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# taz.de -- Medien, Rechtsradikale und Polizei: Die Gegenwart ist auch nicht to…
> Selbstzufriedene BlasenbewohnerInnen, Hate Speech im Netz, NSU 2.0,
> hilfloser Verfassungsschutz – da hilft nur Fehlfarben hören.
Bild: Die Augen schließen und hoffen, sich dadurch den Zumutungen des In-der-W…
Die Schatten der Vergangenheit, wo ich auch geh’, da sind sie nicht weit.
Ich weiß nicht einmal, wer ich bin. In der Zeitung zu lesen, das hat keinen
Sinn“, sang Peter Hein einst bei den Fehlfarben. Zeitung zu lesen hat in
der Tat oft keinen Sinn, zumindest fragt man sich bei der Lektüre oft, ob
man das, was da steht, nicht lieber wie ein Kind ignoriert, das glaubt,
wenn es die Augen zumacht, könnten die anderen es auch nicht mehr sehen.
Die Vorstellung, sich durch Augenverschließen eine Tarnkappe aufzusetzen,
mittels derer man sich, philosophisch gesprochen, den Zumutungen des
In-der-Welt-Seins entzieht, ist verführerisch. Man ist nicht mehr dabei,
weil man sich den Blicken der anderen entzogen wähnt. Oder wie es bei
Fehlfarben heißt: „Die zweite Hälfte des Himmels könnt ihr haben. Das Hier
und das Jetzt, das behalte ich.“
Früher war die Zeitung einer der Filter, durch den die Wirklichkeit ging,
um auf der anderen Seite als quasi offiziöse Verlautbarung, wie man sie zu
sehen habe, wieder herauszukommen. Heute ist die Zeitung dagegen im besten
Fall eine Korrekturinstanz für das narzisstische Geschwurbel, das sich aus
den „sozialen Medien“ über den schutzlosen Menschen erschließt. Wobei man
sich bei manchen Zeitungsartikeln fragt, ob sie je das prüfende Auge einer
Redakteurin erblickt haben. Das wiederum sind oft jene, über die man dann
bei Facebook erfährt, sie hätten dem Leser aus dem Herzen gesprochen.
Die Selbstzufriedenheit, die die Blasenbewohnerinnen ihren Followers und
Fans präsentieren, wird deshalb nicht weniger werden. Da hülfe nur
Selbstdisziplin, aber die ist in einem Zeitalter, in dem das Verfassen
eines Gedankens vom Verfertigen eines Selfies ersetzt wurde, von gestern,
womit wir bei den Schatten der Vergangenheit wären.
## Verdrängungsanstrengungen
Die werden wir auch durch unermüdliche Verdrängungsanstrengungen nicht los.
Die finden schon einen Weg, sich bemerkbar zu machen. Das Individuum sucht
die Vergangenheit im Traum heim, oder sie macht sich durch psychische
Störungen und Fehlleistungen bemerkbar. In der Demokratie gibt es immer
wieder neue Angebote, die aus dieser Unannehmlichkeit politisches Kapital
schlagen wollen.
Früher hieß es, die Vergangenheit sei so schlimm gar nicht gewesen, dann
fühlten sich alle gleich viel besser. Heute heißt es, ihr schlimmer Anteil
sei relativ gering, sodass man den auch vergessen könne.
Von den Verfassungsschutzbehörden, die in der Regel weniger wissen, als in
der Zeitung steht, wenn sie nicht gleich die Extremisten finanzieren, die
sie beaufsichtigen sollen, und deren Agenten sich unauffällig ins
Nebenzimmer setzen, wenn jemand von einem Terroristen erschossen wird, will
man aber nicht beobachtet werden, weswegen die AfD jetzt ein eigenes
Department für Cancel Culture eingerichtet hat.
Dieses inkriminierte die Aussage des gerade erst gewählten Co-Chefs der
Jungen Alternative, Marvin Neumann, „Weiße Vorherrschaft“ sei „okay“, …
daraufhin kommentarlos aus der Partei austrat. Neumann hatte sich nach
seiner Wahl zum „Solidarischen Patriotismus“ bekannt, das ist die politisch
korrekte Bezeichnung für Nationalen Sozialismus.
Dessen Anhänger sind bekanntlich recht umtriebig in den sozialen
Netzwerken. Immerhin hat der Bundestag in dieser Woche [1][eine Änderung
des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes] beschlossen, um die Rechte der
Nutzerinnen und Nutzer zu stärken, wenn sie das Ziel von Hasskriminalität
geworden sind. „Die Gegenwart ist auch nicht berauschend. Es gibt zu viel
Leute, die mich belauschen. Ich weiß nicht einmal, wo ich bin. Im Radio zu
hören, das hat keinen Sinn.“
## Fehlfarben
So sang Peter Hein weiter, und so fühlt man sich auch, wenn man dem
hessischen Innenminister Peter Beuth zuhört. Über Jahre hinweg waren mit
„NSU 2.0“ unterzeichnete [2][Morddrohungen an Politikerinnen, Anwältinnen
und Journalisten] geschickt worden. Jetzt präsentierte man einen
Tatverdächtigen: Es ist ein arbeitsloser Mann aus Berlin-Wedding, wo vor
Jahren Aufkleber mit der Aufschrift „NSU statt NSA“ auf Stromkästen
angebracht worden waren.
Die hessischen Behörden beeilten sich zu betonen, der Mann sei „zu keinem
Zeitpunkt Bediensteter einer hessischen oder sonstigen Polizeibehörde“
gewesen, als würde das erklären, von wem der Verdächtige denn die teils
geheimen Daten erhalten hat. Sie waren auf Computern im 1. Polizeirevier in
Frankfurt abgerufen worden, bei dessen Durchsuchung eine rechtsextreme
Chatgruppe aufflog. Aber ein Netzwerk soll selbstredend nicht hinter „NSU
2.0“ stecken. Einzeltäter, Einzeltäter, so weit das Auge reicht.
Da hören wir doch lieber noch ein bisschen Fehlfarben. „Die Zukunft wird
auch nicht bewältigt. Der Kopf ist größer als der Hut. Ich weiß nicht mehr,
woher der Wind weht. Ganz egal, was im Wetterbericht steht.“ Es soll jetzt
ja wärmer werden in Deutschland.
8 May 2021
## LINKS
[1] /Bundestagsanhoerung-zum-NetzDG/!5681206
[2] /Verhaftung-nach-NSU-20-Drohserie/!5765449
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Verfassungsschutz
Hetze
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