| # taz.de -- taz-Autor:innen und die Wahl: Im Wechselbad linker Gefühle | |
| > In jungen Jahren immer grün gewählt, aber dann kamen eine rot-grüne | |
| > Regierung, der Niedergang der SPD und diverse Zweifel. Und jetzt? | |
| Bild: Einige sehen alles durch die rosarote Brille, anderen durch die rot-grüne | |
| Früher war es einfacher: grün wählen, was sonst? Dort konnte man | |
| einigermaßen guten Gewissens sein Kreuzchen machen, wenn man eine Jugend in | |
| der Sponti-Linken in Westberlin erlebt hatte, mit allen Antis von | |
| Antikapitalismus bis zu Antiatomkraft. Die Partei konnte der jungen | |
| Mittelschichtlerin eine Illusion von Antibürgerlichkeit vorgaukeln wie die | |
| billige Altbauwohnung mit Kohleheizung und Etagenklo. | |
| Die Zeiten ändern sich. | |
| Heute, im Alter von über 60 Jahren, sind die Dinge komplizierter und die | |
| linke Wählerin gerät in einen Sturm widersprüchlicher Gefühle. Dabei gibt | |
| es doch eine Auswahl: Linkspartei, Grüne, SPD. | |
| Die Linkspartei kann ich nicht wählen, da ist mir zu viel Wünsch-dir-was | |
| drin, auch wenn ich unbedingt für höhere Erbschaftssteuern bin. | |
| Maximalversprechen, das klappt doch nicht. Man weiß, dass der Vorschlag, | |
| einfach nur von den Reichen mehr Geld nehmen zu wollen und ein | |
| Grundeinkommen von 1.200 Euro für alle einzuführen, ein Märchen ist. Die | |
| Linke zu wählen ist ein Statement, okay, aber ich bevorzuge Programme, die | |
| näher dran sind an der Realität. | |
| Bei den Grünen kann ich natürlich wieder mein Kreuzchen machen, erst recht | |
| in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels, der bedrohlichen | |
| Welterhitzung. Im Alter wächst ohnehin die Liebe zur Natur. Auch ich würde | |
| gerne die Zukunft retten, wegen der Enkelkinder und auch um die Gewissheit | |
| zu haben, dass das Leben weitergeht, wenn ich nicht mehr bin, was ja auch | |
| ein Stück Unsterblichkeit bedeutet. | |
| Aber in meinen Fünfzigern hatte sich noch ein anderes Gefühl in den | |
| Vordergrund geschoben: Mitleid, eine zuvor ungekannte Solidarität mit der | |
| neuen Randständigen. Mit der SPD, deren Absturz allenthalben Häme | |
| hervorrief. Die Partei verkämpfte sich für kleine Erfolge in der | |
| Sozialpolitik, die niemand würdigte. Sozialleistungen reichen nie aus, | |
| bezahlen will aber auch keiner dafür. Dabei haben wir Solidarsysteme, um | |
| die man uns überall in der Welt beneidet, sei es die Krankenversicherung | |
| oder die kostenlose Bildung. 2013 und 2017 machte ich meine Kreuzchen bei | |
| der SPD und fühlte mich auf eine angenehme Weise unberechenbar. | |
| Doch nun ist die SPD samt Olaf Scholz wieder ins Umfragehoch geschwebt. Die | |
| Rede ist von Rot plus Grün plus X als künftiger Regierungskoalition. Da | |
| werden Erinnerungen wach, hellwach. Hat Scholz nicht diesen | |
| SPD-Opportunismus, den man von Rot-Grün aus den Nullerjahren kennt? Hartz | |
| IV hatten auch die Grünen abgenickt, damals. Es ist noch nie ein schöner | |
| Anblick gewesen, Linke an der Macht nach rechts driften zu sehen. | |
| Ein paar Bekannte berichten von ähnlichen Konflikten und wollen nun Die | |
| Partei wählen, als Ausweg aus ihrer Ratlosigkeit. Bierpreisbremse! | |
| Bezahlbares Schwarzfahren! Harhar. Die Witzwahl ist nichts für mich. Ich | |
| horche noch in mich hinein. Ist ja noch etwas Zeit. | |
| 10 Sep 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Frankfurt | |
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