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# taz.de -- Modernes Fußballmärchen in München: Rumpelstilzchen bei Türkgü…
> Der märchenhafte Aufstieg von Türkgücü München nimmt einen unerwarteten
> Verlauf. Am Ende könnten auch andernorts viele Hoffnungen verpuffen.
Bild: Alte Zeiten: Als sich Investor Kivran noch für Türkgücü München inte…
Fußballmärchen sind normalerweise unwahrscheinlich ausgegangene
Feel-Good-Storys, in denen sich alles Glück dieser Welt in einem Topf voll
Honig verrührt. Ein Hans im Glück ist hinausgezogen, die Welt zu erobern,
und es ist ihm kraft seines Verstandes und seiner Fähigkeiten auch
gelungen; jetzt sieht man ihn in die Kameras lächeln.
So schreibt der Fußball die Verkitschung der Märchen in der Tradition der
Brüder Grimm und Disney weiter fort. Dabei sind die ursprünglichen
Volksmärchen normalerweise nicht so catchy und süßlich und happyendig,
sondern düster oder schwarzhumorig oder auch völlig absurd. Die Liebe, die
in den Zeichentrickfilmen immer so romantisch zelebriert wird, erscheint in
vielen alten Märchen – bei Charles Perault oder bei Hans Christian Andersen
zum Beispiel – eher wie ein Leiden, eine Krankheit des Herzens, die die
Leute quält und von der nur die Vermählung sie erlösen kann. Diese Art der
Liebe – dieses Verzweifelte, Sehnende, Unerlöste, Unerfüllte, Ungewisse –
hat sich im Fußball ja bewahrt, da braucht man dieser Tage nur eine*n
Hertha-Fan fragen, wie es so läuft aktuell.
Ein ganz und gar modernes Fußballmärchen spielt sich gerade in der dritten
Liga ab. Der Held, oder die Heldin vielleicht, ist Türkgücü München, ein
junger Verein, der erst 2001 gegründet wurde (oder vielmehr aus der
Insolvenz des Vorgängers hervorging). Man krümelte in den Aschehaufen des
Amateurfußballs herum, bis 2016 dann ein rettender Prinz erschien und mit
güldenen Ringen und Geschmeiden um sich warf: Das war Hasan Kivran.
Türkgücü tanzte sich von da an bis hoch bis in die dritte Liga, jedes Jahr
gab es neue, immer noch ausgefeiltere Kleider, die Zukunft erstrahlte in
glänzendem Licht.
Das ist der Moment, an dem der kitschige Teil des Märchens endet: Und wenn
sie nicht verloren haben, gewinnen sie noch heute. Dann aber beschloss der
Prinz, sich anderen Dingen zu widmen, und die Finanzierung wackelte;
überhaupt scheint in modernen Fußballmärchen Rumpelstilzchen in erster
Linie durch die Bilanzen zu tanzen. Ende Januar brach dann der Turm des
Traumschlosses ein, die vom Verein ausgegliederte GmbH der Profis musste
Insolvenz anmelden; 11 Punkte wurden Türkgücü abgezogen, man hatte davor
schon nur knapp vor den Abstiegsrängen gestanden, mit dem Abzug ist man
abgeschlagen Letzter.
## Hilfe aus Saarbrücken?
Ob es jetzt noch weitergeht, ist ungewiss, die Schatzkammer ist leer.
Vielleicht zieht sich Türkgücü aus dem Spielbetrieb zurück, das wäre aber
schlecht für den 1. FC Saarbrücken, weil alle Spiele annulliert würden.
Saarbrücken hat zweimal gegen Türkgücü gewonnen und würde dann sechs Punkte
verlieren, das hieße nach aktuellem Stand Platz 5 statt 3, denn die
Konkurrenz war weniger erfolgreich, insbesondere – und ausgerechnet – 1860
München, die haben nur einen Punkt geholt.
Das Szenario würde Hartmut Ostermann, der Präsident des FC Saarbrücken,
gern vermeiden, [1][weswegen er darüber nachdenkt, 500.000 Euro zu
investieren], damit Türkgücü bis zum 34. Spieltag durchhält. Bleiben sie so
lang im Spielbetrieb, werden ihre Partien nicht annulliert, und der FCS
dürfte die Punkte behalten.
Dass die Mannschaft Türkgücüs konkurrenzfähig ist, daran besteht kein
Zweifel. Am Wochenende haben sie Magdeburg geschlagen, die sind
Tabellenführer. Gut möglich, dass das für längere Zeit der letzte Sieg
Türkgücüs in der dritten Liga gewesen ist, dann wäre der Traum immerhin mit
einem großen Knall verpufft; und wenn Ostermann tatsächlich investiert,
Saarbrücken aber in der Relegation scheitert, hätten wir ein modernes
Märchenende: Alle Hoffnungen verpufft, alle sind gescheitert. Dann wären
wir schlussendlich doch von Perrault über Walt Disney zu Edgar Allan Poe
gekommen.
17 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.liga3-online.de/tuerkguecue-muenchen-finanzspritze-von-fcs-boss…
## AUTOREN
Frédéric Valin
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