# taz.de -- Berliner Olympiastadion als buntes Zeichen: Allerorten Outing mit S… | |
> Schon irre, wie sich auf einmal alle um die Regenbogenfahne scharen. Auch | |
> das Olympiastadion leuchtet während der Partie Deutschland-Ungarn bunt. | |
Bild: Regenbogenbunte Symbolpolitik: das beleuchtete Olympiastadion | |
Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust!“, möchte man rufen angesichts | |
der neu entdeckten Liebe der Deutschen zum Regenbogen (und zur Solidarität | |
mit LGBTIQ). Das [1][Stadion in München] blieb am Mittwoch zum Länderspiel | |
gegen Ungarn zwar blass, aber der Rest des Landes erstrahlte bunt: | |
Firmenlogos auf Twitter, Profilbilder von Privatleuten, ein Windrad in | |
München und Fußballstadien bundesweit. Ganz vorn dabei: Berlin, auch das | |
hiesige Olympiastadion leuchtete farbig, Spielort des Bundesligisten Hertha | |
BSC, der schon seit Jahren krampfhaft versucht, an den | |
hedonistisch-progressiven Geist der Stadt anzudocken. | |
Doch was bringt das alles? Nützt es politisch etwas, ein paar farbige | |
Glühbirnen anzuknipsen? Nein, natürlich nicht. Farbige Profilbilder oder | |
Stadionbeleuchtungen ändern nichts an bestehender Diskriminierung, weder in | |
Deutschland noch in Ungarn noch sonst wo. Das ist alles reine Symbolpolitik | |
ohne konkreten Nutzen – aber gleichzeitig eine Symbolpolitik, die es | |
jahrelang so nicht gab, die man jahrelang kaum für möglich gehalten hätte. | |
Ist schon irre, wie sich auf einmal fast alle Parteien, die großen Firmen, | |
die großen Sportklubs, die Bundeskanzlerin und die Präsidentin der | |
Europäischen Kommission um die Regenbogenfahne scharen. Natürlich ist das | |
wohlfeil und kostenlos, natürlich ist es widerwärtig, wie hier Deutschland | |
seine eigene moralische Überlegenheit zelebriert, wie mit dem Finger auf | |
Ungarn als rückwärtsgewandtes Land gezeigt wird. Es ist ekelhaft, dass | |
sogar die EU-Grenzpolizei Frontex ihr Logo bunt einfärbt. Das ist | |
Rainbow-Washing, menschenfeindliche Politik mit einem | |
Diversitätsmäntelchen. Den Flüchtlingen in der Ägäis ist es egal, ob der | |
EU-Scherge, der ihr Schlauchboot gerade zurück aufs offene Meer schubst, | |
einen Regenbogensticker an der Jacke hat. | |
In der deutschen Innenpolitik die gleiche Verlogenheit: Markus Söder lässt | |
sich mit Regenbogen-Mundschutz im Stadion fotografieren, dabei hat Bayern | |
als einziges Land keinen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, dabei war | |
die Union immer Bremse der Gleichberechtigung. Alle Fortschritte in Sachen | |
LGBTIQ-Politik in Deutschland mussten gegen Widerstand der Union | |
durchgeboxt werden. Noch immer dürfen trans Menschen ihr Geschlecht nicht | |
selbst bestimmen, noch immer werden LGBTIQ bei der Blutspende | |
benachteiligt. | |
Andererseits: Söder, ein Populist und Instinktpolitiker, eignet sich den | |
Regenbogen an. Fußball, der Hort verklemmter Männlichkeit, macht auf | |
queer-friendly. Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Es ändert sich | |
was in dieser Gesellschaft. Viele der neuen Regenbogen-Fans trauen sich | |
zwar nicht, die Wörter „schwul“ oder „lesbisch“ oder „homosexuell“… | |
sagen, aber die Geste ist eindeutig: LGBTIQ gehören dazu. | |
Da sind die zwei Herzen, die da schlagen in der Brust, die widerstrebenden | |
Gefühle: die Freude dazuzugehören, das Misstrauen, wie ernst das jetzt | |
gemeint sein soll, die Wut, vereinnahmt und nur als Feigenblatt benutzt zu | |
werden. Es ist kompliziert. | |
26 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Malte Göbel | |
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