# taz.de -- Helenesee in Brandenburg: Baden verboten | |
> Der Helenesee in Brandenburg ist ein Urlauberparadies. Eigentlich. Jetzt | |
> darf niemand mehr ins Wasser. Ist die Helene zu retten? | |
Bild: An der Promenade ist Schluss: Um den Helenesee stehen Bauzäune | |
FRANKFURT (ODER) taz | Bis zu zwölf Meter Sichtweite unter Wasser, einer | |
der klarsten Seen Brandenburgs. Hier hat Jens Kutzner 1982 das Tauchen | |
gelernt. Seit 1990 betreibt er ein Tauchcenter am [1][Helenesee], sein | |
Lebenswerk, es sollte bis zur Rente reichen. Doch jetzt kommt er, der seit | |
knapp 40 Jahren in der Helene taucht und den See wie kaum ein anderer | |
kennt, nicht mehr ans Wasser. Bauzäune versperren den Weg. Der Grund: | |
Lebensgefahr. | |
Es war der Freitag vor Pfingsten, gerade wurden die Coronamaßnahmen | |
gelockert, die ersten Gäste waren angereist, da hieß es: Strand und See | |
dürfen bis auf Weiteres nicht mehr betreten werden. Grund für die Sperrung | |
ist eine Abrutschung von Anfang März. | |
Die Böschung war abgesackt, das sonst so klare Wasser plötzlich trüb. Jetzt | |
ist da ein Loch von 500 Kubikmetern, so groß wie ein kleines | |
Einfamilienhaus. Kutzner erinnert sich gut an den Tag, an dem die Feuerwehr | |
rot-weiße Absperrbänder um den Strand anbringen musste, bevor Bauzäune | |
angekarrt wurden. Seitdem hat er das Wasser nicht mehr von unten gesehen. | |
Nur zwanzig Autos stehen an diesem Sonntag Anfang Juli auf dem riesigen | |
Parkplatz, die meisten kommen aus dem direkten Umfeld, Frankfurt (Oder) und | |
Landkreis Oder-Spree. Das Thermometer klettert gen 30-Grad-Marke, auf dem | |
See glitzert das Sonnenlicht. Für das Eis muss man nicht anstehen, obwohl | |
kaum Gastrobetriebe geöffnet haben. Die Bänke an der Promenade sind fast | |
alle leer. | |
## Tausende Urlauber:innen bleiben fern | |
Eigentlich würden sich hier an solch einem Ferientag Tausende Tagesgäste | |
und Camper tummeln, der Sandstrand wäre dann zwischen den Handtüchern und | |
Schirmen kaum mehr zu sehen. Surflehrer Alrik Lange würde mit Absperrband | |
eine Schneise von seiner Wassersportschule bis zum See freihalten, damit | |
keine Badegäste den Weg versperren. Heute wäre der Wind gut zum Segeln und | |
Surfen, doch ans Wasser darf auch er nicht. | |
Lange hatte das Surf- und Segelzentrum erst dieses Jahr übernommen, viel | |
Zeit, Energie und vor allem Geld investiert. „Man konnte mit allem | |
rechnen“, sagt er. „Damit nicht.“ Er musste seinen Leuten kündigen, die | |
laufenden Kosten bleiben. Drei seiner Tretboote hat er schon verkauft, um | |
wenigstens die Miete zahlen zu können. Am See ist er dennoch, entfernt hier | |
und da etwas Unkraut. Immer wieder die Frage: „Hätte das verhindert werden | |
können?“ | |
Der Helenesee entstand in der Grube eines ehemaligen Braunkohletagebaus. | |
Nach dessen Räumung 1958 sickerte Wasser ein, der See wurde erst danach | |
touristisch erschlossen. Abgesichert aber wurde er nie. Das Südufer ist | |
deswegen bereits seit elf Jahren gesperrt. Doch am Nord- und Westufer ist | |
nie etwas passiert, man wiegte sich in Sicherheit. Tausende Tagesgäste, | |
Veranstaltungen und Wassersport – der See hat schon einiges mitgemacht. | |
Mit dem Klimawandel sinkt aber der Wasserspiegel. Dadurch fällt der | |
stützende Druck von oben, der unbefestigte, teils lockere Grund beginnt | |
sich zu bewegen. So kann es nicht nur Badegästen buchstäblich den Boden | |
unter den Füßen wegreißen, auch Flutwellen sind möglich. | |
So geschehen ist das kürzlich am Knappensee bei Hoyerswerda, ebenfalls ein | |
ehemaliger Tagebau, der seit 2014 saniert wird. Der abrutschende | |
Uferbereich [2][löste eine 1,5 Meter hohe Welle aus, Bungalows wurden | |
beschädigt]. Eine Öffnung des Helenesees kommt daher nur infrage, wenn | |
weitere Rutschungen ausgeschlossen werden können. | |
Die Stadt Frankfurt selbst ist Eigentümerin des Helenesees, verpachtet das | |
Gelände aber. Seit 2012 ist Daniel Grabow zuständig, brachte das Areal nach | |
millionenschweren Verlusten wieder ins Plus. Durch Gastronomie, Camping, | |
verschiedene Freizeitangebote und vor allem durch Veranstaltungen wie das | |
Festival „Bucht der Träumer“ und das „[3][Helene Beach Festival]“. | |
Er hat viel in das Gelände gesteckt, Grabow spricht von 2,5 Millionen in | |
den letzten zehn Jahren. Für das eigentliche Gewässer ist aber nicht er, | |
sondern das Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe zuständig. Die | |
Kontrolle jedoch wurde „mehr oder weniger vergessen“, meint Grabow. | |
Sebastian Fritze vom Bergbauamt hält dagegen: Der See sei regelmäßig | |
überprüft worden. So etwa 2010, das Jahr, in dem das Südufer komplett | |
gesperrt wurde. Was die Zuständigkeiten und die Historie um den See | |
betrifft, spricht er von einer „komplexen Gemengelage“. | |
Zu DDR-Zeiten wurde die Grube verlassen, lief unkontrolliert mit | |
Grundwasser voll. Dass die genaue geotechnische Untersuchung erst jetzt | |
passiert, liegt laut Fritze auch daran, dass das Wissen im Umgang mit | |
solchen ehemaligen Tagebauseen erst wachsen musste. Bis Ende des Jahres | |
sollen Gutachten den Zustand des Sees bewerten. | |
Aktuell gelte es herauszufinden, „wer an dem See wann wie was gemacht hat“. | |
Eine wasserrechtliche Genehmigung gab es nie, die Messungen der | |
Wasserspiegel reißen 1989/90 ab. Immer wieder wurde saniert, aber die | |
abgeflachten Strände dienten dem Tourismus, nicht der Sicherheit. | |
Trotz all der Angst: Was die Betriebe am Helenesee eint, ist ein | |
vorsichtiger Optimismus. Aus der Gastronomie hört man Sätze wie „Wir geben | |
nicht auf“. Vielleicht lassen sich Teilbereiche wieder öffnen, die | |
Geolog:innen untersuchen gerade prioritär die touristisch genutzten | |
Abschnitte. | |
Marco Benz, der die Aloha Bar am östlichen Teil des Hauptstrandes betreibt, | |
sitzt an der Quelle der Abrutschung. Eigentlich wollte er dieses Jahr | |
zehnjähriges Jubiläum feiern. Aktuell macht er nur noch am Wochenende auf, | |
ein paar Dauercamper halten die Stellung. Das Geld, das er für einen Umbau | |
gespart hat, hilft ihm jetzt durch die Krise. „Mir ist es wichtig, dass ich | |
das die nächsten zwanzig Jahre noch machen kann“, sagt er. Irgendwie müsse | |
es weitergehen. | |
Doch noch ein weiteres Problem trifft den Tourismus vor Ort: die | |
Afrikanische Schweinepest. [4][In Frankfurt (Oder) wurden 155 Fälle | |
bestätigt (Stand: 12. Juli 2021)], der Helenesee gehört zum Kerngebiet. Das | |
heißt: Offene Natur darf eigentlich nicht betreten werden, um eine | |
Verbreitung des Virus zu vermeiden. | |
Damit ist derzeit nicht nur das Wasser tabu, auch Radfahren und Wandern um | |
den See fallen flach. Falls das Bergbauamt den Strand aber wieder freigibt, | |
wäre laut Veterinäramt wenigstens das Schwimmen, Surfen und Segeln wieder | |
möglich, da das touristisch genutzte Gelände eingezäunt ist. Nur ans andere | |
Ufer dürfe man nicht. | |
Der Tauchlehrer Jens Kutzner hofft auf eine Entschädigung, doch wer dafür | |
aufkommen wird, steht nicht fest. Aktuell geht das Land Brandenburg für die | |
Gutachten in Vorleistung. Kutzner birgt Munition, macht Tischlerarbeiten, | |
doch lange wird er die Pacht so nicht stemmen können. | |
Eine Sanierung wäre auf jeden Fall möglich, heißt es vom Bergbauamt, die | |
Helene kann gerettet werden. Doch was, wenn das niemand zahlt? Bis zur | |
kommenden Saison könnte Kutzner noch durchhalten. „Dann muss man sich nach | |
einem anderen See umsehen“, sagt er. „Oder komplett aufgeben.“ | |
19 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.helenesee.de/ | |
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/bautzen/bautzen-hoyerswerda-kamenz/r… | |
[3] http://helene-beach-festival.de/ | |
[4] https://www.frankfurt-oder.de/Verwaltung-Politik/Verwaltung/Aktuelles/Afrik… | |
## AUTOREN | |
Julia Weinzierler | |
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