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# taz.de -- Wiedereröffnung von Fitnessstudios: Mensch braucht Maschine
> Während des Lockdowns wurde unser Autor vom Schrank zu formlosem Brei –
> weil die Fitnessstudios zu waren. Jetzt ist sein Leben wieder schön.
Bild: Vernachlässigte Hantelformation
Meine kostbaren Muskeln. Die über Jahre mühsam ausdefinierten Arme und
Beine, der Rücken, mein Hintern, das Waschbrett. Das alles löste sich nicht
einfach in Luft auf, nein, es verwandelte sich in formlosen Brei! Es war
zum Heulen.
Ob ich mich vielleicht mal nicht so anstellen könne, fragte mein
Mitbewohner, der sich am liebsten zu Dingen äußert, von denen er keine
Ahnung hat (Anm. der Redaktion: Pfff!). Ob nicht vielleicht ein paar Leute
gerade ein paar größere Probleme hätten, gab er zu bedenken. Ob ich nicht
vielleicht einfach ein paar Liegestütze machen könne. Natürlich könnte ich.
Machte ich ja auch, ununterbrochen. Neben den Push-ups außerdem Pull-ups,
Burpees, Squats und Single Arm Turkish Sit-ups, die Sets mit Seil und
Therabändern, mit Nudelholz und Wasserflaschen, die Klimmzüge an der
Stange, mit denen ich nach und nach meinen Türrahmen verzog. Doch nichts
davon ersetzt eine 150-Kilo-Langhantel.
Ohne die gewohnten Reize bauten sich meine Muskeln ab, verwandelten sich in
Fett. Weniger Muskeln verbrennen weniger Kalorien, der Energiebedarf sank,
der Hunger blieb, mein „If it jiggles it’s fat“-Shirt begann zu spannen,
ich fing an wie ein Schwein auszusehen.
## Was zum Fick…?
Social Distancing: kein Thema für mich. Mit meiner Wampe traute ich mich
sowieso nicht mehr unter Leute. Freunde schickten mir Bücher über
Selbstliebe und Bodypositivity. Die Hardcover über 300 Seiten benutzte ich
zum Curlen, den Rest vertickte ich auf Momox.
Und was entschied die Regierung? Öffnung der Friseurläden. Aus Gründen der
Würde. Was zum Fick war denn mit meiner Würde als Schrank? Was war mit
meinem mentalen Ausgleich, meiner Gesundheit? Ich schnaufte beim
Treppensteigen, musste mich beim Schnürsenkelbinden hinsetzen und bekam
Rückenschmerzen vom Geschirreinräumen.
Inzwischen sind die Studios endlich wieder offen. Mein Fitti hat es nicht
geschafft. Das mit den Einschusslöchern in der Außenfassade, wo Bushido
obendrüber sein Tonstudio hatte und sich ab und zu mal im Freihantelbereich
blicken ließ. Der Laden ging pleite, weil sich zu viele erdreistet hatten,
ihre Verträge einzufrieren und ihre Beiträge zurückzufordern.
Die nächste Fitte ist zum Glück nur ein kurzes Intervalltraining entfernt.
Es ist total easy geregelt: Ich muss nur in der Schlange vor der
Teststation ein bisschen drängeln, um nicht zu spät an den Geräten zu sein,
die ich vorab für einen kurzen Slot online buche, bevor das Studio dann zum
Lüften geschlossen wird.
Die Schließfächer sind noch alle verriegelt und die Nasszellen dicht, aber
sei’s drum: Endlich wieder bis zum völligen Muskelversagen pumpen und
meinen schweren Atem in die Maske grunzen, die sich, vom Schweiß
vollgesogen, anfühlt, als hätte mir einer einen feuchten Teebeutel ins
Gesicht geworfen. Shut up & squat!
29 Jun 2021
## AUTOREN
Philipp Brandstädter
## TAGS
Fitnessstudio
Lockdown
Schwerpunkt Coronavirus
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Wochenkommentar
Kolumne Berlin viral
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Autor war schon immer Lockdown-Mensch und findet gerade zu sich selbst.
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