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# taz.de -- Dopingfall Walijewa bei Olympia: Das manipulierte Mädchen
> Kamila Walijewa darf in Peking trotz eines Dopingbefunds weiterhin ihre
> Eislaufkünste zeigen. In den Fokus gerät nun das Umfeld der 15-Jährigen.
Bild: Sprungwunder, Ästhetin, Kind: Kamila Walijewa darf nach einem Gerichtsbe…
Peking taz | Kamila Walijewa ist die derzeit beste Eiskunstläuferin der
Welt. Die Kür, die sie beim Teamwettbewerb der Spiele im Peking gezeigt
hat, ließ Menschen überall auf der Welt dahinschmelzen. So athletisch, so
rhythmisch und vor allem so artistisch hat sich vielleicht noch nie ein
Wesen übers Eis bewegt.
Kamila Walijewa ist eine Jugendliche. Sie ist 15 Jahre alt. Im April wird
sie 16. Abseits der Eisfläche wirkt sie sehr kindlich, gar nicht so elegant
wie auf dem Eis.
Kamila Walijewa ist eine Betrügerin. Das legt der positive Dopingbefund
nahe, der während der Spiele bekannt wurde. Am 25. Dezember ist sie mit dem
Herzmittel Trimetazidin im Körper russische Meisterin geworden.
Und: Kamila Walijewa ist Russin. Das auch noch! In ihrer Heimat wird sie
wie alle erfolgreichen Eiskunstläuferinnen von den Fans angehimmelt. Sie
ist ein Superstar in dem Land, wegen dessen Dopinggeschichte russische
Athleten bei den Spielen von Peking nicht unter der Flagge ihres Landes
antreten dürfen. Am Dienstag wird sie zum Kurzprogramm antreten. [1][Der
Internationale Sportgerichtshof (Cas)] hat entschieden, dass sie nicht
suspendiert wird – trotz der positiven Dopingprobe. Ein Statement dazu von
Matthieu Reeb, dem Generalsekretär des Cas, ließ die russischen
Journalisten im Saal der Pressekonferenz im Pekinger Medienzentrum jubeln.
## Besondere Schutzrechte
Verhandelt worden war ein Einspruch des Internationalen Olympischen
Komitees, der Internationalen Eislaufunion und der Welt-Antidopingagentur
(Wada) gegen die Entscheidung der Antidopingagentur Russlands, die nach
Bekanntwerden der positiven Dopingprobe erfolgte Suspendierung der Athletin
aufzuheben. Der Cas hat also überprüft, ob die Entscheidung, Walijewa
laufen zu lassen, obwohl man bei ihr eine verbotene Substanz gefunden hat,
vertretbar ist. Sie ist es.
Ihre besonderen Schutzrechte als Minderjährige haben den Ausschlag gegeben.
Ob nun wirklich ein Dopingvergehen vorliegt oder nicht, ist bei der langen
Sitzung des Sportrichterkollegiums in der Nacht auf Montag nicht
entschieden worden. Das wird erst später geschehen. Ein Urteil kann bei
Minderjährigen auch in einer bloßen Verwarnung bestehen. Wäre Walijewa
suspendiert worden, hätte man die Jugendliche vielleicht um Gold gebracht.
Das wollten die drei Sportrichter vermeiden.
Als Reeb die Entscheidung bekanntgegeben hat, ging es nach Tagen hitziger
Diskussionen nicht mehr allein darum, ob man mit einer Sperre Walijewas den
Sport im Sinne der Antidopingregeln sauber halten kann. Wie es sein kann,
dass eine 15-Jährige ins Zentrum eines solchen Sportskandals gerät, das
wird auch über die Spiele hinaus Thema bleiben. Es geht um sicheren Sport
für Jugendliche und darum, ob Olympische Spiele schon für Mädchen und Jungs
offen sein sollten, die ihre Pubertät zum Teil noch vor sich haben.
## 15 ist zu jung
In der Internationalen Eislaufunion will man dieses Problem nun angehen,
indem man das Mindestalter, das zur Teilnahme an Elitewettkämpfen
berechtigt, [2][von 15 auf 17 Jahre heraufsetzt]. Auslöser dafür war eine
Studie der medizinischen Kommission des Verbands, in der es heißt, dass
„die Zulassung von Jugendlichen zu Erwachsenenwettkämpfen zu Belastungen
und Risiken führt, die nicht nur körperlich, sondern auch im Hinblick auf
die psychische und soziale Entwicklung nicht altersgerecht sind“. Zudem
führe der Leistungssport im frühen Alter zu einer Verzögerung der Pubertät
um bis zu zwei Jahre. Es gibt wohl eine Mehrheit für eine höhere
Altersgrenze unter den Mitgliedern der ISU. Und einen Verband, der sie mit
Nachdruck bekämpft: den russischen. Kein Wunder. Es waren Mädchen, die die
großen Erfolge des russischen Eiskunstlaufs eingefahren haben.
Walijewas Trainerin Etire Tutberidse ist bekannt dafür, dass sie besonders
gut mit jungen Sportlerinnen arbeiten kann. Die Jugendlichen mit den
Kinderkörpern, die sie zu artistischen Höchstleistungen trimmt, sind
Medaillengarantinnen. Tutberidses Mädchen haben in Sotschi 2014 und vier
Jahre später die Wettkämpfe dominiert.
Sie hat ihren Sportlerinnen schon mal verboten, Wasser zu trinken, auf dass
sie ja kein Gramm zu viel wiegen, hat zugesehen, wie sie Essstörungen
entwickelt haben, und wollte es nicht ernst nehmen, wenn sich eine ihrer
Athletinnen über Schmerzen beschwert hat. Und so lief Jewgenija Medwedewa
die Kür, mit der sie vor vier Jahren in Pyeongchang Silber gewonnen hat,
mit einem gebrochenen Mittelfußknochen. Es gibt noch viel mehr
Horrorgeschichten, die im Moskauer [3][Eislaufverein Sambo 70] spielen, in
dem Tutberidse das Zepter schwingt. Sie erzählen die Geschichte von
psychischer und physischer Gewalt.
Viele dieser Geschichten im Weltsport harren noch ihrer Aufklärung. Es
braucht starke Athletinnen, um die systematischen Misshandlungen in
Trainingsgruppen aufklären zu können. Von ihrem Verband und seinen
Handlangern emanzipieren konnte sich etwa die Frauenriege des
US-amerikanischen Turnverbands. Körperliche Gewalt bis hin zu sexuellen
Übergriffen gehörten dort lange zum Alltag der Sportlerinnen, die auch dann
von ihrem Verband nur wenig Rückendeckung bekamen, als sie das gewalttätige
System öffentlich gemacht haben. Der Druck einer kritischen
Sportöffentlichkeit hat den Athletinnen um Simone Biles geholfen.
## Höhepunkte einer Eislaufsoap
Nach den ersten Enthüllungen im Fall Walijewa gab es auch in Russland viel
Empörung darüber, dass man einer 15-Jährigen offenbar einen Dopingcocktail
mit einem Herzmedikament, das für Minderjährige nicht zugelassen ist,
verabreicht hat. Für eine Weile trendete auf Twitter ein Hashtag mit der
Botschaft: „Schande über Tutberidse“. Lange hielt die Empörung nicht an.
Ein Bild vom Training Walijewas am Sonntag brachte die Wende.
Die Trainerin ist da zu sehen, wie sie die weinende Walijewa tröstet. Die
Szene war der emotionale Höhepunkt einer Eiskunstlaufsoap, wie sie Russland
noch nicht gesehen hat. Eine Unterstützungskampagne für Walijewa wurde
losgetreten. „Kamila, wir stehen hinter dir“, war nicht nur in sozialen
Medien die Botschaft. Sie strahlte auch von riesigen Werbewänden in der
Moskauer Innenstadt. Bilder davon werden zigtausendfach auf Fankanälen via
Instagram verteilt. Walijewa wurde dort nur noch „unser Mädchen“ genannt.
Verschwörungstheorien machten die Runde. Dafür ist auch das Testmanagement
verantwortlich. Am 25. Dezember ist die Probe bei Walijewa genommen worden,
am 8. Februar ist das positive Ergebnis erst gemeldet worden. Sechs Wochen
hat es also gedauert, bis das von der Wada akkreditierte Analyselabor in
Stockholm ein Ergebnis geliefert hat. Coronainfektionen beim Personal
sollen der Grund dafür sein. In Russland wird derweil nicht nur in sozialen
Medien wild spekuliert, was in den sechs Wochen mit der Dopingprobe von
Walijewa veranstaltet worden sein könnte.
Mit jeder Spekulation wird der Fokus weggerichtet vom Lager Tutberidses,
die mit dem Arzt Philipp Schwetzki zusammenarbeitet. Der wurde 2008
gesperrt, nachdem er russischen Ruderern verbotene Infusionen gesetzt
hatte. Bei der Finlandia Trophy in Espoo im Oktober, bei der Tutberidse
verhindert war, saß Schwetzki neben Walijewa in der Box, als die auf die
Noten der Kampfrichterinnen gewartet hat. Die beiden wirkten vertraut. Die
Noten waren dann so hoch wie nie zuvor in der Geschichte des Eiskunstlaufs:
Weltrekord. Walijewa wurde in Begleitung des sinistren Arztes Favoritin auf
den Olympiasieg.
Um den darf sie nun tatsächlich laufen. Wann und ob ihr jemand Gold
überreichen wird, wenn sie den olympischen Wettkampf als Beste beendet, ist
ungewiss. Nach den Spielen erst wird die Entscheidung darüber fallen, ob
Walijewa wegen Dopings verurteilt wird.
Wer ein bisschen Sinn für Eiskunstlauf hat, der sollte sich die Kür der
kleinen Russin ansehen. Wenn sie ihr nur halbwegs so gut gelingt wie beim
Teamwettbewerb, wird sie eine Augenweide sein. Egal was da war und was da
sein wird.
14 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.tas-cas.org/en/index.html
[2] https://www.insidethegames.biz/articles/1097741/isu-to-discuss-figure-skati…
[3] https://figure-skating.fandom.com/wiki/Category:Sambo_70
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
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Doping
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Kolumne Russisch Brot
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