber auch ohne Studienabschluss ist Hans inzwischen oberster Dienstherr der | |
| Hochschulen des Landes, denn das Wissenschaftsressort wird aus der | |
| Staatskanzlei geführt. Ihm haben die Familienbande sicher eher genutzt als | |
| geschadet. | |
| ## Schlecht geklüngelt: Der tiefe Fall von Klaus Meiser | |
| Dramatisch anders ist es seinem Weggefährten [2][Klaus Meiser], 67, | |
| ergangen. Der Volljurist war Innenminister, CDU-Landtagsfraktionschef, | |
| zuletzt Landtagspräsident und galt sogar als möglicher Kandidat für das | |
| höchste Amt. Meiser musste 2018 von allen Ämtern zurücktreten, weil er | |
| seine gute Beziehungen und Verbindungen allzu geschäftstüchtig versilbert | |
| hatte. Als Präsident des Landessportverbands hatte er nicht nur ein üppiges | |
| Salär bezogen, zusätzlich zu den Diäten des Landtagspräsidenten. | |
| Wegen Untreue und Vorteilsnahme verurteilte das Landgericht Saarbrücken den | |
| zweifachen Ex-Präsidenten rechtskräftig zu einem Jahr und zehn Monaten Haft | |
| und einer Geldstrafe von 60.000 Euro zur Bewährung. Meiser hatte seiner | |
| Lebensgefährtin und Büroleiterin einen lukrativen Nebenjob im | |
| Landessportverband (LSVS) verschafft, ebenso seinem Fahrer. Private Essen | |
| wurden mit der Dienst-Kreditkarte bezahlt, der Koch der defizitären | |
| LSVS-Kantine bezog das das Gehalt eines Sterne-Cuisiniers. Der privat | |
| zugelassene Schulbus eines Präsidiumsmitglieds lief auf Verbandskosten, der | |
| rechnete sogar EDV-Einrichtungen über den Verband ab. | |
| Vor der Landtagswahl 2017 überreichten unter Meisers Verantwortung | |
| mehrheitlich CDU-PolitikerInnen Schecks im Wert von insgesamt 55.000 Euro | |
| an Kultur- und Sporteinrichtungen. Innenminister Klaus Bouillon (CDU) | |
| durfte sich über eine große Feier zu seinem 70. Geburtstag freuen. Die | |
| fünfstellige Rechnung sollte der Sportverband übernehmen. | |
| Bouillon, dem eigentlich die Rechtsaufsicht über den LSVS oblag, kam mit | |
| einem blauen Auge davon. Die vom Sport bezahlte Sause habe er „nicht | |
| gewünscht“, beteuerte er und bezahlte nachträglich eine überschaubare | |
| Rechnung aus eigener Tasche. Die jahrelange Machenschaften hatten Bouillon | |
| und seine Fachabteilung zuvor nicht erkannt. Jahr für Jahr hatte der LSVS | |
| über seine Verhältnisse gelebt, am Ende stand ein Millionendefizit. | |
| „Mach’s gudd, awwer nid se ofd! Schaff, awwer nid se viel!“ Nur nicht zu | |
| viel arbeiten. Im Saarland geht es grundsätzlich um ein gesundes Verhältnis | |
| zwischen dem Geschaff und gutem Leben. „Hauptsach, gudd gess!“ ist das | |
| Motto, und „Wann mier gudd gess hann, hann mier aach schnell geschaffd!“ | |
| ## Der seltsame Auftritt des Josef Dörr | |
| Ähnlich tiefgründige Volksweisheiten, wie sie der Schriftsteller Georg Fox | |
| als saarländisches Grundgesetz aufgeschrieben hat, standen auch am Beginn | |
| der Legislaturperiode im Saarbrücker Landtags. Alterspräsident [3][Josef | |
| Dörr] (AfD), damals 78, durfte reden. Im Vorfeld war spekuliert worden, ob | |
| der pensionierte Schulrektor die Gelegenheit zu nationalistischen oder | |
| rassistischen Ausfällen nutzen würde. | |
| Zur allgemeinen Überraschung trug Dörr lediglich Gedichte und Sinnsprüche | |
| in den Mundarten des Saarlands vor, die SaarländerInnen selbst nennen es | |
| „Platt“. Eingeweihte erklärten die unerwartete Zurückhaltung des Seniors | |
| so: Er habe „den Klaus“ nicht verärgern wollen, hieß es hinter | |
| vorgehaltener Hand. Der später wegen Untreue gestürzte CDU-Grande Meiser | |
| war da noch amtierender Landtagspräsident. „Klaus“ und „Josef“ kannten… | |
| aus der CDU, sie sind Nachbarn. Dörr war gerade mit der AfD in den Landtag | |
| eingezogen, die Krönung seiner politischen Laufbahn. Er mochte es sich mit | |
| dem Präsidenten nicht verderben, bekam später Räume, Mitarbeiter, Fahrer | |
| und Dienstwagen, wie es seiner Fraktion zustand. | |
| In der letzten Landtagssitzung vor dem Wahltermin wurde Innenminister Klaus | |
| Bouillon mit Dankesreden und Applaus verabschiedet, ebenso wie der | |
| Grandseigneur der saarländischen Politik, der ehemalige Saarbrücker | |
| Oberbürgermeister, Ministerpräsident, Bundesfinanzminister, SPD-Parteichef | |
| und Linken-Parteigründer [4][Oskar Lafontaine]. Am Tag danach sollte | |
| „Oskar“ spektakulär seinen Austritt aus der Partei verkünden, die er selb… | |
| mitbegründet hatte. | |
| Lafontaine, Jahrgang 1943, ein Roter, dem die SPD schließlich nicht rot | |
| genug war, Bouillon, Jahrgang 1943, ein konservativer Schwarzer. Wie | |
| Lafontaine machte sich auch Bouillon zunächst in der Kommunalpolitik einen | |
| Namen. In der Krise des Bergbaus und der saarländischen Stahlindustrie | |
| schafften beide den Neustart ihrer Städte, Lafontaine als der unumstrittene | |
| Saarbrücker Rathauschef, Bouillon als Bürgermeister von St. Wendel. Sie | |
| sorgten mit guten Ideen und besten Verbindungen für kluge Investitionen. | |
| Beide setzten dabei ausdrücklich auch auf die sogenannten „weichen“ | |
| Standortfaktoren, Kultur und Wissenschaft, begründeten Festivals mit | |
| überregionaler Ausstrahlung. Bis heute haben sich die beiden etwas zu | |
| sagen. | |
| Es ist Mittagspause im saarländischen Landtag, das gemeinsame Essen ist ein | |
| wichtiger, böse Zungen sagen, der wichtigste Setzpunkt der Tagesordnung. | |
| „Hauptsach, gudd gess!“ halt. Die taz trifft den Linken-Fraktionschef, um | |
| ein Interview abzusprechen. Lafontaine stellt seinen Gesprächspartner vor: | |
| „Klaus Bouillon, ein tüchtiger Mann.“ Die taz hat da längst berichtet, da… | |
| der saarländische Innenminister entschlossen angepackt hatte, als 2015 die | |
| Flüchtlinge kamen. Er wollte von einer „Krise“ nichts wissen, war mit | |
| seinem Büro in einen Container an der Landesaufnahmeeinrichtung gezogen. | |
| ## Der gescheiterte Sparkassendeal | |
| Das Saarland schaffte es in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen, mehr | |
| Flüchtlinge zu integrieren als andere, und das auch noch schneller. Die taz | |
| kannte also Bouillon, nicht aber die Saarland-Story aus Oskar Lafontaines | |
| „Nähkästchen“. Damals habe er, der Sozi, den CDU-Kommunalpolitiker Bouill… | |
| auf den lukrativen Posten des Sparkassenpräsidenten befördern wollen, | |
| gesteht Lafontaine lachend der taz: „Ich hatte die Sorge, dass die CDU ihn | |
| gegen mich ins Rennen schicken würde“. Bei seiner letzten Direktwahl zum | |
| Bürgermeister von St. Wendel hatte Bouillon immerhin 85,4 Prozent der | |
| Stimmen erzielt. Doch der Sparkassendeal kam nicht zustande „die CDU war | |
| aber so dumm, ihn nicht als Spitzenkandidat aufzustellen“, feixt Lafontaine | |
| noch Jahrzehnte später. | |
| Dreimal in Folge gewann Lafontaine im Saarland die absolute Mehrheit für | |
| die SPD. Als „Napoleon von der Saar“ zog er in der Bonner Republik die | |
| Strippen. Er konnte es sich leisten, mit Zweispitz und Trikolore als | |
| kleiner großer Korse zu posieren, überstand eine Rotlichtaffäre und eine, | |
| in der es um überhöhte Pensionszahlungen ging. Er trieb als Stratege und | |
| Mehrheitsführer im Bundesrat Bundeskanzler Helmut Kohl vor sich her. Erst | |
| Lafontaines Bruch mit der SPD ebnete der CDU 1999 den Weg in die | |
| Staatskanzlei. | |
| Seitdem regiert die CDU, in den letzten zehn Jahren mit der SPD als | |
| Juniorpartner. Lafontaine hat sich als Fraktionsvorsitzender einer an den | |
| Personalquerelen zerbrochenen Landespartei verabschiedet. Auch „Oskars“ | |
| Geschichte in der SPD handelt von langen Verbindungen und Freundschaften, | |
| von denen die meisten allerdings zerbrochen sind. Auch Brüche verlaufen im | |
| Saarland offenbar dramatischer als im Rest der Republik. In keinem | |
| deutschen Parlament sitzen mehr Abgeordnete, die in ihrem Leben einen oder | |
| sogar zwei Parteiwechsel hinter sich haben. Jeder kennt halt einen, der | |
| einen kennt. | |
| 23 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Teilnahme-an-Coronademo/!5834607 | |
| [2] /Fussballaffaere-fordert-zweiten-Kopf/!1200421/ | |
| [3] /!5392354/ | |
| [4] /Parteigruender-tritt-ab/!5842347 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland | |
| Saarland | |
| Regionalwahlen | |
| Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland | |
| Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland | |
| Grüne | |
| Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Liveticker zur Landtagswahl im Saarland: Grüne scheitern an 5-Prozent-Hürde | |
| Die SPD ist die klare Siegerin des Abends. Die Linke fliegt aus dem | |
| Landtag. Auch Grüne und FDP scheitern. Den Grünen fehlen 23 Stimmen. | |
| Maßstab Saarland: Großes, kleines Bundesland | |
| Von der Illusion, wir hätten eine Vorstellung davon, wie groß eine Fläche | |
| von 2.569 Quadratkilometern ist. Warum das Saarland zum Maß wurde. | |
| Grüne und Linke im Saarland: Ruinöse Machtkämpfe | |
| Der Zoff bei den Linken sowie den Grünen an der Saar weist Parallelen auf: | |
| in die Jahre gekommene Protagonisten streiten um wenige Posten. | |
| Wahlkampffinale im Saarland: Fast ohne Amtsbonus | |
| Mit gewaltigem Rückstand geht Ministerpräsident Tobias Hans in die | |
| Landtagswahl. Sie ist der erste Test für die CDU unter Parteichef Friedrich | |
| Merz. |