# taz.de -- 40 Jahre Hausprojekt Hansa 48 in Kiel: Es ging nicht nur um Wohnraum | |
> … sondern um einen Ort für alle: Das Hausprojekt in der Kieler | |
> Hansastraße 48, entstanden einst aus einer Besetzung, ist 40 Jahre alt | |
> geworden. | |
Bild: Frühe Jahre: der Hof des besetzten Kieler Komplexes | |
KIEL taz | Seit 40 Jahren ist am Montagabend Plenum. Außer es ist | |
Heiligabend oder Pfingstmontag. „Wir machen das derzeit digital, und nicht | |
alle sind begeistert“, erzählt Charlotte Spieler. „Unsere Generation ist ja | |
nicht digital aufgewachsen, aber die meisten geben sich große Mühe, das | |
hinzukriegen.“ Spieler ist eine der langjährigen Bewohnerinnen aus dem | |
Hinterhaus, das sie liebevoll den „Rentnertrakt“ nennt. | |
Nur wackelt das Internet dort oft etwas, also besser die Kamera | |
ausschalten: „Deshalb siehst du die Leute nur am Anfang zur Begrüßung und | |
am Ende, um Tschüss zu sagen.“ Es gebe Montage, wo es nach einer Viertel- | |
oder halben Stunde zu Ende sei – nichts zu besprechen. An anderen Abenden | |
hocke man ewig. Aber auf dem Plenum werde nun mal das Wichtige | |
entschieden,und wer etwas für das Projekt vorhat, kann sich dort absichern | |
– bis heute. | |
Groß gefeiert werden konnte das 40-jährige Jubiläum des [1][Hausprojekts in | |
der Kieler Hansastraße 48] in Kiel coronabedingt noch nicht. Aber ein | |
wuchtiges, auch angenehm selbstkritisches Buch ist pünktlich erschienen, | |
eine Chronik der vergangenen vier Jahrzehnte, die im Untertitel | |
angemessenes Selbstbewusstsein ausstrahlt: „Aus den ersten 40 Jahren“. Drei | |
Fragen ziehen sich wie rote Fäden durch die Seiten: Wie konnte das Projekt | |
damals gelingen? Wie hat es sich entwickelt? Und was hat sich geändert – | |
und was nicht? | |
Im Januar 1985 ist Charlotte Spieler in die Hansastraße 48 eingezogen, als | |
eine der ersten BewohnerInnen dort, die schon berufstätig war – als | |
Anwältin für Mietrecht. „Für mich war das Wohnen hier immer ein schöner | |
Kontrast zur JuristInnen-Welt, eine ganz andere Art von Umgang“, sagt sie. | |
„Ich konnte das gut haben, hier aufgehoben zu sein und bestätigt zu | |
bekommen, dass die anderen einen an der Marmel haben und nicht ich.“ | |
## Der Anfang: eine Brauerei | |
Von ihren Eltern hatte sie die damals typische Alleinverdiener-Ehe | |
vorgelebt bekommen: „Der Mann ging arbeiten, unsere Mutter hat den Haushalt | |
und den Garten und die vier Kinder gemanagt – und das bei wenig Geld.“ Sie | |
holt tief Luft: „Ich dachte damals, ich würde mich erschießen, wenn ich so | |
leben müsste.“ Aber das musste sie ja nicht. | |
Alles begann in grauer Vorzeit, 1902, als auf dem Gelände der Kieler | |
Hansastraße – benannt nach einer kaiserlichen Panzerkorvette – eine | |
Brauerei samt Nebengebäuden errichtet wurde. Zwar wurde die bald wieder | |
geschlossen, doch bis in die 1970er-Jahre gab es auf dem Gelände ein | |
großes, stadtbekanntes Getränke- und Auslieferungslager. Die Gewerke | |
daneben wechselten: eine Einkaufsgenossenschaft, ein Weingroßhandel, eine | |
Sauerkrautfabrik. | |
Im Zweiten Weltkrieg beschädigten zwei Bombentreffer das Areal; danach ging | |
es weiter mit Wohnungen und Kleinbetrieben, die jedoch zunehmend abwandern. | |
1974 dann standen viele Flächen leer, das Gebäudeensemble war auch in der | |
Substanz gebeutelt. Was aber den Vorteil hatte, dass die Mieten billig | |
waren – passend für Künstlerateliers und Wohngemeinschaften. Solche zogen | |
nun ein und wollten bald mehr, als sich lediglich nach Studentenart | |
günstigen Wohnraum zu teilen: Man träumte von einem alternativen Leben, der | |
Zusammenhalt war groß. Doch fünf Jahre später kaufte die Wankendorfer | |
Baugemeinschaft die Gebäude – mit dem erklärten Ziel, bald alles abzureißen | |
und neu zu bauen: | |
Im März 1981 sollte es so weit sein. Doch die Bewohner- und NutzerInnen | |
handelten: Sie besetzten die Gebäude, hängten Transparente nicht nur zur | |
Straßenseite aus den Fenstern. Schließlich schlenderten zwei Polizisten | |
vorbei, noch in Senfgelb gekleidet. Sie fragten, ob das eine Hausbesetzung | |
sei. Als man bejahte, schlenderten sie wieder davon. „Heute wäre eine halbe | |
Stunde später die Bereitschaftspolizei aus Eutin da“, vermutet Charlotte | |
Spieler. | |
Dabei schüttelten die Bewohner und Nutzer seinerzeit nicht nur die Fäuste. | |
Sie waren von Anfang an auf Dialog und Kompromiss aus. „Wir sind durchaus | |
bereit, für die von uns genutzten Räume ab sofort Miete zu zahlen“, | |
schrieben sie damals an den Eigentümer, „und fordern Sie deshalb auf, mit | |
uns über Mietverträge in Verhandlung zu treten.“ Geräumt wurde nicht, und | |
bald hatte man weitergehende Pläne: die Gebäude zu kaufen zu einem | |
Gesamtpreis von 700.000 D-Mark. Im Gegenzug sollte sich die Stadt Kiel, in | |
der es neben der Hansastraße weitere vier besetzte Häuser gab, ein dort zu | |
gründendes Kommunikationszentrum mit jährlich 100.000 Mark fördern. | |
Letzteres zu realisieren dauerte noch Jahre, aber es deutete die Richtung | |
an: Die Hansa-Leute wollten sich nicht nur für eigenen Wohnraum einsetzen, | |
sondern einen sozialen und kulturellen Ort schaffen – für die KielerInnen. | |
Zugleich gründet sich eine Kita, eine Auto- und eine Fahrradwerkstatt, eine | |
Druckerei. Die städtische SPD konnte sich für derlei durchaus erwärmen, | |
allein die CDU, flankiert von der zwischendurch erstarkten FDP, wollte es | |
unterbinden. | |
Doch der Stein war ins Rollen gebracht: Zum Jahreswechsel 1982/1983 | |
wechselte die Hansa 48 den Besitzer, gehörte von nun an einem eingetragenen | |
Verein und damit den BewohnerInnen, ohne dass privates Eigentum entstand. | |
Die 70.000 D-Mark hatte man eingesammelt; verschiedene Banken gaben | |
günstige Kredite. | |
Während die BewohnerInnen sich in den folgenden Jahren ans Renovieren | |
machten, und 1985 eine Kneipe auf dem Areal ihre Konzession erhielt, | |
etabliert sich ein Kulturzentrum, ein bis heute gültiger Ausgehort. Als | |
„Herzstück“ sprechen sie bis heute von ihrem Kulturzentrum, das jahrelang | |
ehrenamtlich gestemmt wurde – was mal besser gelang, mal schlechter, aber | |
immer Kräfte kostete. | |
1989 gelang es, eine hauptamtliche Stelle einzurichten, die seit 2017 | |
Jan-Hinnerk Wittmershaus innehat. Er gehörte vorher zum Kneipen-Kollektiv, | |
kennt sich bestens aus und kann heute auf einen festen Etat zurückgreifen. | |
Was für ihn auch eine gewisse Verpflichtung gegenüber der Stadt bedeutet: | |
„Durch die Steuergelder, die ich bekomme, sehe ich es als meinen Auftrag, | |
Kultur für Menschen aus Kiel zu machen, auch mal Unbekanntes zu wagen“, | |
sagt er – „weil die Einnahmeseite nicht im Vordergrund stehen muss.“ Län… | |
gibt es eine KünstlerInnenwohnung, sodass Auftretende aus Musik, Theater, | |
Kabarett nicht mehr wie einst auf die umliegenden WG-Zimmer verteilt werden | |
müssen. Kiels aktueller Kulturreferent ist übrigens ein ehemaliger | |
Hansa-48-Bewohner. | |
„Die Anfangsjahre war es finanziell sehr eng“, blickt Charlotte Spieler | |
noch mal zurück. „Es gab immer wieder Momente, wo wir kurz vor dem Bankrott | |
standen.“ Doch davon unberührt hat man das Prinzip beibehalten, das alle so | |
viel Miete an das Gesamtprojekt bezahlen, wie sie meinen zahlen zu können. | |
„Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, dass wir ernsthaft über | |
Mieterhöhungen diskutieren mussten“, sagt Spieler. „Vielleicht war es | |
einfach die richtige Zeit. Die Leute, die die Besetzung damals gemacht | |
haben, waren ziemlich fit. Das war bei anderen Besetzungen ganz anders, da | |
waren viele dabei, die mit ihrem Leben nicht gut zurechtkamen.“ | |
Wittmershaus, der wesentlich Jüngere, erinnert sich an eine Exkursion, die | |
ihn während seines Studiums nach Hamburg führte, ins Gängeviertel: „Bei der | |
Führung war zu merken, wie sehr durchkonzeptionalisiert diese Besetzung | |
war; wie professionell man in die Argumentation einstieg, sodass das | |
Argument ‚Wir retten hier gerade alten Wohnungsbestand‘ auch für die CDU | |
anschlussfähig war – und dass man eben eine Besetzung heute ganz anders | |
spinnt.“ | |
10 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://hansa48.de/ | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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