# taz.de -- Zum Tod von Petr Uhl: Elder Statesman des linken Untergrunds | |
> Der tschechische Ex-Dissident gehörte zu den bedeutendsten | |
> Persönlichkeiten des Widerstands gegen die Herrschaft der Kommunisten. | |
Bild: Petr Uhl 2011 | |
Prag taz | Es muss irgendwann in der Nacht zum 17. November 1989 gewesen | |
sein, dass Petr Uhl eine [1][Falschmeldung] verbreitete, die den Lauf der | |
Geschichte beschleunigen und nachhaltige Folgen haben sollte. | |
Am Abend zuvor hatten die weißbehelmten Sturmtruppen eines sich gerade | |
auflösenden politischen Systems in der Prager Nationalstraße eine | |
Studentendemonstration niedergeknüppelt. Auf der entgegengesetzten Seite | |
des [2][Wenzelsplatzes], gleich hinter dem Nationalmuseum, betrieb Petr Uhl | |
in seiner Wohnung die Osteuropäische Nachrichtenagentur (VIA). | |
Diese versorgte auch westliche Nachrichtensender mit Informationen aus der | |
Tschechoslowakei, wo die Revolution bis zu diesem Zeitpunkt nur schleppend | |
voran geschritten war. Erst als sich die Nachricht verbreitete, der Student | |
Martin Šmíd sei zu Tode geprügelt worden, erhielt die Samtene Revolution | |
die Dynamik, die es brauchte, um das Regime hinwegzufegen. | |
Das betraf nicht nur die alten Machthaber, wie es die tschechoslowakische | |
Staatssicherheit geplant hatte, als sie die Desinformation vom toten | |
Studenten Martin Šmíd produzierte. Als es endlich soweit war und die Wende | |
in der Tschechoslowakei mit der Ernennung Václav Havels zum Präsidenten | |
ihren Höhepunkt fand, saß Petr Uhl wegen Verbreitung von | |
Falschinformationen in Haft. Als er Anfang 1990 im Zuge der Generalamnestie | |
seines alten Mitstreiters Havel auf freien Fuß kam, wurde er zum Chef der | |
tschechoslowakischen Nachrichtenagentur ČTK ernannt. | |
## Arbeit als Heizer | |
Petr Uhl gilt als ein Gründer des tschechoslowakischen Dissens: Schon kurz | |
nach der Niederschlagung [3][des Prager Frühlings], im Dezember 1968, sagte | |
der 27-jährige Ingenieur der beginnenden Normalisierung von links unten den | |
Kampf an und gründete die „Bewegung der revolutionären Jugend“. Ein Jahr | |
darauf wurde er festgenommen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Weitere | |
fünf sollten bis 1989 folgen. Die Charta 77 hatte er als einer ihrer | |
Initiatoren im Dezember 1976 unterzeichnet. Dafür bekamen er und seine | |
Mitstreiter Václav Benda, Václav Havel und Jiří Dienstbier 1979 fünf Jahre | |
Haft. | |
Dabei war es ihm wichtig, als Gewissenshäftling zu gelten, nicht als | |
politischer Gefangener. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Heizer, | |
gründete den „Ausschuss für ungerecht Verfolgte“, die Osteuropäische | |
Nachrichtenagentur und blieb eine der wichtigsten Personen im tschechischen | |
Untergrund. | |
Nach der Wende waren es weniger die Ämter, die er nach der Samtenen | |
Revolution einnahm, wie Regierungsbevollmächtigter für Menschenrechte, die | |
Uhls gesellschaftliche Rolle definierten. Er war eher der Elder Statesman | |
des tschechischen Undergrounds. Ein Mahner, der, dank seines Hangs zur | |
Pedanterie und seines guten Gedächtnisses, auch nerven konnte. | |
Zum Beispiel als er nach der Teilung Ende 1992 der Tschechoslowakei die | |
slowakische Staatsbürgerschaft annahm – mit der Begründung, die müsse auch | |
im ehemaligen Teilstaat Tschechien gelten. Was wie eine Trotzreaktion | |
aussehen mochte, half konkret vielen slowakischen Roma, die plötzlich als | |
Ausländer in Tschechien galten. | |
Mit seiner Frau, der Dissidentin Anna Šabatová, hat er Tschechiens Linke | |
nach der Wende mit definiert. Sohn Michal ist Politiker, Tochter Saša eine | |
linke Journalistin, die für ihre Wallraff-inspirierten Reportagen anerkannt | |
ist. Sein Erbe ist in sicherer Hand. Am 1. Dezember ist Uhl nach langer | |
Krankheit im Alter von 80 Jahren in Prag gestorben. | |
2 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Samtene-Revolution-in-Prag/!5638706 | |
[2] /50-Jahre-Prager-Fruehling/!5563401 | |
[3] /Gedenken-an-Prager-Fruehling/!5525951 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
## TAGS | |
Tschechien | |
Prager Frühling | |
Tschechien | |
Prager Frühling | |
Andrej Babis | |
Schwerpunkt 1968 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tschechiens neuer Ministerpräsident: Der Eiertanz | |
In der Fünf-Parteien-Koalition in Tschechien knirscht es gleich zu Beginn. | |
Der Akademiker Petr Fiala muss zwischen EU und Nationalstaat balancieren. | |
50 Jahre Prager Frühling: Die menschliche Fackel | |
Vor 50 Jahren zündete sich Jan Palach auf dem Wenzelsplatz an. Heute haben | |
in der tschechischen Hauptstadt die Wendehälse das Sagen. | |
Gedenken an Prager Frühling: Schimpf und Schande für Babiš | |
Am 50. Jahrestag des Prager Frühlings machen viele Tschechen ihrem Unmut | |
über den Regierungschef Luft. Denn der war ein Stasi-Spitzel. | |
Prager Frühling vor 50 Jahren: Wunden, die nicht verheilen wollen | |
Viele jungen Tschechen wissen nicht, was sich hinter dem „Prager Frühling“ | |
verbirgt. An der Staatsspitze tummeln sich indes Mitläufer von damals. |