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# taz.de -- Die Wahrheit: Rosemarys Nachbarn
> So fangen die schrecklichsten Filme an: Im Haus gegenüber zieht ein
> junges Paar, scheinbar frisch und vegan, ein. Zeit für Luzifer.
Wir haben neue Hinterhofnachbarn. Ein junges, verliebt scheinendes
Heteropärchen, er trägt Bart, sie einen lustigen wuseligen Undone-Dutt,
oben auf dem sehr hohen Kühlschrank steht eine Winkekatze, am Küchenfenster
wächst Basilikum, von dem er manchmal ein paar Blättchen abrupft, wenn er
in Kochlaune ist. Von Weitem wirken die beiden wie ein Paar aus einem
dieser neuen Werbespots für „vegane“ und „frische“ Fertiggerichte.
Allerdings bin ich nicht sicher, ob und was und wie vegan drüben gekocht
wird. Denn plötzlich, nachdem ich wochenlang jeden Abend stundenlang
gemütlich in die fremde Küche spannen durfte, hat das Nachbarpärchen eine
fast fensterfüllende Jalousie angebracht. Ich kann nur noch die Winkekatze
sehen, deren Winken in letzter Zeit fast verächtlich wirkt.
Dabei habe ich nichts getan. Ich gebe zu, ich hatte ein paar Mal darüber
NACHGEDACHT, ob ich drüben mal meine Aufwartung machen sollte. Mir schwebte
eine Szene aus „Rosemary’s Baby“ vor, in der Minnie Castevet gemeinsam mit
ihrem Mann Roman die neuen Bramford-House-Nachbarn Rosemary und Guy
Woodhouse kennenlernen, Minnie, gespielt von Ruth Gordon, trägt eine
60er-Pucci-Bluse, eine passend kreischbunte Hose, weiße Handschuhe und
einen Hut, der aussieht, als ob ein Sofakissen geplatzt ist, er einen
roséfarbenen Anzug und einen Ohrring.
Guy und Rosemary finden die beiden komisch, aber interessant. Was junge
Leute so sagen über alte Hexen und Hexenmeister. Oder, noch besser, eine
spätere Szene, in der Minnie mit der „Schokoladenmaus“ (eine Mousse au
Chocolat, die, wie sich weiter ergibt, mit Schlafmitteln versetzt war,
damit Rosemary sich nicht wehrt, als sie in der darauffolgenden Nacht ein
Kind vom Teufel empfängt) auf Rosemarys Fußmatte steht: Da trägt Ruth
Gordon ein zu Hasenohren gebundenes Kopftuch mit Op-Art-Muster und auf der
faltigen Stirn einen riesigen Mono-Lockenwickler. Großartig. Allein darum
hätte ich gern die neuen Nachbarn heimgesucht. Ich hätte natürlich auch die
Schokoladenmaus hingebracht.
Aber die Nachbarn machen auf Etepetete. Sie wollen scheinbar weder
beobachtet werden noch ein Kind vom Teufel empfangen. Sie wollen nicht,
dass ich anhand ihrer Körpersprache die Chancen für eine Befruchtung
evaluiere und später ein stinkendes Medaillon mit Tanniswurzel
vorbeibringe, damit dem Baby der Schwefelgeruch schon früh vertraut ist.
Die Nachbarn haben, so kommt es mir vor, kein wirkliches Interesse an den
weitgereisten, greisen Satanist:innen, die schräg gegenüber wohnen. Da kann
man noch so viele Lockenwickler und Vintage-Pucci-Blusen tragen: Man wird
von der Jugend nicht wahrgenommen.
5 Nov 2021
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Roman Polanski
Teufel
Nachbarn
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