# taz.de -- Machtverhältnisse bei Hannover 96: Tauziehen vor Gericht | |
> Fußball-Zweitligist Hannover 96 reibt sich chronisch an der Frage, wem | |
> der Verein eigentlich gehört – den Mitgliedern oder Geldgeber Martin | |
> Kind. | |
Bild: Will investieren und bestimmen: Hannover 96-Geldgeber Martin Kind | |
HANNOVER taz | Endlich wieder ein volles Stadion. Fast 40.000 Zuschauer | |
wollten am Freitagabend vor Ort miterleben, wie es Hannover 96 im Duell mit | |
Schalke 04 ergeht. Was sportlich mit einem bitteren 0:1 für 96 endete, | |
hatte auch sonst einen faden Beigeschmack. „Wir wollen Bier“, sang ein | |
Großteil der Fans, weil Mitte der 2. Halbzeit der Verkauf von Gerstensaft | |
gestockt hatte. Wer war schuld an dieser Panne? Der Hausherr? | |
Die aktive Fanszene und viele Vereinsmitglieder in Hannover benehmen sich | |
oft so, so, als ob ihnen das Stadion gehörte. In Wirklichkeit hat bei | |
Hannover 96 Mäzen Martin Kind das Sagen – als Gesellschafter, Funktionär | |
und mehrfacher Geschäftsführer in Personalunion. | |
In der Nordkurve des Stadions am Maschsee, wo der harte Kern der Fans | |
seinen Stammplatz hat, wird gern und viel gesungen. Nicht nur bei | |
Bierknappheit. „Kind muss weg“ – dieser Schlachtruf, der über Jahre im | |
Stadion laut zu hören war, kritisiert ein Grundproblem. | |
Kind hatte vor rund 25 Jahren bei Hannover 96 das Regiment übernommen, um | |
den Verein vor einer Insolvenz zu bewahren und ihn wieder salonfähig zu | |
machen. Neues Stadion, neue Investoren, neue Strukturen, neue Chancen: Aus | |
der von ihm initiierten Weiterentwicklung des Vereins und eigenen | |
Investitionen leitet Kind sein Selbstverständnis ab, wonach alles auf sein | |
Kommando zu hören habe. Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt auch die Musik – | |
was logisch klingt, stößt vielen 96-Mitgliedern seit Jahren übel auf. | |
## Umkämpfte 50+1-Regel | |
Die Causa Kind hat aus Hannover 96 eine Sollbruchstelle im deutschen | |
Profifußball gemacht. Bundesweit wird darüber gestritten, wer in den | |
Vereinen der Ersten und Zweiten Liga das Sagen haben soll – der Stammverein | |
oder die Kapitalgeber. | |
Der Vorstand des Sportvereins Hannover 96, dem Kind nicht mehr angehört, | |
ist Anhänger der 50+1-Regel. Sie besagt, dass ein Stammverein die | |
Entscheidungshoheit über seine Profiabteilung behält, auch wenn sie mit | |
Hilfe einer Kapitalgesellschaft ausgegliedert worden ist. Um diesen | |
Sachverhalt kämpfen viele Mitglieder in Hannover vehement. Sie haben vor | |
Kurzem sogar in die Vereinssatzung aufnehmen lassen, dass die 50+1-Regel | |
bei Hannover 96 in jedem Fall greifen muss. Das ist das klare Signal an | |
Kind: bis hierhin und nicht weiter. | |
Was in Hannover wie ein Wettstreit der Eitelkeiten klingt, geht ganz | |
Fußball-Deutschland an. Kind hatte für sich eine Ausnahmeregelung von 50+1 | |
erwirken wollen, weil er Hannover 96 seiner Ansicht nach seit geraumer Zeit | |
„in erheblichem Umfang fördert“. Dieser Versuch war gescheitert. Die | |
Deutsche Fußball-Liga (DFL), die den Spielbetrieb für Liga eins und zwei | |
organisiert, und das Bundeskartellamt bemühen sich aktuell um eine | |
grundlegende Klärung dazu, wer auf lange Sicht im deutschen Profifußball | |
das Sagen hat. Kind bleibt in Hannover der Überzeugung, dass die Geldgeber | |
über alles Wesentliche bestimmen sollten. | |
Richtig ist: Ein Zweitligist wie 96 ist längst kein klassischer Sportverein | |
mehr, sondern ein millionenschweres Wirtschaftsunternehmen. Es gibt zu | |
seinem Wohl Entscheidungen zu treffen, deren Komplexität manche | |
Vereinsmitglieder überfordern dürfte. Andererseits stößt die Machtfülle von | |
Kind vielen Mitgliedern auf – vor allem dann, wenn der sportliche Erfolg | |
ihres Lieblingsvereins ausbleibt. | |
Und um wie viel Spielgeld von Kind geht es eigentlich? Der 77-Jährige pocht | |
darauf, dass er Hannover 96 schon seit mehr als 20 Jahren alimentiert. 2018 | |
war von mehr als 46 Millionen Euro die Rede. Überzeugend belegen konnte der | |
Millionär das nicht. Sein Antrag auf eine Ausnahmeregelung von 50+1 ruht. | |
Kind glaubt aber fest daran, dass das Tauziehen um Moneten und | |
entsprechende Macht eines Tages vor Gericht entschieden wird. | |
18 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Christian Otto | |
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