# taz.de -- Grüne geben Pro7 erstes K-Interview: Botschaften für die Bubble | |
> Wer für die Grünen antreten wird, das werden Robert Habeck oder Annalena | |
> Baerbock bei Pro7 erklären, nicht bei ARD und ZDF. Das ist zwiespältig. | |
Bild: Habeck und Baerbock: Ihre Kanzlerkandidat*innenshow läuft im Privatferns… | |
Was hat Pro7, was ARD und ZDF nicht haben? Das erste TV-Interview mit | |
Annalena Baerbock oder Robert Habeck. [1][Das wird zur Prime Time am Montag | |
in dem Privatsender laufen.] Moderiert von Thilo Mischke und Katrin | |
Bauerfeind. Was bedeutet diese Entscheidung für die deutsche | |
Medienlandschaft? Und was erzählt sie über die Lage von ARD und ZDF? | |
Man könnte diesen Schritt cool und konsequent finden. Bei vielen | |
politischen Sendungen auf Pro7, meist in Zusammenarbeit mit Joko und Klaas, | |
fand ich die Haltung hinter den politischen Prime-Time-Abenden richtig. | |
Weil Pro7 damit auch noch unglaubliche Zuschauerzahlen hatte, ist diese | |
grüne Interview-Premiere scheinbar verständlich. | |
Und doch ist diese Entscheidung problematisch. Denn sie wertet einen | |
Privatsender auf. Man stelle sich Ähnliches für Rechte vor – | |
AfD-Spitzenkandidat*innen würden wichtige Interviews bei einem von | |
Steve Bannon erfolgreich in Europa implementierten Sender geben. Die Grünen | |
treiben mit ihrer Entscheidung womöglich die Privatisierung von | |
Nachrichtenformaten voran und leiten eine Veränderung der deutschen | |
Medienlandschaft in Richtung USA ein. Irgendwann talken Baerbock oder | |
Habeck eben bei Pro7, Söder bei einem [2][FOX-ähnlichen Sender usw.] | |
Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten jedoch Diskurse in ihrer Breite | |
abbilden und möglichst alle Milieus erreichen. Je repräsentativer der | |
Querschnitt, desto eher kann man von einer „gemeinsamen Öffentlichkeit“ | |
sprechen. Das Zersplittern der Diskursräume in Blasen und Bubbles | |
Gleichgesinnter ist ein Problem der westlichen Demokratien. Deutschland | |
leistet sich ein öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio, weil es einen | |
gemeinsamen Marktplatz der Ideen geben soll. | |
## Ein historisches Interview | |
Dass dieser Marktplatz der Meinungen und Nachrichten nun ausgerechnet von | |
den Grünen in Richtung der Privatsender verschoben wird, mag | |
wahlstrategisch ein schlauer Move sein, weil die Grünen so jüngere | |
Wähler*innen erreichen. Für die Debatte über den Rundfunkbeitrag und den | |
Stellenwert der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender ist dieser Schritt | |
von Nachteil. Dieses Pro7-Interview hat schon jetzt etwas Historisches. | |
Erstmals nominieren die Grünen jemanden fürs Kanzler*innenamt, vielleicht | |
sogar eine der jüngsten Politikerinnen je. | |
Dieses Pro7-Format wird weniger klassischer politischer Journalismus sein | |
als Unterhaltung mit einer gewissen politischen Informiertheit. [3][Thilo | |
Mischke] hat zwar einen viel gelobten Dokumentarfilm gedreht, ist aber | |
nicht Marietta Slomka. Katrin Bauerfeind dürfte im Moment noch nicht einmal | |
einen politischen Dokumentarfilm im Portfolio haben, [4][hat aber immerhin | |
für 3sat schon mal Winfried Kretschmann assistiert.] Das Videodokument | |
ihrer politischen Versiertheit findet sich noch auf Youtube. | |
In den USA würde kein TV-Sender darauf verzichten, | |
Präsidentschaftskandidat*innen die besten | |
Politikjournalist*innen des Landes gegenüber zu setzen, | |
interviewerfahren und grill-begabt. Schön, wenn man nun in Deutschland | |
lockerer sein und mehr Jüngere erreichen will. Doch das erste Interview | |
nach der ersten Nominierung eines grünen Kanzlerkandidaten oder einer | |
Kanzlerkandidatin im Insta-Talk-Modus im Privatfernsehen? Nein, danke. | |
## Was Pro7 besser macht | |
Pro7 hat im letzten Jahr in Sachen innovativer Formate bei gesellschaftlich | |
brisanten Themen ARD und ZDF hinter sich gelassen. Pro7 hat sich in Zeiten, | |
in denen ARD und ZDF bei manchen Themen Ethik und Gesetz für Meinung | |
halten, für eine klarere journalistische Haltung entschieden. | |
Gesellschaftliche Themen wurden von den Grundrechten und der sozialen Frage | |
her aufgearbeitet, anstatt vorauseilend dem Shitstorm der Rechten | |
auszuweichen. | |
Seit Pegida haben die Öffentlich-Rechtlichen ihren Auftrag, die | |
Gesellschaft in ihrer Vielfalt zu erreichen und zu repräsentieren, falsch | |
interpretiert – 15 Prozent haben nicht dasselbe Gewicht wie 85 Prozent. Auf | |
rechte Shitstorms weiß man oft keine adäquate Antwort. | |
Es scheint an Kompetenz zu fehlen, um rechte Netzwerke in den sozialen | |
Medien zu durchdringen. Nur so konnte es zu dem WDR-Umweltsau-Gate kommen. | |
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben laut Satzung den Auftrag, | |
gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Doch derzeit gewinnen die | |
Wutbriefschreiber. Die anderen wenden sich ab. Etwa zu Pro7. | |
## Ödes Pro & Contra | |
Das Ergebnis sieht oft so aus: Wird etwa in einer Sendung der | |
Öffentlich-Rechtlichen über das Sterben der Menschen im Mittelmeer | |
berichtet oder in einem Kommentar die Rettung dieser Menschen als | |
moralische Pflicht beschrieben, so muss ein Kommentar folgen, der | |
Geflüchtete an Europas Rändern selbst für ihre missliche Lage | |
verantwortlich macht. | |
Pro7 hingegen hat in den letzten Jahren die Sea-Watch-Kapitänin Pia Klemp | |
reden lassen, die wegen Rettung von Menschen auf See angeklagt wurde. Als | |
Carola Rackete festgenommen wurde, übte man sich in öffentlich-rechtlichen | |
Formaten munter im Pro-Contra Rackete versus Salvini. Dabei wurde die | |
Seenotretterin in allen Anklagepunkten von der Justiz freigesprochen. | |
Pro7 setzte hingegen, gemeinsam mit Joko und Klaas, darauf, die Verletzung | |
von Grund- und Menschenrechten anzuprangern. Und Pro7 widmet sich [5][in | |
einer Sendung sieben Stunden lang einer Pflegekraft] – und führte so Jens | |
Spahn vor. Darauf hätten auch ARD oder ZDF kommen können. | |
Vielleicht verstehen ARD und ZDF die Entscheidung der Grünen als Lektion. | |
Vielleicht lernen sie, dass Vielfalt nicht heißt, „auch rechte Positionen“ | |
zu zeigen, sondern vor allem auch junge, migrantische, feministische und | |
menschenrechtliche. Doch wer, wie bei den „Tagesthemen“, den „politischen | |
Kommentar“ lieber „Meinung“ nennt, dem wird auch der Mut für die politis… | |
Prime Time fehlen, mit der Pro7 seit Monaten von sich reden macht. | |
14 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/wahl-tv-einmal-anders-prosi… | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Fox_News_Channel | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/thilo-mischke-im-gespraech-… | |
[4] https://programm.ard.de/TV/Programm/Sender/?sendung=2800714022379902 | |
[5] https://www.prosieben.de/tv/joko-klaas-gegen-prosieben/news/joko-klaas-live… | |
## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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