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# taz.de -- Beruhigung durch Fußball: Ein Tor wie damals von Angelo Vier
> Fußballer können durchs Leben helfen, nur weil es sie gibt. Wie sie
> Fantasien freisetzen, das weiß unser Kolumnist aus eigener Erfahrung.
Bild: Beim SC Verl ist Träumen möglich
Manchmal denke ich an Angelo Vier, einfach so, völlig unvermittelt. Ich
habe keine konkrete Erinnerung an eines seiner Tore, und auch sonst ist mir
nichts Spektakuläres in Erinnerung geblieben. Der Name ist natürlich super,
ein astreiner Daktylus oder vielleicht auch ein Anapäst mit Auftakt, ich
habe den Unterschied nie so recht begriffen.
Vermutlich hängt es mit [1][Simon Terodde] zusammen, dass mir immer wieder
Angelo Vier einfällt, weil Simon Terodde viele bescheinigen, zu gut für die
zweite, aber nicht gut genug für die erste Liga zu sein. Ein
Zwischenreichspieler, der häufig gezwungen ist, hin- und herzuhüpfen, weil
er in keiner Liga wirklich Platz hat; nie seine Bestimmung findet. Ein
Geist ist er eigentlich, einer, der in den Wänden zwischen den Welten lebt.
Jetzt ist er fast Rekordtorschütze der zweiten Liga, ein Treffer fehlt ihm
noch. Alle warten darauf, dass das jetzt passiert. Es fühlt sich aber gar
nicht nach etwas Besonderem an: Es wird früher oder später eh der Fall
sein. Dann wird Dieter Schatzschneider, wie es seine Art ist, noch zwei-,
dreimal vom Leder ziehen, als hätte er ein Pils zu viel gehabt; in der
Hoffnung, dass er noch ein Bild-Interview kriegt, darauf scheint so
ziemlich alles, was er sagt, ausgelegt zu werden. Da ist mir Simon Terodde
natürlich lieber, der wirkt immerhin sehr nett.
Vielleicht ist alles Wissen über dieses Spiel eine Art Geisterjagd. Was
kann man schon wissen, das dann nicht allen Zauber nimmt? Klar, es gibt
Gründe, warum Simon Terodde in der ersten Liga nie reüssiert hat; es gibt
Gründe, warum Timo Werner aktuell nicht als einer der weltweit besten
Spieler gilt; bei Timo Werner ist es beispielsweise recht schnöde auch der
VAR, der ihm aktuell eine schlimme Zeit beschert, vor Einführung des
Videobeweises hätte er wahrscheinlich fünf bis neun Tore mehr vorweisen
können; so aber steht er bei jedem zweiten Tor, wie sich hinterher
herausstellt, versehentlich im Abseits.
(Wobei, bei [2][Timo Werner] ist das eigentlich ganz lustig; jemand, der
aus Karrieregründen zu RasenBallsport Leipzig gegangen ist, mithin versucht
hat, von den aktuellen Entwicklungen im modernen Fußball so weit es irgend
geht zu profitieren; der obendrein als einer der schnellsten Spieler
überhaupt gilt; ausgerechnet so jemand wird dann von diesen Entwicklungen
eingeholt: noch besser, von einem Standbild überholt. Das ist schon lustig.
Aber nur kurz.)
Ich hätte schwören können, dass Angelo Vier mindestens eine Saison bei
Greuther Fürth gespielt hat in seiner aktiven Zeit, aber nein: Da hat sich
mein Hirn nur etwas zusammengereimt. Es hätte diese Saison auch zu gut
gepasst wahrscheinlich: ausgerechnet bei Greuther Fürth, die alles
versuchen, aber immer ist es zu wenig, egal was sie tun. Stattdessen war er
bei Verl, bei Rot-Weiss Essen auch, Gütersloh, Oberhausen auch und
Osnabrück. Kurz auch mal in Bremen, kurz auch mal in Bielefeld, später dann
in der österreichischen Liga. In Essen ist er Torschützenkönig der zweiten
Liga geworden und die Mannschaft ist in dem Jahr trotzdem abgestiegen, das
wusste ich noch. Ich hab auf Youtube nach Videos seiner Tore gesucht, man
findet quasi nix; stattdessen wird mir ständig diese animierte Kinderserie
in die Ergebnisse gespült. „Der Weltrekord und Brechbraten“, aha.
Es hat etwas ungemein Beruhigendes für mich, an Angelo Vier zu denken, das
liegt nicht nur an diesem schönen Namen, sondern vor allem daran, dass ich
mir dazu alles ausdenken kann. Früher habe ich das manchmal in Kneipen
ausprobiert, wenn Robert Lewandowski sich auf engstem Raum um vier
Mitspieler gedreht hat und dann den Ball in den Winkel drosch, sagte ich
bisweilen einfach: „Wie damals Angelo Vier.“ Niemand hat je widersprochen.
Alle wissen ungefähr, was gemeint ist, irgendwas klingelt; es bleibt aber
unklar, was. Nur dass der Name super ist, darauf können sich immer alle
einigen.
21 Oct 2021
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## AUTOREN
Frédéric Valin
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Fußball
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Schwerpunkt Rassismus
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