# taz.de -- Schwedischer Ölkonzern Lundin-Energy: Spitzenmanager angeklagt | |
> Nach 11 Jahren Ermittlungen: Wegen mutmaßlicher Beihilfe zu | |
> Kriegsverbrechen in Sudan verfolgt Schwedens Justiz zwei | |
> Lundin-Energy-Direktoren. | |
Bild: Sudans damaliger Präsident Omar Al-Bashir bei einer Rede 2004 | |
STOCKHOLM taz | In Schweden steht ein historisches Gerichtsverfahren an. | |
Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag Anklage gegen zwei leitende | |
Direktoren des Ölkonzerns Lundin-Energy erhoben. Ihnen wird [1][Beihilfe zu | |
schweren Kriegsverbrechen in Sudan in der Zeit von 1999 bis 2003 | |
vorgeworfen]. Der Anklage waren elfjährige Ermittlungen vorangegangen, rund | |
150 ZeugInnen wurden gehört, die Ermittlungsakten umfassen über 80.000 | |
Seiten. | |
Seinerzeit noch unter dem Namen Lundin-Oil war die schwedische Ölfirma seit | |
1991 in Sudan aktiv gewesen. Sie hatte 1997 zusammen mit der Petronas | |
Carigali Overseas aus Malaysia, der österreichischen OMV Sudan Exploration | |
und der sudanesischen Sudapet ein Konsortium gegründet, um die Ölvorkommen | |
in einer „Block 5 A“ genannten Region auszubeuten: mit 30.000 | |
Quadratkilometern ein etwa so großes Gebiet wie das Bundesland Brandenburg, | |
gelegen in der südsudanesischen Provinz Western Upper Nile an der Grenze | |
zum Nordsudan. | |
Diese Gegend sei vor dem Auftauchen der Ölkonzerne vom Bügerkrieg in Sudan | |
noch relativ verschont gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Aber mit | |
Aufnahme der Ölexplorations und -förderaktivitäten durch Lundin & Co wurde | |
sie zu einer der am schwersten umkämpften Regionen. | |
Laut der Anklageschrift gab es da einen offensichtlichen Zusammenhang: | |
Lundin habe von der sudanesischen Regierung zur Sicherung der ungehinderten | |
Ausbeute der Ölvorkommen eine „Säuberungsaktion“ gefordert. Dafür habe | |
Khartoum das sudanesische Militär und mit diesem alliierte Milizen | |
eingesetzt. Die Folge seien „systematische Angriffe gegen die | |
Zivilbevölkerung“ gewesen, darunter Bombardierung aus Transportflugzeugen | |
und wahlloses Erschießen von Menschen aus Hubschraubern heraus. | |
## Anklageschrift: Lundin habe „Säuberungsaktion“ gefordert | |
Es sei vertrieben und geplündert worden: „Ganze Dörfer und die Ernten | |
wurden niedergebrannt, damit die Menschen nichts mehr zum Leben hatten.“ | |
Ehemalige Lundin-Angestellte berichten auch von direkter Finanzierung von | |
Milizen durch Lundin. Die Staatsanwaltschaft bewertet die Beteiligung des | |
Ölkonzerns an diesen völkerrechtswidrigen Militäraktionen als strafbare | |
Beihilfe zu Kriegsverbrechen. | |
Dass es nach über 20 Jahren überhaupt zur jetzigen Anklage kommen konnte, | |
ist der Arbeit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu | |
verdanken, die schon 2000 [2][die Publikation „Sudan: The human price of | |
oil“] veröffentlicht hatte. Vor allem aber der „European Coalition of Oil | |
in Sudan“ (ECOS), einem NGO-Bündnis, das Augenzeugenberichte und andere | |
Beweise mit konkreten Einzelheiten zu den fraglichen Kriegsverbrechen | |
sammelte und 2010 unter dem Titel [3][„Unpaid debt“] publizierte. | |
Die sudanesische Regierung habe „durch Zwangsräumungen der lokalen | |
Bevölkerung und Zerstörung von Dörfern“ dafür gesorgt, „Gebiete zu | |
entvölkern und damit einen ungehinderten Ölbetrieb zu ermöglichen“, wird | |
darin beispielsweise auch der FDP-Politiker Gerhard Baum, damaliger | |
UN-Beauftragter für die Menschenrechte in Sudan, zitiert. Die ECOS-Bilanz | |
der „Säuberungsaktion“ für die ungestörten Geschäfte der Ölkonzerne: 1… | |
Tote und 160.000 Vertriebene. Die Ölwirtschaft „brachte die Gewalt des | |
Krieges in diese Region“, sagte Egbert Wesserlin, ein Co-Autor der Studie, | |
anlässlich ihrer Präsentation. Zivilpersonen seien getötet, Frauen | |
vergewaltigt, Menschen gefoltert, Kinder entführt worden. Die Konzerne | |
hätten diese Verbrechen zwar nicht selbst begangen, [4][aber sich der | |
Beihilfe daran schuldig gemacht]. | |
So sieht das jetzt auch die schwedische Staatsanwaltschaft. Ihre | |
Ermittlungen gestalteten sich schwierig. 2018 berichteten [5][Medien], | |
ZeugInnen aus Südsudan und Nachbarländern würden bedroht. Es sei auch zu | |
Gewalttaten gekommen. Diese Berichte wollte die Staatsanwaltschaft unter | |
Hinweis auf Geheimhaltungsvorschriften nicht kommentieren. | |
## Amnesty International: „ein bislang einmaliger Rechtsfall“ | |
Amnesty begrüßt die Anklageerhebung und spricht von einem „bislang | |
einmaligen Rechtsfall“: Aufgrund der universellen Gerichtsbarkeit für | |
Kriegsverbrechen müssten nun Unternehmensrepräsentanten damit rechnen, für | |
schwere Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden, ganz gleich, wo | |
diese begangen worden seien. Das Verfahren könne einen abschreckenden | |
Effekt auf das künftige Agieren von Konzernen haben, meint auch Johan | |
Brosché, Friedens- und Konfliktforscher an der Universität Uppsala. In | |
Konfliktregionen aktive Firmen wüssten nun, welche Konsequenzen drohen: | |
Freiheitsstrafen mit einer Strafskala bis hin zu lebenslanger Haft und | |
empfindlichen Geldstrafen. | |
Ein Prozessbeginn steht noch nicht fest. Es wird mit einer Verfahrensdauer | |
von eineinhalb Jahren gerechnet. Neben der Anklage gegen die beiden Manager | |
fordert die Anklagebehörde auch die Einziehung der auf umgerechnet 140 | |
Millionen Euro geschätzten „Block 5A“-Gewinne des Lundin-Konzerns. | |
12 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aklagare.se/en/media/press-releases/2021/november/prosecution-f… | |
[2] https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2021/06/afr540012000en.pdf | |
[3] https://www.ecosonline.org/reports/2010/UNPAID_DEBT_fullreportweb.pdf | |
[4] /!421463&s | |
[5] /Schwedische-Journalisten-freigelassen/!5084230 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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