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# taz.de -- Entschärfung des Nahostkonflikts: Die Vermittler-Lücke füllen
> Die israelisch-arabische Annäherung zu fördern und neu zu definieren ist
> eine große Aufgabe. Für Deutschland und Europa ist sie wie
> maßgeschneidert.
Bild: Winken für das Abraham-Abkommen mit Bahrain und den Arabischen Emiraten …
Ein Jahr nach der Unterzeichnung der [1][Abraham-Abkommen] steht der
Normalisierungsprozess in der Nahostregion an einer entscheidenden
Wegscheide: Er könnte die [2][israelisch-arabischen Beziehungen]
grundlegend verändern – oder aber nur zu einer weiteren Fußnote in der
langen Geschichte des israelisch-arabischen Konflikts werden.
So sind durch die Abkommen relativ erfolgreich Verbindungen zwischen
Ministerien und Unternehmen in Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten
(VAE) und Bahrain entstanden. In nur einem Jahr sind die VAE zu einem der
20 wichtigsten Handelspartner Israels geworden. Außerdem haben sie
ermöglicht, dass viele Israelis als Touristen in die Emirate gereist sind.
Dennoch haben die Abkommen bislang nicht die Erwartungen erfüllt, von denen
ihre Architekten zum Zeitpunkt der Unterzeichnung geträumt hatten. Es hat
keinen Dominoeffekt gegeben, durch den weitere Staaten der arabischen Welt
ihre Beziehungen zu Israel normalisiert hätten, und es ist auch keine
vereinte regionale Front gegen die militärischen Ambitionen des Iran
entstanden. Vor allem hat sich die grundlegende öffentliche Wahrnehmung
Israels und der Israelis in der arabischen Welt nicht gewandelt.
Zwei Gründe sind für das unerfüllte Potenzial hauptsächlich verantwortlich.
Zum einen gibt die Regierung von US-Präsident Joe Biden den Verträgen nur
geringe Priorität. Öffentlich unterstützen die USA den
Normalisierungsprozess, aber Bidens Leute sind nicht sonderlich begierig,
einen der bedeutendsten Erfolge Donald Trumps ins Rampenlicht zu rücken. Es
gibt bis heute keinen Sondergesandten für den Normalisierungsprozess. Da
offensichtlich geworden ist, dass die USA sich mehr und mehr aus dem Nahen
Osten heraus halten wollen, fehlt für viele Staaten dort der Anreiz, ihr
Verhältnis zu den USA zu verbessern, indem sie ihre Beziehungen mit Israel
regeln.
## Die Illusion zerbrach im letzten Krieg
Doch das Haupthindernis, die politische Landschaft des Nahen Ostens
umzukrempeln, ist die Illusion, die von Anfang an in die Verträge
eingewoben war: Die Beziehungen Israels zur arabischen Welt lassen sich
nicht komplett vom israelisch-palästinensischen Konflikt abkoppeln. Einer
der wichtigsten Beweggründe von Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu für
die Abkommen war sein Wunsch, dass die Lösung des
israelisch-palästinensischen Konflikts nicht länger als eine Bedingung für
gute Beziehungen zur arabischen Welt vorausgesetzt wird.
In den Monaten nach der Unterzeichnung schien die palästinensische Frage so
weit an den Rand gerückt zu sein, dass über die Zukunft Israels im Nahen
Osten das Geschehen in Abu Dhabi oder Manama entscheiden würde – und nicht
das in [3][Gaza] oder Sheich Dscharrah. Diese Illusion zerbrach im letzten
Krieg um Gaza. Die Eskalation im Frühjahr zeigte, dass sich zwar die
Beziehungen zu den Golfstaaten verbesserten, der
israelisch-palästinensische Konflikt gleichzeitig aber immer dramatischer
in den israelischen Alltag drängte. Für die Abraham-Abkommen hatte es die
Folge, dass der Normalisierungsprozess seinen Schwung verlor und seine
Unterstützung in der arabischen Welt weiter schwand.
In dieser Situation könnten Europa und insbesondere Deutschland den
Normalisierungsprozess aktiv unterstützen und auch seinen Kurs verändern.
Europa sollte die Leerstelle füllen, die die USA zurückgelassen haben. Auch
wenn es nicht die Absicht Trumps und Netanjahus war, könnte Europa den
Prozess des Ausgleichs zwischen Israel und der arabischen Welt nutzen, um
den Friedensschluss zwischen Israel und den Palästinensern voranzutreiben.
In einem ersten Schritt könnte Europa die an der Normalisierung beteiligten
Staaten dazu bringen, die wirtschaftliche Entwicklung im Westjordanland
und in Gaza zu fördern, und eine multilaterale Initiative fördern, an der
Israel, die VAE und die palästinensische Autonomiebehörde beteiligt sind
und die sich der langfristigen Entwicklung des Gazastreifens wie der
wachsenden wirtschaftlichen Krise im Westjordanland widmet. In diesem
Kontext könnte Europa helfen, die seit der Unterzeichnung der
Abraham-Abkommen immer schlechter werdenden Beziehungen der VAE zur
Autonomiebehörde zu verbessern. Dabei könnte auf der veränderten Haltung
der Regierung von Jair Lapid und Naftali Bennett zur Autonomiebehörde
aufgebaut werden.
Um einen langfristigen politischen Wandel herbeizuführen, sollte
Deutschland die Rolle eines vertraulichen Vermittlers übernehmen und
diplomatische Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten fördern –
im Gegenzug zu vertrauensbildenden Maßnahmen Israels gegenüber den
Palästinensern. Deutschlands Außenminister Heiko Maas hatte sich schon als
nützlicher Mittler eingeführt, als er Gastgeber des ersten Treffens der
Außenminister Israels und der VAE war.
Interessant für Deutschland könnte auch die Bildung eines beratenden Forums
für die zur Normalisierung bereiten arabischen Staaten – also auch Ägyptens
und Jordaniens – und weiterer internationaler Akteure sein. Ein solches
Forum müsste sich der Konfliktprävention im israelisch-palästinensischen
Konflikt und dem Abbau der Spannungen in Jerusalem widmen. Eine solche
Initiative könnte später zu einer Plattform für einen Neustart der
israelisch-palästinensischen Verhandlungen entwickelt werden.
Die nächste deutsche Regierung sollte die israelisch-arabische
Normalisierung zu einem zentralen außenpolitischen Ziel machen. Berlin hat
in seinen Außenbeziehungen immer wieder wirtschaftliche Entwicklung als
friedensfördernde Maßnahme eingesetzt, es hat erfolgreich hinter den
Kulissen Diplomatie betrieben und stets das Konzept des Multilateralismus
propagiert.
Niemand kann besser belegen, dass regionale Integration den Frieden
fördert, als Deutschland und die Europäische Union.
Übersetzung: Stefan Schaaf
20 Sep 2021
## LINKS
[1] /Jair-Lapid-besucht-Emirate/!5783512
[2] /Nach-Haeftlingsausbruch-in-Israel/!5801777
[3] /Reaktion-auf-Brandballons/!5796743
## AUTOREN
Gil Murciano
## TAGS
Israel
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