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# taz.de -- Rassismus beim FC Union: Diskrete Diplomatie im Fußball
> Nationalspieler Nadiem Amiri soll von Union-Spielern rassistisch
> beleidigt worden sein. Die Aufklärung zerschellte an einer Mauer des
> Schweigens.
Bild: Nadiem Amiri beim Spiel der Leverkusener gegen Union am 15. Januar
Berlin taz | Am Ende konnte keiner keinem etwas nachweisen. Es blieb
nebulös, was für Worte gefallen waren. „Der Nachweis einer rassistisch
motivierten oder diskriminierenden Handlung konnte nicht erbracht werden“,
verkündete das DFB-Sportgericht am Donnerstag, und entschied dennoch auf
Spielsperre und Geldstrafe „wegen unsportlichen Verhaltens“. Eine
Diplomatie-Entscheidung, die am ehesten Union Berlin zufrieden stellen
konnte.
Es war eine ungemütliche Woche für den Männer-Bundesligisten aus Köpenick.
Am vorangegangenen Freitag, beim 1:0 gegen Bayer Leverkusen, hatte es eine
der üblichen Rudelbildungen auf dem Platz gegeben. Union-Spieler Florian
Hübner soll dabei den Leverkusener Nadiem Amiri, deutscher Nationalspieler
mit afghanischer Familiengeschichte, als „Scheiß-Afghane“ beschimpft haben.
So zumindest berichtete es der Leverkusener Verteidiger Jonathan Tah, der
die Worte aber nicht selbst gehört hatte. Und die Mikrofone fingen ein, wie
Union-Stürmer Cedric Teuchert rief: „Der ist immer noch am Schimpfen, ey!
Wir sind hier in Deutschland, Alter!“
Sehr eindrücklich rassistisch dies. Trotzdem wurden die Ermittlungen gegen
Teuchert eingestellt, er aber gleichzeitig – fast Realsatire – darauf
hingewiesen, künftig besser auf seine Wortwahl zu achten. Hübner erhielt
eine vage Strafe für Beleidigung, weil man wohl auch nicht gar nichts
machen wollte. Interessant ist der Fall vor allem, weil er viel darüber
sagt, wie Fußball funktioniert. Beide Spieler übten sich in Diplomatie.
Hübner entschuldigte sich in der Kabine bei Amiri; gegenüber dem
Sportgericht beteuerte er dennoch, die kolportierte Beschimpfung habe er
nicht getätigt. Später äußerte er über den Verein ein braves
Antirassismus-Statement. Union stichelte unterdessen gegen Bayer
Leverkusen.
Amiri wiederum konnte oder wollte sich nicht so genau erinnern, ob
„Scheiß-Afghane“ gefallen war, und befand die Sache für erledigt. Die Mau…
des Schweigens war schnell wieder hochgezogen um die diskrete Branche. Umso
lauter dafür Teile der Öffentlichkeit, die sich moralisch auf Hübner
eingeschossen hatten. Dabei sprachen er – falls er es tat – und Teuchert
nur aus, was auf jedem Schulhof, auf jedem Fußballplatz, in jeder Kabine
wöchentlich gang und gäbe ist. Die Baumkrone ist nicht besser als die
Wurzel. Nur verschwiegener. Antirassistische Arbeit mit Spielern,
ernsthafte Kapitalismuskritik (nicht umsonst ging es um „Scheiß-Afghane“,
nicht „Scheiß-Schwede“) und konsequenter Druck auf die rassistische und
sexistische Hau-drauf-Mentalität im Fußball würden dagegen mehr helfen als
Pauschalurteile über persönliche Einstellungen Einzelner. Der DFB möchte
all das offenbar irgendwie still beilegen. Das misslingt ordentlich, nichts
ist geklärt.
Einen Hinweis auf die Welt hinter der Fassade gab Amiris Bruder in den
sozialen Medien. Zu seinem Bruder „Scheiß-Afghane“ zu sagen, sei das
Allerletzte, schrieb Nauwid Amiri. „Mein Bruder und ich sind hier in
Deutschland geboren und aufgewachsen. Wir lieben das Land und mein Bruder
ist voller Stolz deutscher A-Nationalspieler […] und dann bringst du meinen
Bruder nach dem Spiel zum Weinen. Denkst du, in die Kabine zu gehen und
sich entschuldigen zu wollen, reicht, und alles ist damit vergessen?“
Nadiem Amiri teilte die Story. Und entfernte sie dann. Kein Raum im Fußball
für Tränen. Und wenig für internen Antirassismus.
23 Jan 2021
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
FC Union
Wochenkommentar
Bayer Leverkusen
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Hertha BSC Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Argentinien
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