| # taz.de -- Grundbesitz als Privateigentum: „Wir brauchen einen Kulturwandel�… | |
| > Die Aktivistin Daniela Brahm plädiert für ein radikales Umdenken im | |
| > Umgang mit Grundbesitz und daraus resultierenden Bodenspekulationen. | |
| Bild: Plakat bei einer Demo in Berlin im September 2019 | |
| taz: Frau Brahm, Boden ist nicht vermehrbar und gilt deshalb als sichere | |
| Geldanlage. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ist Boden immer | |
| stärker zu einem Spekulationsobjekt geworden. Was heißt das für Berlin? | |
| Daniela Brahm: Berlin war lange geprägt von Brachen und Freiräumen. Die | |
| Wirtschaftskraft war relativ gering, Grundstücke waren günstig. Das machte | |
| die Stadt besonders interessant für Spekulanten, denn je geringer die | |
| Ausgangspreise, desto höher der mögliche Profit. Heute herrscht extremer | |
| Mangel an Grund und Boden. Am Alexanderplatz liegt der Bodenrichtwert | |
| mittlerweile bei 14.000 Euro pro Quadratmeter. In umkämpften | |
| Innenstadtlagen haben sich die Preise innerhalb weniger Jahre verdoppelt. | |
| Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau führte Kriege, Verbrechen und Elend | |
| darauf zurück, dass Menschen behaupten können: Dieses Land ist mein | |
| Eigentum. Boden dürfe niemandem gehören, nur die auf ihm ausgeübten | |
| Wirtschaftsaktivitäten könnten zu Eigentum führen. | |
| Ja, Rousseau hat diesen „Sündenfall“ beschrieben. Grundeigentum galt dem | |
| aufsteigenden Bürgertum in der Französischen Revolution als Ausdruck | |
| individueller Freiheit – und das ist bis heute so geblieben. Ich halte es | |
| dagegen für wichtig, den Boden getrennt zu betrachten von dem, was darauf | |
| passiert. Das erfordert allerdings einen fundamentalen Kulturwandel, denn | |
| wir alle sind mit der Vorstellung aufwachsen, dass man Grundstücke besitzen | |
| und vererben kann. | |
| In Singapur gehört fast der gesamte Boden dem Staat, die Wohnungen sind | |
| überwiegend privat. Kann das Vorbild für Berlin sein? | |
| Singapur ist ein autokratisches Land, damit ist es sicher kein Vorbild. | |
| Aber der Umgang mit dem Boden dort ist trotzdem bemerkenswert: Der Staat | |
| hat seit der Unabhängigkeit konsequent Grundstücke aufgekauft und seinen | |
| Anteil von etwa 30 auf 90 Prozent erhöht. Boden wird nur zeitlich befristet | |
| vergeben. | |
| In Berlin sind immerhin auch 50 Prozent des Bodens in öffentlicher Hand. | |
| Warum lässt sich die Stadt damit nicht gemeinwohlorientiert gestalten? | |
| Zwar besitzen Land und Bezirke viel Grund, aber kaum etwas davon steht für | |
| eine aktive Stadtentwicklung zur Verfügung. Das allermeiste ist Wald, | |
| Parks, Straßen und Plätze. Derzeit ist weniger als 1 Prozent der Fläche für | |
| die sogenannte Daseinsvorsorge übrig. Und um das Wenige gibt es ein großes | |
| Gerangel: Der Neubau von Schulen, Wohnungen und Verwaltungsstandorten | |
| konkurrieren hier miteinander. | |
| Berlin hat einen Bodenfonds eingerichtet. Wie beurteilen Sie den? | |
| Das Land Berlin kapert ja gerne Begriffe der Stadtaktivisten. 2020 wurde | |
| die Bodenfonds GmbH als 100-prozentige Tochter der BIM (Berliner Immobilien | |
| Management GmbH) gegründet. Sie soll Grundstücke ankaufen. Seit einiger | |
| Zeit ist es auch politischer Wille, landeseigene Grundstücke nur mittels | |
| Erbbaurecht, also zeitlich befristet, zu vergeben. Das ist im Prinzip | |
| beides richtig, aber so etwas muss man langfristig absichern. Ein | |
| Bodenfonds sollte unabhängig von Legislaturperioden und politischen | |
| Mehrheiten arbeiten, sollte das gesamte Berliner Grundstücksvermögen | |
| umfassen und einheitlichen Regularien unterwerfen. Heute ist es wahnsinnig | |
| zersplittert: Manches gehört den Bezirken, anderes dem Land, es gibt das | |
| Sondervermögen Daseinsvorsorge, das Treuhandvermögen und die Grundstücke | |
| der landeseigenen Betriebe. Zudem brauchen wir Transparenz und die | |
| Mitsprachemöglichkeit der Zivilgesellschaft in einem Beirat. | |
| Hat Berlin denn eigentlich Geld für Grundstücke? | |
| Dass Grundstücke so billig verkauft wurden und nun teuer zurückgekauft | |
| werden müssen, ist sehr ärgerlich. Aber nichts zu tun ist keine | |
| Alternative. Es gilt Flagge zu zeigen: Das Erbbaurecht ist das Instrument | |
| unserer Zeit. Wenn man die Nutzung des Bodens steuern will, muss man sich | |
| die Möglichkeit des Zugriffs erhalten. | |
| Ist der Staat überhaupt der richtige Akteur? Ihr von ExRotaprint habt das | |
| ja mit Stiftungen gelöst. | |
| Wir haben unser Gelände dauerhaft der Spekulation entzogen, und es ist | |
| extrem wichtig, dass sich auch die öffentliche Hand dieses Ziel setzt. Wir | |
| haben abgesichert, dass ExRotaprint nicht wieder verkauft werden kann und | |
| sich keiner der Beteiligten ausbezahlen lassen kann. Zwei Stiftungen halten | |
| dauerhaft den Boden, das ist ihr definierter Stiftungszweck. Wir haben mit | |
| ihnen einen 99-jährigen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, auf dessen | |
| Grundlage die von uns Mietern gegründete gemeinnützige GmbH ExRotaprint das | |
| Gelände bewirtschaftet. Wir besitzen die Gebäude, aber eine Veräußerung des | |
| Geländes ist ausgeschlossen – eine enorm wichtige Setzung, wenn man | |
| bedenkt, dass es heute mindestens 15-mal so viel wert wäre wie 2007. Die | |
| Nutzung steht im Zentrum, nicht die Geldanlage. So etwas verändert | |
| Immobilien extrem. | |
| Der Berliner Koalitionsvertrag sieht ein Bodensicherungsgesetz vor. Wie | |
| schätzen Sie das ein? | |
| Ich freue mich sehr, dass dieser Vorschlag der Linken drinsteht. Wichtig | |
| ist, dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird und das | |
| Erbbaurecht zum zentralen Vergabeinstrument macht. Die Ausgestaltung aber | |
| wird nicht einfach, die SPD übernimmt die Stadtentwicklung und setzt auf | |
| private Investoren beim Wohnungsbau. Maßgeblich für das | |
| Bodensicherungsgesetz ist aber das Finanzressort, das die Grünen gekriegt | |
| haben. Wenn große Investoren künftig wieder Grundstücke vom Land kaufen | |
| dürfen, bin ich stinksauer. | |
| 9 Dec 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Jensen | |
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