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# taz.de -- Schulpolitik in Baden-Württemberg: Gezähmte Schulrebellen
> 10 Jahre Schulpolitik unter grüner Regierung: Es gibt inzwischen fast 300
> Gemeinschaftsschulen, aber kaum noch neue. Und die Inklusion stockt
Bild: Die Grünen haben in zehn Jahren wenig Energie in die Schule investiert. …
Berlin taz | „Wir sind eine Aufsteigerschule“, sagt Monika Glosser. Die
60-Jährige leitet die Gemeinschaftsschule Ravensburg. Eine Schule, die alle
Möglichkeiten biete, ohne die Kinder, wie im traditionell gegliederten
Schulsystem, nach Klasse 4 in Schularten einzusortieren. Vom
Hauptschulabschluss über die Mittlere Reife bis zur Empfehlung für die
gymnasiale Oberstufe könnten die 400 Schüler:innen den für sie
bestmöglichen Abschluss erreichen. Das Spektrum sei breit, sagt Glosser,
Kinder aus bildungsnahen und benachteiligten Haushalten lernten zusammen,
auch Kinder mit Lernförderbedarf.
Die grün-rote Landesregierung führte die Gemeinschaftsschule 2012 als neue
Schulform ein. Keine Noten, kein Sitzenbleiben, stattdessen längeres
gemeinsames Lernen – die Erwartungen waren hoch. Das gutbürgerliche
Ravensburg war Vorreiter, hier gingen gleich zwei Gemeinschaftsschulen an
den Start. Die Kuppelnau-Hauptschule, [1][die die taz 2011 besuchte] und
deren damaliger Direktor Rudolf Bosch unter der CDU-Regierung noch als
Schulrebell galt. Und die Stefan-Rahl-Grund- und Hauptschule, an der
Glosser arbeitete.
Sie erzählt von der Aufbruchstimmung, von Besuchen in der Schweiz beim
Schulgründer Peter Fratton. Schnell sei man dann aber auch in der Praxis
gelandet – es gab weder Bücher noch fertige Konzepte für die neue
Schulform. Die Anfänge waren mühsam, Fortschritte erkämpften sich die
Lehrer:innen mit vielen Überstunden, Fleiß und Enthusiasmus.
Inzwischen gibt es gut 300 Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg, die
meisten hervorgegangen aus ehemaligen Haupt- oder Realschulen. Und kaum
noch Neuanträge. Die Gemeinschaftsschule hat sich etabliert, doch der
Schwung des Anfangs ist vorbei. Eine ernsthafte Konkurrenz für die anderen
Schulformen, wie der damalige Schulrebell Bosch hoffte, ist sie nicht,
sondern eine von fünf weiterführenden Schulen im immer noch stark
gegliederten baden-württembergischen Schulsystem.
## Vier von 300 Gemeinschaftsschulen mit Abiturstufe
Das liegt auch daran, dass die Koalition nach fünf Regierungsjahren ins
Grün-Schwarze wechselte und [2][das Schulministerium von der SPD an die CDU
ging.] Die wollte die Gemeinschaftsschulen zunächst abschaffen, duldete sie
dann aber, förderte jedoch verstärkt Realschulen und Werkrealschulen, die
ehemaligen Hauptschulen.
„Wir hatten unter der CDU-Kultusministerin keinen Rückhalt mehr und keinen
Rückenwind“, sagt Matthias Wagner-Uhl vom Verein der Gemeinschaftsschulen
Baden-Württemberg. Dennoch hätten sich die Gemeinschaftsschulen unter
schwierigen Bedingungen gut behauptet. An die Schule in Neuenstein, die er
leitet, wechselten inzwischen bis zu 75 Prozent der Grundschüler. Dabei
verfügt die Schule wie fast alle hiesigen Gemeinschaftsschulen nicht über
eine eigene Abiturstufe, die gibt es nur an vier Gemeinschaftsschulen. Die
Abiturstufe sei ein Puzzleteil für den Erfolg der Gemeinschaftsschulen,
meint Wagner-Uhl. „Ein harter Standortfaktor für die bildungsaffinen
Eltern.“
Sein Verband habe die klare Erwartung, dass die Grünen in der nächsten
Regierung nach dem Kultusministerium griffen und wieder visionäre
Bildungspolitik machten.
## Die Schuld wird auch Kretschmann gegeben
Enttäuscht von den Grünen ist dagegen Matthias Schneider von der
Bildungsgewerkschaft GEW. „Starke Grüne haben sich wenig für Bildung
interessiert“, sagt er. „Die grüne Basis hat es lautlos zugelassen, dass
fünf Jahre eine klassisch konservative Bildungspolitik gemacht wurde.“ Bei
der Inklusion von Kindern mit und ohne Behinderung sei das Land nicht
vorangekommen, im Gegenteil. Der Anteil der Kinder, die separat in
sonderpädagogischen Einrichtungen unterrichtet werden, ist in den
vergangenen zehn Jahren sogar leicht gestiegen.
Die Grünen hätten zwar nie das Bildungsressort innegehabt, aber das
Finanzministerium. Und viel zu wenig in die Schulen investiert, meint auch
Michael Gomolzig vom Verband Bildung und Erziehung. „Und das lasten wir
höchstpersönlich dem grünen Ministerpräsidenten an.“
Die beiden Ravensburger Gemeinschaftsschulen sind 2019 zu einer fusioniert.
Die Schule habe heute in der Ravensburger Schullandschaft einen festen
Platz, sagt Glosser, und sei bei den Eltern anerkannt. Vor allem bei jenen,
die längeres gemeinsames Lernen und individuelle Förderung schätzten.
12 Mar 2021
## LINKS
[1] /Eine-Gemeinschaftsschule-fuer-Ravensburg/!5119682
[2] /Neues-Kabinett-in-Baden-Wuerttemberg/!5303589
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
Inklusion
Schule
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