# taz.de -- Handballer über Sportverletzungen: „Ich kenne Schmerzen von klei… | |
> Holger Glandorf hat sich während seiner Karriere oft verletzt. Im Mai | |
> bestritt er sein letztes Spiel für die SG Flensburg-Handewitt. | |
Bild: Kam nach seinen Verletzungen immer wieder zurück: Holger Glandorf | |
taz: Herr Glandorf, können Sie sich noch an Ihre erste Verletzung erinnern? | |
Holger Glandorf: Ja, beim letzten Lehrgang vor der | |
Juniorenweltmeisterschaft in Brasilien habe ich mir den Mittelfuß gebrochen | |
und das Turnier verpasst. Acht Wochen bin ich ausgefallen. | |
Welche Verletzungen sind im Laufe Ihrer Karriere dazugekommen? | |
Ich habe mir das Kreuzband, die Achillessehne und die Bänder im Handgelenk | |
gerissen sowie den Daumen gebrochen, um die schwersten zu nennen. Ein paar | |
Finger sehen auch nicht mehr so gut aus, je nachdem, ob die Strecksehne | |
etwas abbekommen hat. Aber das beeinträchtigt mich nicht großartig. | |
Was ist verschont geblieben? | |
Relativ gut sehen der rechte Arm und das rechte Knie noch aus. | |
Wie schwer war es nach den zum Teil monatelangen Ausfallzeiten, das | |
vorherige Leistungsniveau wieder zu erreichen? | |
Nach der letzten Verletzung, einer Schulteroperation in meiner | |
Abschluss-Saison – hat es das erste Mal länger gedauert als geplant. Aber | |
das war eher dem Verschleiß als der Verletzung geschuldet. Ich habe es | |
geschafft zurückzukommen und die Karriere vernünftig zu beenden. | |
Ist man in den vielen Wochen der Reha auch aus dem sozialen | |
Mannschaftsleben raus? | |
Das ist immer eine Umstellung. Man hat in der Zeit mehr Kontakt zu den | |
Physiotherapeuten als zu den Mitspielern. Ich habe immer versucht, trotzdem | |
bei den Trainingseinheiten der Mannschaft dabei zu sein und nebenbei etwas | |
zu machen. Wenn es länger gedauert hat, habe ich auch mal nur so eine | |
Auswärtsfahrt mitgemacht. | |
Häufig sind Sportler in der Zeit nach Verletzungen stärker als vorher. | |
Bedeutet das, dass der Körper sich mit der Verletzung eine notwendige Pause | |
bekommen hat? | |
Dabei spielt nicht nur die Pause eine Rolle. In der Zeit, in der man allein | |
trainiert und nicht im Spielrhythmus ist, kann man Schwachstellen abbauen | |
und den Körper allgemein mehr trainieren. | |
In einem Interview mit dem „Spiegel“ haben Sie gesagt, dass Verletzungen in | |
der Rückschau sogar mehr bringen, als irgendwelche Rekorde zu brechen. | |
Ja, man lernt seinen Körper gut kennen und wird ein Stück demütiger für | |
das, was man als Hobby begonnen hat und dann auch noch als Beruf ausüben | |
darf. | |
Welche Rolle spielen Schmerzmittel beim Versuch, möglichst bald wieder | |
einsatzfähig zu sein? | |
Die gehören dazu, gerade nach Verletzungen. Sie helfen ja nicht nur gegen | |
die Schmerzen, sondern sind auch entzündungshemmend und nehmen die | |
Schwellung raus, um schneller wieder fit zu werden. Ich habe Schmerzmittel | |
aber immer nur in Absprache mit dem Mannschaftsarzt genommen. | |
Gab es manchmal den Druck, welche zu nehmen? | |
Nein, ich habe nie den Druck bekommen, schneller fit zu sein, als es die | |
Heilung erforderte. Genau planen kann man das sowieso nicht, aber ich habe | |
immer die Zeit bekommen, die ich brauchte. | |
Seit der Spielbetrieb im Coronamodus stattfindet, hat sich die Diskussion | |
um die eng gestrickten Spielpläne im Handball verschärft. Teilen Sie die | |
Kritik an der hohen Belastung? | |
Wir wissen seit ein paar Jahren, dass es so ist. Man versucht durch | |
verschiedene Maßnahmen, den Spielplan zu entzerren, aber während der | |
Coronazeit ist der Spielraum sehr gering. Es sind schon mehrere Spiele | |
abgesagt worden und ich weiß nicht, wann die nachgeholt werden sollen. Wir | |
spielen jetzt schon alle drei Tage. Das ist gefährlich für die Belastung | |
der Spieler: Man wird immer müder und müder und irgendwann passt man nicht | |
mehr genau genug auf. Es ist schwierig, da eine Lösung zu finden. | |
Kennen Sie eine? | |
Das Problem liegt nicht in der Vielzahl der Spiele. Man müsste aber die | |
Regenerations-Zeit verlängern – zum Beispiel durch eine längere | |
Sommerpause, in der man nicht schon mit dem Gedanken in Urlaub fährt, dass | |
die Saison in zwei Wochen wieder losgeht. Wenn man weiß, dass man jetzt | |
alles geben kann und danach drei Monate Pause hat, um den Kopf frei zu | |
bekommen, kommt man auch mit den kurzen Abständen zwischen den Spielen | |
klar. | |
Halten die Spieler in der Frage zusammen? | |
Ja, aber da gibt es auch noch die Vereine und Verbände. Alle | |
Interessenvertreter müssten sich an einen Tisch setzen, um etwas | |
Vernünftiges auszuhandeln. | |
Ihre Kinder, 9 und 12 Jahre, spielen beide Handball. Würden Sie ihnen davon | |
abraten, das irgendwann professionell zu machen? | |
Nein, das würde ich nicht. Solange sie Spaß dran haben, sollen sie ihre | |
Erfahrungen machen. Es ist gut für die Entwicklung, in einer Mannschaft zu | |
spielen, darin bestärke ich sie. Und wenn es einer weit nach oben schafft | |
und Spaß daran hat, ist das auch in Ordnung. Auf der anderen Seite dränge | |
ich sie auch nicht dazu. | |
Was bedeutet der Sport für Ihr Leben – abgesehen davon, dass er lange Zeit | |
Ihr Broterwerb war? | |
Anfangs stand für mich der Spaß in der Gruppe im Vordergrund. Natürlich war | |
ich auch ehrgeizig und konnte schlecht verlieren, aber am Anfang hatte ich | |
nicht den Ansporn, Profi zu werden. Zusammen erfolgreich sein und in der | |
Kabine Quatsch zu reden – das hat bis zum Schluss für mich den Reiz | |
ausgemacht. | |
Wie sind Sie zum Handball gekommen? | |
Bei uns haben alle außer unserer Mutter Handball gespielt, obwohl Osnabrück | |
ja eigentlich eine Fußball-Stadt ist. Ich bin immer bei den Spielen von | |
Vater, Bruder oder Cousins rumgerannt – da war der Weg nicht weit, selbst | |
damit anzufangen. | |
Wie hat der Sport das Verhältnis zu Ihrem Körper geprägt? | |
Der ist für einen Sportler das wichtigste Kapital, weil man damit seinen | |
Lebensunterhalt verdient. Aber wenn man Spaß an der Sache hat, nimmt man | |
Qualen und Verletzungen natürlich eher in Kauf. | |
Gibt es im Leistungssport heute eher einen ganzheitlichen Blick auf den | |
Körper als früher? | |
Als ich angefangen habe, gab es neben dem Trainer maximal den Co-Trainer. | |
Heute haben wir Athletiktrainer, Psychologen und Motivationstrainer. Zum | |
Teil wird sehr individuell gearbeitet, die Belastungssteuerung und Mittel | |
zur Regeneration haben sich verbessert. Eisbäder waren zum Beispiel früher | |
kein Thema. | |
Hatten Sie während Ihrer Verletzungen mal die Befürchtung, Ihre Rolle in | |
der Mannschaft einzubüßen? | |
Ich hatte nie das Gefühl, das sich innerhalb der Mannschaft eine Konkurrenz | |
auf meiner Position befürchten muss. Natürlich wurden bei Verletzungen auch | |
Spieler nachverpflichtet, die einschlagen können. Ich selbst bin damals in | |
die erste Mannschaft der HSG Nordhorn gekommen, weil sich ein Spieler | |
verletzt hatte. Aber das Gute im Handball ist, dass die Zahl der Wechsel | |
nicht begrenzt ist. Bei Topvereinen, die achtzig Spiele im Jahr haben, kann | |
jeder sicher sein, seine Spielanteile zu bekommen. Ein schlauer Trainer | |
nutzt den ganzen Kader, um die Belastung über die Saison zu verteilen. | |
Sind Sie jemals durch ein absichtliches Foul verletzt worden? | |
Nein, das waren alles Zufälle oder Unglücke. In der Generation vor mir ging | |
es teilweise unfairer zu, aber heute ist alles professioneller geworden, | |
die Spieler wissen, dass der Körper das Kapital ist. | |
Viele ältere Handball-Fans können sich noch daran erinnern, wie der | |
Gummersbacher Nationalspieler Joachim Deckarm sich 1979 beim ungebremsten | |
Sturz auf den Hallenboden eine schwere Kopfverletzung zugezogen hat. Ist | |
Handball eine besonders gefährliche Sportart? | |
Das war damals eine unglückliche Situation, die auch in anderen Sportarten | |
vorkommen kann, und ist eine Ausnahme. So etwas hat man als Spieler nicht | |
im Hinterkopf. | |
Sind Spiele der SG Flensburg-Handewitt gegen den Erzrivalen THW Kiel härter | |
als andere? | |
Auch die sind ruhiger geworden. Die Region ist von dem Derby immer noch | |
elektrisiert und die Spiele werden hart geführt, aber es bleibt alles im | |
fairen Rahmen. | |
Darf ein Handballspieler in der Kabine seinen Schmerz zeigen? | |
Das lässt sich manchmal nicht unterdrücken. Da sind wir nicht härter als | |
alle anderen, auch wenn wir die Schmerzen von klein auf kennen. Es wäre für | |
einen selbst auch nicht gut, den Schmerz zu unterdrücken, er ist ja ein | |
Indikator dafür, was einem fehlt. | |
Ihr ehemaliger Nationalmannschaftskollege Henning Fritz hat nach dem | |
Karriere-Ende von einem Burn-out erzählt, den er während der Heim-WM 2007 | |
erlitten hatte. Sind Sie solchen Problemen in Ihrer Karriere auch begegnet? | |
Persönlich hab ich das bei niemandem mitbekommen. Wenn so etwas auftreten | |
sollte, hoffe ich, dass derjenige sich öffnen kann und Hilfe sucht. Wir | |
haben im Verein Ansprechpartner, die dann weiterhelfen können. | |
Über Generationen haben Spieler der SG über die familiäre Atmosphäre | |
geschwärmt, die weit über den Beruf hinausgeht. Ist das immer noch so? | |
Die SG-Familie bleibt bestehen, auch mit unseren Partnern und Fans | |
zusammen. Die Spieler mit Kindern wohnen alle in Handewitt, die anderen in | |
Flensburg. Neuen Spielern wird der familiäre Geist gleich eingeimpft, | |
deshalb fühlen sie sich hier so wohl. Die Dänen, Schweden, Norweger im Team | |
schätzen zusätzlich das skandinavisch geprägte Lebensgefühl hier. | |
Hat die Flens-Arena über die Jahre ihre besondere Atmosphäre bewahrt? | |
Das ist immer noch die Hölle Nord, gerade zu besonderen Spielen wie gegen | |
den THW brennt die Hütte. Umso schlimmer ist es, dass wir aktuell keine | |
Fans reinlassen dürfen, das fehlt der Mannschaft, davon lebt ja unsere | |
Sportart. Es macht den Handball aus, dass die Leute nachher mit auf die | |
Platte können, die Kinder frei rumlaufen und Autogramme holen können. Der | |
Kontakt ist im Moment schwer, aber wir versuchen, über Fan-Aktionen oder | |
über unsere Kommunikation die Leute mitzunehmen und teilhaben zu lassen. | |
Umgekehrt hängen die Fans Plakate auf die Tribüne, um uns zu unterstützen. | |
Wie sehr schmerzt es Sie, dass es aufgrund der Pandemie keinen Abschied in | |
voller Halle gab? | |
Ich hätte mir im letzten Spiel zu Hause volle Ränge gewünscht, aber es gibt | |
Wichtigeres. Außerdem kann ich die Party mit den Fans ja nachholen, und das | |
werde ich sicher auch tun. | |
Sie sind der Bundesliga-Spieler, der die meisten Tore aus dem Feld heraus | |
erzielt hat. Was bedeutet Ihnen das? | |
Das ist ein schönes Beiwerk. Natürlich sind mir Mannschaftstitel wichtiger, | |
aber der Titel zeigt ja auch, dass ich wahrscheinlich vieles richtig | |
gemacht und der Mannschaft geholfen habe. | |
Wenn Sie mehr Siebenmeter geworfen hätten, wären Sie auch | |
Gesamt-Torschützenkönig. Wieso haben Sie nur 23-mal von der | |
Sieben-Meter-Linie getroffen? | |
Wahrscheinlich gab es immer andere, die trickreicher waren und mehr | |
Varianten drauf hatten. Aber damit habe ich keine Probleme. | |
4 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Ralf Lorenzen | |
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