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# taz.de -- Abschied vom Friedensvertrag: Mekelle, eine Liebeserklärung
> Ein Portrait der Hauptstadt der äthiopischen Region Tigray, die
> Äthiopiens Armee jetzt eingenommen haben soll und über die ein
> News-Blackout herrscht.
Bild: Das alte Mekelle
In Äthiopien spitzt sich der [1][wochenlange Kampf zwischen der
Landesregierung und der Regierung der Region Tigray] weiter zu. Am Samstag
meldete Ministerpräsident Abiy Achmed, [2][dass Mekelle, die Haupstadt der
Region Tigray, von der Armee erobert sei.] Aus diesem Anlass
veröffentlichen wir hier das folgende Portrait der Stadt.
Lasst uns von Mekelle erzählen. Machen wir uns ein Bild von dieser Stadt,
ihrer gepflasterten kleinen Straßen im Schatten duftender blauer
Jacaranda-Bäume, der eher ländlichen Atmosphäre eines Ortes, der vor
dreißig Jahren nichts als eine Garnisonsstadt umgeben von Bauernsiedlungen
war. Mekelle ist ursprünglich eine Ebene, fruchtbar, offen, windig, umgeben
von sanften Bergen am östlichen Rand des Hochlands, dort wo das
festungsartige Gebirge und die zerklüfteten Täler des inneren Tigray auf
die Straßen zu den anderen Territorien Äthiopiens und zum Rest der Welt
treffen.
Zwei Schlösser aus dem späten 19. Jahrhundert zählt die Stadt, eines heute
eine staatliche Residenz mit verblichenem Charme, eines renoviert und
neuerdings für die Öffentlichkeit zugänglich, als Erinnerung an das
Schicksal dieses Ortes, der die territorialen Entitäten Tigrays
zusammenführte bevor er zum Sitz von Yohannes IV wurde, König der Könige,
einer jener Souveräne, der Äthiopien vereinigte und vor äußeren Angriffen
schützte – aus Ägypten, aus Italien, aus Sudan.
Die Tigrayer von heute sehen sich als die Erben jener Verantwortung zur
Landesverteidigung und sie verstehen nicht die allgemeine Feindseligkeit,
die man ihnen entgegenbringt. Sie haben nicht alle davon profitiert, dass
ihre Führungselite sich Posten auf Bundesebene und in den großen
Staatsbetrieben sicherte, und sie haben sich sogar vernachlässigt gefühlt
durch jene, die in den vergangenen drei Jahrzehnten in Addis Abeba
herrschten.
Wie überall in Äthiopien hat die Stadt ihr Gesicht rasch verändert. In
wenigen Jahren förderte der Wirtschaftsboom im Rahmen einer Politik der
Planung öffentliche Bauten: Universitätsgelände, Krankenhäuser, Flughafen,
Stadion. Die Stadt breitete sich aus, mittels breiter Hauptstraßen
flankiert von Glasfassaden bis zu den Vorstädten aus einfachen Häusern mit
Wellblechdächern.
Am Rande der Stadt, auf der dem Inneren Tigrays zugewandten Seite, feiert
eine große Betonsäule mit vier Pfeilern und einer goldenen Kugel an der
Spitze die Märtyrer der Befreiung, die gegen die nationalistische
militaristische Tyrannei von Mengistu Haile Mariam gekämpft hatten, die die
grausame Hungersnot von 1984 überlebt hatten, die den Sieg davontrugen,
indem sie sich mit anderen Völkern verbündeten, um ein neues föderales
politisches Projekt zu begründen. Es brauchte lange Zeit, es war
unvollkommen, ungleich, sogar diskriminierend, aber es bot neue
Mechanismen, um Äthiopiens tiefe regionale Ungleichgewichte zu korrigieren.
Mekelle ist nicht nur eine Stadt des historischen Gedächtnisses, es ist
auch eine Stadt der Sorglosigkeit, eine junge Stadt, getrieben vom Lärm der
allgegenwärtigen blau-weißen Rikschas. Es ist eine reinliche Stadt, wo
jeder Gehweg eine Terrasse ist, auf der kleine Hocker verstreut sind, um
einen äthiopischen Kaffee zu trinken, zubereitet in Terracotta. Der
öffentliche Raum ist frei, entspannt, nicht nonchalant aber dynamisch wie
die Jugend, die darauf hoffte, der ewigen Wiederkehr früheren kriegerischen
Eifers zu entkommen.
Und heute ist der Ausgang der Kämpfe um Mekelle unklar, aber sein Stolz ist
intakt.
[3][Eloi Ficquet] lehrt Geschichte und Ethnologie des Horns von Afrika an
der Pariser École des Hautes Études en Scienes Socales (EHESS). Dies ist
eine leicht gekürzte Fassung eines Textes vom 26. November 2020, der
ursprünglich in [4][Libération] erschienen ist, veröffentlicht mit
freundlicher Genehmigung des Autors. Übersetzung aus dem Französischen:
Dominic Johnson
29 Nov 2020
## LINKS
[1] /Kriegsfuehrer-in-Aethiopien/!5730336
[2] /Krieg-in-Aethiopien/!5732002
[3] https://www.ehess.fr/fr/personne/%C3%A9loi-ficquet
[4] https://www.liberation.fr/debats/2020/11/26/atmospheres-de-mekele-ville-eth…
## AUTOREN
Éloi Ficquet
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