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# taz.de -- Sexuelle Belästigung live im TV: Den Ball nicht flach halten
> Eine italienische Sportjournalistin wird nach einem Erstligaspiel von
> Fans begrapscht und beleidigt. Sie lässt die Sache nicht auf sich
> beruhen.
Bild: Wurde vor laufender Kamera begrapscht: TV-Moderatorin Greta Beccaglia
Kinderwagenschieben war nicht drin, so tief konnte ein Mann gar nicht
sinken; in aller Öffentlichkeit die Hosen runterlassen, um sich die meist
gelbverkrustete Feinrippunterwäsche zu richten, war hingegen überhaupt kein
Problem: Es ist noch nicht so lange her, wie manche in ihrer Besoffenheit
von der ach so aufgeklärten Gegenwart meinen, dass Männer vor aller Augen
massenhaft, vollkommen selbstverständlich und unsanktioniert ekelhafte und
gemeine Dinge sagten und taten.
Wenn man heute die Glotze einschaltet, sieht man statt der alten
Hackfressen eher Charaktermasken à la Richard David Precht: Die reden zwar
immer [1][noch gefährlichen Querdenkerquatsch], sehen dabei aber doch
wenigstens lieblicher aus. Das ist er, der glänzende Fortschritt der
Emanzipation und Gleichberechtigung, der immer nur dann einen kleinen
Kratzer bekommt, wenn mal wieder, [2][wie etwa diese Woche in einem
Münchner Waldstück], ein Mann erweiterten Suizid begeht, also in diesem
Fall sich selbst und sein Kind tötet: In vielen anderen Fällen töten Männer
zur Lösung ihrer persönlichen Probleme auch noch ihre (Ex-)Partnerinnen
sowie weitere unschuldige Menschen aus dem familiären Umfeld. Und der
Fortschritt liegt hier darin, dass bei solchen Verbrechen wenigstens immer
weniger oft die Rede von einem „Familiendrama“ ist.
Alle Menschen können in Versuchung geraten, persönliche Niederlagen in
Aggression gegen Unschuldige umzumünzen. Aber Männer liegen doch deutlich
vorne, was Häufigkeit, Hasspotenzial und Uneinsichtigkeit angeht. Die
italienische Sportreporterin Greta Beccaglia musste die Kombination von
männlicher Frustration und kompensierender Erniedrigungsgeste am
vergangenen Samstag am eigenen Leib erfahren – just an dem Wochenende, an
dem der italienische Fußballbetrieb durch rote Striche im Gesicht seiner
Protagonisten auf das Thema „Gewalt gegen Frauen“ aufmerksam zu machen sich
vorgenommen hatte.
## „Entschuldigung, das geht nicht!“
Beccaglia, die für den privaten Sender Toscana TV beim toskanischen
Erstligaderby Empoli gegen Florenz dabei war, hatte nach dem für die
Fiorentina 1:2 verlorenen Auswärtsspiel vor dem Stadion auf die Fans
gewartet, um Stimmen zum Spiel zu sammeln. [3][Auf Filmaufnahmen im Netz
ist zu sehen,] wie ein Mann sich von hinten der Journalistin nähert, in
seine Hand spuckt, Beccaglia begrapscht und dann schnell weitergeht.
„Entschuldigung, das geht nicht!“, ruft die Reporterin dem Mann nach einem
kurzen Moment des Schocks hinterher. In einem Interview der Gazzetta dello
Sport sagte Beccaglia, dass das nicht der einzige Vorfall gewesen sei, sie
sei noch von anderen Männern physisch und verbal angegangen worden, bis die
Übertragung abgebrochen wurde.
Und nun? Giorgio Micheletti, der Moderator, der Beccaglia während der
Schalte geraten hatte, die Sache nicht weiter zu beachten (und der seine
Wortwahl bedauert, den aber Beccaglia nicht zum Sündenbock gemacht sehen
will), legt nun auf Anweisung seines Arbeitgebers erst mal eine Pause ein.
Beccaglia selbst zeigt sich beeindruckt von der Welle der Solidarität, die
sie erfahren habe. Der Grapscher, gegen den sie Anzeige erstattete, wurde
ermittelt und zeigt sich, nun ja – reumütig? Er sei keine böse Person,
sagte er im Zeitungsinterview, mit Sexismus habe sein Übergriff nichts zu
tun, das sei einfach aus Übermut geschehen und wegen der Niederlage seines
Teams. Das wird der 48-Jährige für die nächsten drei Jahre nun nicht live
erleben können, er bekam ein nationales Stadionverbot. Sein Anwalt werde
sich mit dem von Beccaglia in Verbindung setzten, damit er sich offiziell
bei ihr entschuldigen könne, ließ er weiter mitteilen.
## Solidarität und Gerechtigkeit
Die aber wird sich damit nicht zufriedengeben, die Justiz müsse ihren Weg
gehen, sie habe nächtelang nicht geschlafen und könne „nicht in Ruhe zur
Arbeit gehen, nur weil ich eine junge Frau bin. Ich bin schockiert und ich
habe Angst. Manche Leute haben mir geraten, keine Anzeige zu erstatten,
aber das sind sehr ernste und inakzeptable Dinge, die mich verletzt und
zutiefst traurig gemacht haben.“
Am Dienstagabend, beim Heimspiel von Florenz gegen Salerno, war Greta
Beccaglia dann wieder auf Arbeit, ihrer Arbeit, zu der zurückzukehren sie
sich sehr gefreut habe. Gegen zumindest einen weiteren Angreifer wird
ermittelt, Florenz hat die Partie gewonnen, und [4][Greta Beccaglia ist
eine mutige Frau,] die es sich nicht bieten lässt, benutzt und belästigt zu
werden. Für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit bekommt sie nun, was wir uns
alle wünschen: Solidarität und Gerechtigkeit.
1 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/richard-david-precht-krude-thes…
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/vater-und-vierjaehriger-sohn-in-muench…
[3] https://video.corrierefiorentino.corriere.it/giornalista-molestata-diretta-…
[4] https://www.sportschau.de/fussball/serie-a/video-eine-schande---sexuelle-be…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Sexuelle Übergriffe
Schwerpunkt #metoo
Journalistin
Profi-Fußball
Schwerpunkt #metoo
taz-Serie Sexuelle Gewalt
Kolumne Frühsport
American Pie
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