| # taz.de -- Wahlkampagne der CDU: Mit heller Außenkruste | |
| > „Deutschland machen“ – der Wahlkampfslogan der CDU klingt so einfach wie | |
| > infantil. Was rauskommt, hängt sehr davon ab, wer sich da was bäckt. | |
| Bild: Paul Ziemiak stellt am Mittwoch die Bundestagswahlkampagne der CDU vor | |
| Für mich begann die Woche etwas ungewöhnlich mit einer Spritze in den | |
| Oberarm. Aber wie aufregend muss der Wochenauftakt erst für Paul Ziemiak | |
| gewesen sein: Als Union-Generalsekretär durfte er am Dienstag der | |
| Öffentlichkeit die neue Wahlkampagne der CDU vorstellen: Deutschland | |
| machen. | |
| Deutschland machen? Irgendwie eine irritierend infantile Vorstellung: Als | |
| ob man sich ein gewachsenes Land mit 83 Millionen Einwohnern und ziemlicher | |
| Vergangenheit einfach zur Bundestagswahl neu zusammenbacken könnte wie | |
| einen Auflauf aus Küchenresten. Aber lässt man sich mal auf das | |
| Gedankenspiel ein, dann ist die Empörung, die der Kampagne entgegenschlug, | |
| auch ein bisschen künstlich. Denn in gewisser Weise ist sie einfach | |
| ehrlich. | |
| Politik soll ja immer Visionen haben und, voilà, so ist das Deutschland, | |
| das sich die CDU so vorstellt, wenn sie sich eins backen könnte. Und | |
| gebacken hat sie eben aus dem, was sie in ihrer eigenen Küche so vorfindet, | |
| also: [1][Weißbrot im Übermaß]. Weiße (verkleidete) Polizistinnen, weiße | |
| Facharbeiter, weiße Kinder, Eltern und Greise. Gut, schwul oder | |
| Migra-Hintergrund hätte es zwar auch gegeben (Spahn, Ziemiak), aber zum | |
| Glück sieht man das ja nicht. Diversity findet in der Union halt im Inneren | |
| statt, die Außenkruste bleibt schön hell. | |
| Andererseits – was hatte man denn erwartet von den Christsozialen? | |
| Regenbogenschwingende Queers, smarte Kopftuchträgerinnen, schneidige | |
| schwarze Bundeswehrsoldaten auf dem Plakat? Einen langhaarigen Ökobauern | |
| haben ja noch nicht mal die Grünen im Programm. | |
| Wenn man meine Tochter bitten würde, Deutschland zu machen, dann würde es | |
| vermutlich aus Kleinstädten mit bunten Holzhäusern bestehen. Es gäbe | |
| superschnelles Gratis-WLAN für alle, im Kanzleramt säße die | |
| Ebay-Kleinanzeigen-WG, beraten vom Youtube-Gamer Paluten, Greta Thunberg | |
| und, hin und wieder, Angela Merkel (anderen Politiker:innen traut | |
| meine Tochter nicht recht). Wohnen wäre kostenlos, und statt Straßen gäbe | |
| es minutiös verzweigte Multitrassen für Züge, selbstfahrende Autos, | |
| Fahrräder und Scooter (auf Wunsch werden sicher gern entsprechende Skizzen | |
| gefertigt). | |
| ## Wilde Möpse | |
| Wie sich Hans-Georg Maaßen Deutschland vorstellt, möchte ich hier nicht | |
| ergründen – die vorherrschende Farbschattierung im Lande dürfte klar sein. | |
| Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre nicht mehr linksradikal | |
| unterwandert. Statt Schmierblättern wie der taz würden stramme Patrioten… | |
| ach, man kann es sich denken, ich kriege schon beim Schreiben schlechte | |
| Laune. | |
| Wesentlich amüsanter ist es, sich das Wunschdeutschland etwa der | |
| Hedonistischen Internationale, Sektion Wilde Möpse, auszumalen, die eine | |
| Pressemitteilung schickte, aus der klar hervorgeht, wie ihr Deutschland | |
| aussehen würde: Da wäre endlich Schluss mit der Diskriminierung von | |
| FLINTA-Körpern (wenn Sie nicht wissen, was das ist, sind Sie leider | |
| unqualifiziert für dieses Land!). Alle würden dort immerzu mit freiem | |
| Oberkörper herumlaufen und stolz ihre Nippel in den Wind halten – | |
| textilfrei und ungeniert. | |
| Was die Kultur der freien Nippel angeht, haben uns die Brit:innen ja | |
| einiges voraus – im Stadion oder im Club ziehen sämtliche Geschlechter dort | |
| oft und gerne blank. Der britische Premier aber will noch mehr. Boris | |
| Johnson hat auch Visionen, und zwar von einem „Freedom Day“: [2][Ab 19. | |
| Juli, ließ er wissen], soll in UK der Mund-Nasen-Schutz fallen. | |
| Auch Abstandsregeln, geschlossene Clubs oder Quarantäne für Reiserückkehrer | |
| aus Risikogebieten sollen der Vergangenheit angehören. Auch wenn sich die | |
| Delta-Variante ausbreitet und die Inzidenzen wieder stark steigen: Johnson | |
| will Freiheit für alle. Eine teuer erkaufte Freiheit kann das noch werden – | |
| aber einen echten Populisten haben die Folgen für morgen noch nie groß | |
| bekümmert. | |
| ## Freedom-Rhetorik | |
| Ein bisschen hat sich hierzulande auch Heiko Maas in dieser | |
| Freedom-Rhetorik versucht. Aber seine Idee, die Deutschen schon im August | |
| von allen Covid-Restriktionen zu befreien, hat ihm gleich eine Watsch'n vom | |
| Gesundheitsminister eingebracht. Der stieg kurz mal in den Ring, um dem | |
| Kollegen Außen-Sozi zu zeigen, wer sich hier wie zu äußern habe. Ja, der | |
| Ton wird rauer in der Groko – gleichzeitig lässt der Endspurt im | |
| Corona-Wahlkampf Raum für interessante Gedankenspiele. | |
| Angesichts einer nachlassenden Impfbereitschaft werden inzwischen auch | |
| ungewöhnliche Impforte und -anreize ins Spiel gebracht. Ein Blick ins | |
| Ausland bietet hier vielfältige Inspirationen: In China gibt es zwei | |
| Schachteln Eier auf die Hand, in Griechenland 150 Euro (aber nur für 18- | |
| bis 25-Jährige). Und in den USA kann man sich im Drug Store oder der Mall | |
| impfen lassen und wählen zwischen einer Kreuzfahrt, einer Waffe, freien | |
| Drinks und einem Joint. Ich nehm’ freie Drinks im Späti. Danke, | |
| Deutschland! | |
| 10 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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