# taz.de -- Krieg in Äthiopien: Befehl zum Angriff auf Mekelle | |
> Äthiopiens Premier Abiy Ahmed befiehlt die „Endphase“ seiner | |
> Militäroperation. Zivilisten flüchten aus Mekelle, Hauptstadt der Provinz | |
> Tigray. | |
Bild: Satellitenaufnahme von Mekelle vom 23.11.: lange Autoschlangen stehen vor… | |
In Äthiopien droht eine Schlacht um Mekelle, die 500.000 Einwohner zählende | |
Hauptstadt der nördlichen Region Tigray. Äthiopiens Ministerpräsident Abiy | |
Ahmed ordnete am Donnerstagmorgen [1][die „Endphase“ der laufenden | |
Militäroperation] an, mit der die äthiopische Armee als letzten Akt der | |
Eroberung Tigrays Mekelle einnehmen soll. | |
„Wir rufen die Bevölkerung von Mekelle und Umgebung dazu auf, die Waffen | |
niederzulegen, zu Hause zu bleiben, sich von militärischen Zielen | |
fernzuhalten und alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen“, erklärte Abiy. | |
Er bezeichnet den seit Tagen andauernden Vormarsch seiner Armee in der | |
Region als „Rechtsstaatsoperation“. [2][Die Regionalregierung von Tigray | |
befindet sich im Krieg mit der äthiopischen Zentralregierung]. | |
Über die angekündigte Offensive herrschte bis zuletzt Unklarheit. Bis | |
Donnerstagabend kam es zu keinem Vorstoß der Armee auf Mekelle, laut | |
Quellen vor Ort gab es auch noch keine Angriffe. Das äthiopische | |
Staatsfernsehen veröffentlichte allerdings eine Liste möglicher Ziele von | |
Raketenangriffen, darunter ein altes Kloster, ein Museum, Fabriken und | |
Hotels teils in dicht besiedelten Wohnvierteln. | |
Unbestätigten Informationen zufolge sind zahlreiche Zivilisten im Begriff, | |
Mekelle zu verlassen – nicht in Richtung der äthiopischen Armee, sondern | |
nach Osten in die Berge, hinter denen das Tigray-Hochland abrupt endet und | |
die heißen, unwirtlichen Tiefebenen der Region Afar beginnen. | |
## Für die Tigray-Führung geht es ums Überleben | |
Die Stadt Mekelle liegt in einem zerklüfteten Gebirge, und das Umland steht | |
nach wie vor unter Kontrolle der in Tigray herrschenden | |
Tigray-Volksbefreiungsfront (TPLF), die von Äthiopiens Zentralregierung als | |
„Junta“ und „kriminelle Clique“ bezeichnet wird. Am Sonntagabend hatte … | |
der Tigray-Regionalregierung eine 72-Stunden-Frist gegeben, bedingungslos | |
zu kapitulieren; die Bevölkerung Mekelles solle sich derweil von der | |
„Junta“ lösen. „Danach wird es keine Gnade geben“, erklärte der | |
Regierungschef. Ein TPLF-Sprecher hatte das Ultimatum zurückgewiesen und | |
gesagt, die Tigrayer würden sich verteidigen und seien zum Sterben bereit. | |
Für die Tigray-Führung geht es ums Überleben, vermutlich nicht nur | |
politisch. Bis 2018 dominierte die einstige Guerillabewegung TPLF | |
Äthiopiens Regierung – heute ringt sie um die Kontrolle ihrer Heimatregion. | |
Seit Abiy Ahmed 2018 als Vertreter der größten äthiopischen Volksgruppe der | |
Oromo Äthiopiens Ministerpräsident wurde, hat er seine einstigen | |
TPLF-Verbündeten immer weiter von der Macht verdrängt. | |
Als die TPLF-Regierung Tigrays im September eigenmächtig Regionalwahlen | |
organisierte, um sich zu behaupten, während die eigentlich für ganz | |
Äthiopien vorgesehenen Wahlen wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt waren, | |
kam es zum endgültigen Bruch. Am 4. November erklärte Abiy den Beginn einer | |
Militäroperation zur Rückgewinnung Tigrays. Regierungstruppen eroberten | |
große Teile der Region und rücken nun von Norden her auf Mekelle vor. | |
Übereinstimmenden Berichten zufolge gehen die Verluste an Soldaten auf | |
beiden Seiten in die Tausende. | |
Die äthiopische Armee wird von Eritrea sowie von Milizen der südlichen | |
Nachbarregion Amhara unterstützt, zwei Erzfeinden Tigrays. | |
Amhara-Publizisten hetzen scharf gegen die TPLF, die als Guerillabewegung | |
1991 der Amhara-Herrschaft in Äthiopien ein Ende gesetzt hatte und danach | |
lange das Staatswesen dominierte. In sozialen Netzwerken herrschte am | |
Donnerstag große Aufregung über ein Posting eines | |
Amhara-Universitätsprofessors, wonach man die TPLF schlagen müsse, egal zu | |
welchem Preis; die Bevölkerung Mekelles mache nur 0,46 Prozent der | |
äthiopischen Bevölkerung aus, „keine große Sache“. | |
## Streit um das Massaker von Mai-Kadra | |
Tigrays Regierung wirft Amhara-Milizen massive Verbrechen an der | |
Tigray-Bevölkerung vor. Umgekehrt hat Äthiopiens Menschenrechtskommission | |
diese Woche Tigray-Jugendmilizen für ein Massaker an mindestens 600 | |
Nicht-Tigrayern in der westtigrayischen Stadt Mai-Kadra am 9. November | |
verantwortlich gemacht, einen Tag bevor die Stadt an die äthiopische Armee | |
fiel. In Mai-Kadra haben Journalisten mit Überlebenden in Krankenhäusern | |
sprechen können, die diese Version bestätigen. Im Nachbarland Sudan | |
wiederum bezichtigen tigrayische Flüchtlinge gegenüber Journalisten die | |
einrückenden Amhara-Milizen – auf diese Berichte reagiert die äthiopische | |
Seite mit der Behauptung, die TPLF habe Agenten unter die Flüchtlinge | |
geschleust. | |
Der Streit [3][um das Massaker von Mai-Kadra] überschattet auch den | |
angekündigten Vormarsch auf Tigrays Hauptstadt. Ein äthiopischer | |
Militärsprecher behauptete, die TPLF werde in Mekelle die Gräueltaten von | |
Mai-Kadra wiederholen und dann der äthiopischen Seite zuordnen: | |
TPLF-Kämpfer würden in eritreische Armeeuniformen gesteckt, um dann als | |
angebliche Eritreer die Tigray-Bevölkerung Mekelles zu massakrieren. | |
Tigrayische Kommentatoren wiesen dies zurück und sahen diese Vorhersage als | |
Beweis, dass Äthiopiens Armee in Mekelle selbst Massaker plane. | |
26 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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