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# taz.de -- Geißbockliteratur zum 1. FC Köln: Weisweilers neun Geschwister
> Doppelbödige Glücksziege: Eine Biografie würdigt die Kölner Geißböcke
> Hennes I. bis Hennes IX und erklärt warum das Tier so gut zum 1. FC Köln
> passt.
Bild: Hennes VIII wartet im Stadion des 1. FC Köln auf den Anpfiff
Bisweilen gerät man über seltsame Umwege an ein Buch. Unerklärlicherweise
schickte mir der Kölner Greven Verlag per Mail eine anpreisende Nachricht
vom Fotoband 75 Jahre NRW. Darin seien reizvolle Städte wie u. a. Siegen
und Krefeld zu finden.
Siegen reizvoll? Diese Betonwüste mit Hochautobahn mitten im Ort? Über
Siegen heißt es zurecht: „Was ist schlimmer als Verlieren? Siegen.“ Und
Krefeld? Dieses abgewrackte innerstädtische Nichtsmehr, das nach dem
bevorstehenden Regionalliga-Abstieg des KFC Uerdingen bald die größte
deutsche Stadt mit höchstens einem Fußball-Fünftligisten vor Ort sein wird?
Ich mailte dem Pressemenschen Damian van Melis: „Krefeld, Siegen reizvoll?
Sie haben wirklich Humor.“
Der Mann textete umgehend meine Mailbox voll und schrieb zurück. Wir
plauderten lange und kamen zum Ergebnis, auch die wüsteste Wüstenei könne
zufällig reizvolle Restecken haben. Am Ende war er ganz gerührt, dass der
Held meines frisch erschienenen Fahrradromans „Die Zahl 38.185“
zufälligerweise auch Damian heißt, schickte mir den dicken Bildband und
noch ein Buch dazu: „Sport! Da schreiben Sie doch drüber …“
So landete Hennes auf meinem Schreibtisch. Es ist das wohl erste Buch, dick
zumal, das sich allein einem Bundesligatier widmet: dem Kölner Geißbock.
Genauer: den neun meckernden Maskottchen Hennes I bis IX, die es seit 1950
gab. Geschrieben hat es ein Theologe, der beim bischofsnahen Domradio
arbeitet. Aber gut, in diesem reizvollen Köln („schönste Stadt der Welt“)
ist alles katholisch, brauchtumsgetränkt und karnevalistisch, also auch
alles möglich.
## Taufe mit Kölsch
Wie mag der Jecken-Klub auf die bizarre Idee gekommen sein? Ein Ziegenbock!
Es war ein Geschenk des Zirkus Williams. Bei der Vereins-Karnevalsfeier im
Februar 1950 kam plötzlich „ein lebendiger Talisman“ in die vollbesetzte
Manege. „Hipp Hipp Hippebock“ skandierten die angetrunkenen
Vereins-Alaafisten ausgelassen.
Auf der Bühne war auch der 30-jährige [1][Hennes Weisweiler] dabei, als
Spielertrainer, wie es heißt. Nach ihm wurde der Bock gleich benannt. Lange
hieß es, der Bock habe Weisweiler auf der Bühne angepinkelt. „Nichts davon
ist wahr. Das hätte die Ziege nie getan“, lesen wir erleichtert.
Nach der Inthronisation ging es in eine Sülzer Kneipe, Hennes wurde am
Tresen per Spülbürste mit alkoholischem Weihwasser getauft, also mit
Kölsch. Der Präsident rief „Gelobt sei Jesus Christus“, während der Bock…
einen eilig angereichten silbernen Sektkübel köttelte. So isset in Kölle,
Halleluja.
Mit dem Neuzugang in Müngersdorf blieb der FC sieben Spiele ungeschlagen.
Bald prägte Hennes sogar das Vereinswappen.
Der Autor hat mit letzten lebenden Zeitzeugen gesprochen und offenbar
ausführlich in Archiven gegraben. Zutage kamen nicht nur die Lebensläufe
der Böcke zwischen Stroh, Gemecker und dem Shuttleservice samstags ins
Stadion, sondern auch reichlich Zeitgeschichte, vor allem aus der
Nachkriegszeit. Schauerlich bieder alles, in viel Kölsch getränkt.
Bock sei Dank wurde der FC 1962 erstmals Deutscher Meister und 1964 gleich
noch mal, zur Bundesliga-Premiere. Da war der erste Hennes immer noch im
Amt, fast 17 Jahre wurden es schließlich, so lange wie kein Nachfolger und
länger als Angela Merkel. Dabei war seine Vita denkbar mies: Hennes I.
wurde einst in Düsseldorf gezeugt, ausgerechnet, und auch von einem Bock
aus der Helau-Stadt.
Die Hennesse waren bald auch auswärts Kult. Anfangs fuhr das Tier im
Mannschaftsbus mit, später in einem eigens konstruierten Anhänger. In
Duisburg forderten die Fans von ihm einmal eine Ehrenrunde. Natürlich war
er auch beim Rosenmontagszug dabei. Heute ist er am Dom als Wasserspeier
verewigt. Manuel Andrack, FC-Fan, trägt einen Schal mit der Aufschrift „Ich
bin ein Geißbock“ und sieht „Parallelen zur Heiligenverehrung“.
Der Autor stellt klar: „Hennes ist eine Ikone.“ Und für eine
[2][Fahrstuhlmannschaft wie den ligenpendelnden FC] scheint so ein Bock
maßgeschneidert, erklärt ein Psychologe: „Die Ziege passt zum 1. FC Köln,
weil sie so ein schwankendes Tier ist, das diese Doppelbödigkeit in sich
trägt.“ Der Seelendeuter ist Autor des Buches „Köln auf der Couch“.
Die Hennes-Saga, kein Zweifel, ist deutlich reizvoller als Krefeld und
Verlieren zusammen.
4 Feb 2022
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## AUTOREN
Bernd Müllender
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