# taz.de -- Gründerinnen von „Better Birth Control“: „Es wurde jahrelang… | |
> Verhütung ist meist Frauensache, auch weil es an Alternativen zur Pille | |
> fehlt. Rita Maglio und Jana Pfenning wollen mit der Kampagne „Better | |
> Birth Control“ helfen. | |
Bild: Seit 60 Jahren nehmen viele Frauen die Pille, wie hier 1976 in New York | |
taz: Frau Maglio und Frau Pfenning, Sie haben [1][die Kampagne „Better | |
Birth Control“] ins Leben gerufen, mit der Sie mehr Verhütungsmittel für | |
Männer und gleichberechtigte Aufklärung fordern. Wie ist die Lage in | |
Deutschland derzeit? | |
Rita Maglio: In Deutschland sind größtenteils noch immer Frauen für die | |
Verhütung verantwortlich. Die Pille gibt es jetzt seit 60 Jahren in | |
Deutschland, und sie ist noch immer das beliebteste Verhütungsmittel. | |
Trotzdem gibt es eine Pillenmüdigkeit. Eine Studie der Techniker | |
Krankenkasse hat herausgefunden, dass Frauen unter 20 Jahren heute seltener | |
die Pille nehmen als noch vor 20 Jahren. Kondome werden von etwa 46 Prozent | |
aller sexuell aktiven Menschen in Deutschland benutzt. Daneben gibt es zwar | |
noch viele andere Möglichkeiten, aber für Männer außer dem Kondom nichts, | |
zumindest keine reversible Methode. Wir sagen gar nicht, dass das Kondom | |
nicht benutzt werden sollte, es schützt ja vor sexuell übertragbaren | |
Krankheiten. Aber wir wollen Männern die Möglichkeit eröffnen, dass sie | |
weitere Verhütungsmittel haben. | |
Jana Pfenning: In Deutschland wird zu männlicher Kontrazeption gerade | |
überhaupt nicht geforscht. Auch auf europäischer Ebene gibt es keine | |
Fördergelder. In Indien, Indonesien und den USA passiert da gerade mehr. | |
Wie ist die Forschungslage dort? | |
JP: In Seattle wird an einem Hormongel geforscht, das Männer sich auf die | |
Schultern schmieren. Das besteht aus Gestagenen und Testosteron und wirkt | |
bislang. Man muss es wie die Pille täglich benutzen und zu einem bestimmten | |
Zeitpunkt auftragen. Es ist leicht anwendbar und wohl auch sehr sicher. | |
RM: Außerdem gibt es ein Samenleiterventil, das könnte die Verhütung für | |
Männer revolutionieren. Der Erfinder Clemens Bimek verhütet selbst damit. | |
In einer kleinen OP werden zwei Ventile in den Samenleiter eingesetzt. | |
Simpel gesagt, kann man einen Knopf betätigen, um den Samenleiter zu öffnen | |
und verschließen. Aber Bimek hat kaum Investoren, um seine Erfindung | |
marktfähig machen zu können. | |
[2][Verhütung bleibt also erst einmal eine Frauensache]. Wann haben Sie das | |
persönlich zum ersten Mal bemerkt? | |
RM: Ich habe sehr früh die Pille verschrieben bekommen und sie fünf Jahre | |
lang genommen. Dann habe ich erst mal nur mit Kondom verhütet. Als ich | |
wieder in einer festen heterosexuellen Beziehung war, wurde die Frage nach | |
Verhütung sofort an mich weitergereicht. | |
JP: In der Schule wurden wir zwar über verschiedene Verhütungsmittel | |
aufgeklärt, aber hauptsächlich wurden die Mädchen adressiert, so nach dem | |
Motto „Passt auf, dass ihr nicht schwanger werdet“. | |
RM: Genauso ist es bei manchen Frauenärzt*innen. Für die Kampagne haben | |
wir mit vielen Frauen geredet und immer wieder gehört, dass manche mit 13 | |
oder 14 das erste Mal dort waren und direkt die Pille verschrieben bekommen | |
haben, zum Teil hatten sie nicht mal Sex und brauchten die überhaupt nicht. | |
Was ist schlecht daran? | |
JP: Viele Frauen kämpfen mit Nebenwirkungen. Sie sind genervt von der Zeit | |
und dem Geld, das sie in Verhütung investieren. Gerade in heterosexuellen | |
Beziehungen fühlen sich viele mit dem Thema alleingelassen. | |
Daran wollen Sie jetzt etwas verändern: Wie ist es zu der Kampagne | |
gekommen? | |
RM: Jana und ich haben uns Anfang 2020 im Europaparlament kennengelernt. | |
Wir saßen abends mit Leuten aus verschiedenen Parteien zusammen und kamen | |
auf das Thema Verhütung. Schnell haben wir gemerkt, dass das vor allem in | |
der Hand der Frauen liegt. Parteiübergreifend waren alle unzufrieden damit. | |
Im September kamen wir dann auf die Idee mit der Kampagne. | |
JP: Außerdem gründen wir gerade einen Verein und machen Aufklärungsarbeit | |
auf Social Media. Das ist immens wichtig, weil sonst kein | |
gesellschaftlicher Wandel passieren kann. | |
RM: Es fängt schon damit an, dass viele überhaupt nicht wissen, wie ihr | |
eigener Körper funktioniert. Da muss man ansetzen bis hin zu der Frage, wie | |
man richtig verhütet. | |
Das Unwissen ist das eine, aber es scheinen ja momentan auch die richtigen | |
Mittel zu fehlen, um Verhütung zu einer gleichberechtigten Angelegenheit zu | |
machen. [3][Welche Rolle nimmt die Pharmaindustrie] beim Thema Verhütung | |
ein? | |
RM: Die Pharmaindustrie spielt eine zentrale Rolle. Sie hätte die Mittel, | |
Forschung voranzubringen, aber tut das oft aus finanziellen Gründen nicht. | |
Die Firma Schering hat an der Pille für den Mann geforscht. Dabei gab es | |
ähnliche Nebenwirkungen wie bei der Pille für Frauen, die Geschichte ist | |
relativ bekannt. Allerdings hat Bayer Schering 2006 aufgekauft und die | |
Studie gestoppt. Nicht nur wegen der Nebenwirkungen, sondern wohl auch weil | |
sie davon ausgingen, dass die Nachfrage zu gering sein würde und sie kein | |
Geld damit verdienen könnten. | |
Studien zeigen, dass ein Großteil der Männer bereit wäre, trotz möglicher | |
Nebenwirkungen eine Verhütungspille zu nehmen. Wie soll sich nun etwas | |
ändern, wenn die Pharmaindustrie offensichtlich kein Interesse an der | |
Entwicklung anderer Methoden hat? | |
JP: Wir wollen mit unserer Kampagne zeigen, dass es gesamtgesellschaftlich, | |
auch vonseiten der Männer, großes Interesse gibt. [4][Die Zehntausende | |
Unterschriften zu unserer Petition machen deutlich], dass die Gesellschaft | |
auf eine breitere Palette an Verhütungsmethoden wartet. | |
RM: Wir wollen die Zivilgesellschaft, Pharmaindustrie und Politik | |
zusammenbringen. Dafür konnten wir schon viele Unterstützer*innen aus | |
der Politik gewinnen, hauptsächlich von Grünen und SPD, Lars Klingbeil zum | |
Beispiel. | |
Lars Klingbeil sitzt für die SPD im Bundestag, die ist Teil der Regierung. | |
Katarina Barley unterstützt Sie und ist Vizepräsidentin des | |
Europaparlaments. Diese Politiker*innen hätten das Thema doch schon | |
angehen können. | |
JP: Das Thema ist bisher von keiner Partei angegangen worden, sondern wurde | |
jahrelang totgeschwiegen. Das hat zwei Gründe. Erstens: Es gab bisher keine | |
Lobby in Deutschland, die für fairere Verhütung eingetreten ist. Better | |
Birth Control ist die erste Interessenvertretung, die sich dafür | |
starkmacht. Und zweitens ist Verhütung in Bezug auf Schwangerschaften ein | |
Thema, das vor allem Menschen unter 40 Jahren betrifft. Im Bundestag liegt | |
der Altersdurchschnitt momentan bei 50. | |
Sie wollen verschiedene Gruppen zusammenzubringen und ins Gespräch kommen. | |
Haben Sie aber auch konkrete Forderungen? | |
JP: Wir haben uns erst einmal vorgenommen, keine festgelegten Forderungen | |
zu stellen, weil das den Verhandlungsspielraum geringer macht. Wir möchten | |
offen in Debatten gehen und fragen: Was könnt ihr uns anbieten? | |
RM: Die Petition ist eher ideell. Die Forderungen kommen dann im nächsten | |
Schritt. | |
Was ist denn der nächste Schritt? | |
RM: Das ist abhängig davon, wie viel Zuwachs wir bekommen. Erst mal werden | |
wir Gespräche mit unseren Unterstützer*innen führen. Nächste Woche | |
sprechen wir mit Tiemo Wölken, der für die SPD im Europaparlament sitzt, | |
damit wir das Thema auf eine europäische Ebene bringen können. | |
JM: Durch die Unterstützung von Politiker*innen sind unsere Wege zum | |
Familienministerium relativ klein. Wir hoffen, dass wir dadurch bald einen | |
Termin mit Franziska Giffey organisieren können. | |
Angenommen, die Kampagne hat Erfolg: Wie sieht die Welt idealerweise in | |
fünf oder zehn Jahren aus? | |
JP: Es gibt für Männer und Frauen beziehungsweise Leute aller Geschlechter | |
eine breite Palette von Verhütungsmethoden, die möglichst arm an | |
Nebenwirkungen sind. Außerdem werden die Kosten für Verhütung zu 100 | |
Prozent erstattet. | |
RM: Uns ist wichtig, dass unsere Kampagne auch Trans- und nichtbinäre | |
Menschen anspricht. Und wir wollen die Sustainable Development Goals | |
erfüllen, das heißt, bis 2030 soll der Zugang zu sexualmedizinischer | |
Versorgung für alle gegeben sein. Das ist natürlich sehr sportlich, aber | |
wir müssen darüber reden, selbst wenn es erst zehn Jahre später klappt. Ich | |
glaube, wenn genug Mittel zusammenkommen und der Wille da ist, können wir | |
es schaffen. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.betterbirthcontrol.org/ | |
[2] /60-Jahre-Pille/!5703222 | |
[3] /Die-Pille-fuer-den-Mann/!5525508 | |
[4] https://www.change.org/p/die-bundesregierung-verh%C3%BCtung-f%C3%BCr-alle-b… | |
## AUTOREN | |
Greta Linde | |
## TAGS | |
Verhütung | |
Feminismus | |
Anti-Baby-Pille | |
Schwerpunkt Bayer AG | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
Anti-Baby-Pille | |
Verhütung | |
Verhütung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gerichtsstreit um Verhütungspille: Klage gegen Bayer abgewiesen | |
Felicitas Rohrer nahm die Verhütungspille Yasminelle und erlitt eine | |
Lungenembolie. Ein Gericht sieht die Kausalität nicht bewiesen. | |
Studie zu Schwangerschaftsabbruch: Überraschend progressiv | |
Jens Spahns Ministerium finanziert eine Studie über ungewollte | |
Schwangerschaften. Das Forschungsdesign weckt Hoffnung auf echte | |
Erkenntnisse. | |
60 Jahre Pille: Der ferngesteuerte Körper der Frau | |
Seit 1960 nehmen Frauen die Pille. Zur Verhütung. Gegen Schmerzen. Für | |
schöne Haut. Viele setzen sie wieder ab. Drei Protokolle. | |
Soziologin über 60 Jahre Pille: „Kein emanzipatorisches Projekt“ | |
Am 18. August 1960 kam die Pille auf den Markt. Sie brachte Frauen die | |
sexuelle Befreiung – doch die Interessen dahinter waren andere. | |
Die Pille für den Mann: Da kommt noch was | |
Seit Jahrzehnten tüfteln Forscher an Verhütungsmethoden für den Mann. Doch | |
wann kommt sie endlich, die Pille für ihn? |