# taz.de -- Fußball und Politik: Forza Inghilterra! | |
> Am Sonntagabend spielt England gegen Italien um die Europameisterschaft. | |
> Unser Autor, ein Italienier, hofft auf einen Sieg der Engländer. | |
Bild: Richtige Geste. Zwei englische Spieler knien vor dem Spiel nieder | |
Politik hat auf dem Spielfeld nichts verloren, sagen manche | |
Sport-Kommentatoren. Es geht ja um Leistung und Fairplay, nicht um | |
parteipolitische Streitereien. Den Satz fand ich immer seltsam – | |
wahrscheinlich, weil ich aus einem Land komme, das für zehn Jahre von einem | |
Mann regiert wurde, der zufälligerweise auch der [1][Besitzer des reichsten | |
Fußballteams] im Land war. | |
Nehmen wir den Kniefall gegen Rassismus, der Europa (erneut) gespalten hat: | |
Der Chef des polnischen Fußballverbandes sagte, er lehne die Geste als | |
„populistisch“ ab. Ungarische Fans zogen durch Budapest mit einem | |
„Anti-Kniefall“-Plakat. Regierungschef Orbán begrüßte die Aktion, weil (… | |
die Ironie!) Fußball nichts mit Politik zu tun haben sollte. | |
Es ist ein geeignetes Finale für diese ultrapolitische EM, dass sich am | |
Ende zwei Teams gegenüberstehen, die bei Fragen von Rassismus und | |
Zugehörigkeit nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf der einen Seite: | |
England, das Team, das den Kniefall in die Welt des Fußballs eingeführt und | |
sowohl in der Liga als auch bei den Spielen der Nationalelf daran | |
festgehalten hat – trotz der Buhrufe der eigenen Fans und dem Spott von | |
Regierungschef Johnson. | |
Auf der anderen Seite (Seufzer) mein Land: Italien. Zwar sind meine | |
Landsleute prinzipiell nicht gegen den Kniefall. Trotzdem schafften sie es, | |
mit ihrer [2][„heute knien, morgen nicht“-Haltung] die Geste zum Politikum | |
zu machen – und dabei Kniefallbefürworter und Gegner gleichermaßen zu | |
verärgern. | |
Kapitän Chiellini sagte, Italiener würden nur in Solidarität mit anderen | |
Spielern knien. Also nicht wegen der antirassistischen Botschaft. Spieler | |
zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen sei dem italienischen | |
Fußballverband zufolge „Machtmissbrauch“. Wer hier wen wozu zwingt, ist | |
aber nicht ganz klar. | |
## Zum Beispiel Balotelli | |
Dabei wäre eine klare Haltung der Nationalelf zum Thema Rassismus sehr | |
wünschenswert. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Italien das | |
westeuropäische Land ist, in dem rassistische Einstellungen am meisten | |
verbreitet sind. Auch in der Fußballwelt ist Rassismus allgegenwärtig. | |
Spieler of colour wie Mario Balotelli und Romelu Lukaku haben sich [3][laut | |
über rassistische Übergriffe beklagt]. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass | |
mehr als ein Viertel aller Fangemeinden in Italien als rechts oder | |
rechtsextrem gelten. | |
Rechtsextreme Fans gibt es auch in England. Doch das englische Team per se | |
ist schon eine heftige Ohrfeige für Rassisten und | |
Einwanderungsgegner:innen (auch in der britischen Regierung). Das | |
hat das Migration Museum in London kürzlich meisterhaft auf den Punkt | |
gebracht: Als Protest gegen die Pläne von Innenministerin Patel, | |
Einwanderer:innen und Asylsuchende an den Grenzen abzuweisen, hat das | |
Museum ein Bild gezeigt, wie die Nationalelf ohne Einwanderer*innen | |
aussehen würde: Auf dem Feld blieben nur drei Spieler. | |
Auch im italienischen Team gibt es Spieler mit einer | |
Einwanderungsgeschichte. Drei Spieler – Jorginho, Emerson und Toloi – sind | |
in Brasilien geboren und aufgewachsen. Erst nachdem sie ihre Karriere als | |
Profis in Italien angefangen haben, wurden sie im Eilverfahren eingebürgert | |
– Toloi noch in diesem Jahr. Das ist auch eine heftige Ohrfeige – und zwar | |
für die etwa 1,5 Millionen Kinder von legalen Einwanderer:innen, die in | |
Italien geboren sind und noch keine Staatsbürgerschaft haben. | |
Das wird zu viel Streit mit meinen Freunden führen. Aber wenn ich zwischen | |
einem Team wählen muss, das trotz massiver Kritik geschlossen hinter einer | |
inklusiven Weltanschauung steht und einem Team, das für Opportunismus und | |
Gleichgültigkeit steht, na dann: „Forza Inghilterra!“ | |
11 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Berlusconi | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball-em/fussball-em-italien-und-der-k… | |
[3] https://www.deutschlandfunk.de/italienischer-fussball-mit-affen-gegen-rassi… | |
## AUTOREN | |
Fabio Ghelli | |
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