# taz.de -- Neuer Roman von Monika Maron: Der arme Artur! | |
> Monika Marons Neuveröffentlichung „Artur Lanz“ gilt dem Thema des Helden. | |
> Der ist in unseren postheroischen Zeiten längst verschwunden. | |
Bild: Ausschnitt aus dem „The Mystery of King Arthur“-Manuskript | |
Wo sind eigentlich die Helden? Wo die echten Männer? Ein Thema könnte kaum | |
größer sein; Großschriftstellerin Monika Maron widmet sich ihm in ihrem | |
neuen Roman, „Artur Lanz“. Vom Namensgeber des Romans erzählt Charlotte | |
Winter, ihres Zeichens Autorin, in dem für Maron-Bücher so markanten | |
sachlich-direkten (vulgo: männlichen?) Tonfall. | |
Charlotte Winter erhofft sich von Artur, dem sie bei einer Einkaufstour | |
zufällig begegnet, eine Geschichte. Artur entpuppt sich als Held. Er | |
„rettet“ nämlich seinen Hund aus einem Rapsfeld. Das nichtige Ereignis wird | |
für den zarten Artur, dem die Mutter im Namen gleich zwei Heldengestalten | |
zusammendichtete – eben Artus und Lancelot – zur Erweckung. Plötzlich weiß | |
er, wonach er sich schon immer gesehnt hat: nach Heldenmut. | |
Helden, gibt es sie noch? Oder anders: Warum glauben wir, auf sie | |
verzichten zu können? Diese Frage stellt sich Charlotte Winter auch im | |
Kreis ihrer intellektuellen Freunde. Rasch kommt die Rede auf die | |
sogenannte postheroische Gesellschaft. Weil die Autorin ihren Brecht | |
gelesen hat, lässt sie Ulrike, die dem Tischgespräch beiwohnt, die | |
bekannten Worte des Brecht’schen Galilei: „Unglücklich das Land, das Helden | |
nötig hat“, leise rezitieren. Das freilich bürstet Charlotte kurzerhand ab: | |
„Auf die defätistischen Bemerkungen der Frauen zu antworten, war sinnlos. | |
Die Männer fragten wenigstens.“ Okay. | |
Nun scheint eine Reflexion über die Frage, ob wir tatsächlich in einer | |
postheroischen Gesellschaft leben, die mit den Helden auch ihr Bedürfnis | |
nach Helden aufgegeben hat, obendrein aus der Hand einer vorzüglichen | |
Autorin, mehr als lesenswert. Allein, die Durchführung überzeugt nicht. | |
## Ritterlichkeit ist nicht Heldentum | |
Das liegt schon daran, dass von allen Helden ausgerechnet Artus und | |
Lancelot als prototypisch ausgewählt werden. Die Ambivalenz der Heldenfigur | |
wäre in einem Siegfried oder einem Hagen wohl sinnfälliger durchzuspielen | |
gewesen. Lancelot verkörpert das ritterliche Ideal, die hohe Minne, wobei | |
es sich um im hohen Maße stilisierte Formen der mittelalterlichen | |
hövescheit handelt, auf uns gekommen über die Vermittlung der höfischen | |
Literatur. | |
Als solche liefert sie zwar bedenkenswerte Beispiele von Formen der | |
Ritterlichkeit, die aber keineswegs mit dem Begriff des Helden in eins | |
gesetzt werden dürfen. Lancelot, Artus, Gawein sind ritterlich, nicht | |
heldenhaft. Sie sind Helden in dem Maße, wie auch Artur Lanz und Charlotte | |
Winter Helden einer Geschichte sind, Protagonisten also. | |
Natürlich kann man den Helden als rein mythische Figur in erdichteten | |
Stoffen betrachten; spannender aber erscheint der Held, der durch | |
Widerstand und Hingabe sich und andere opfert. Wer von uns wäre schon | |
bereit, sein Leben für eine (hoffentlich) gute Sache zu opfern? | |
Opferbereitschaft trägt nicht nur den Zug des Heroismus, sie hat auch ein | |
quasireligiöses Moment, das Charlotte gänzlich unterschlägt. Der Text | |
beleuchtet alle Aspekte des Heldentums, nicht aber seine christliche | |
Imprägnierung, die die mythische Qualität des Heros der alten Griechen | |
überlagert. | |
Ebenso vergisst der Roman, dass die Sehnsucht nach Helden heute überall | |
dort spürbar wird, wo der Held das Geschlecht wechselt und begeisterte | |
Massen moderne Heldinnen – kahl rasiert, mit geglättetem Schwarzhaar oder | |
Flechtzöpfen – für ihre Kampfbereitschaft loben. Allein, Charlotte mag | |
Heldentum nur in den Männern finden. | |
## Der Held ist die Ausnahmeerscheinung | |
Hier übrigens ergibt sich ein Widerspruch in sich: Es ist nämlich nicht | |
logisch, die Heldenthematik mit dem Verfall des Mannes zu überblenden. Der | |
Held war und ist das Ausnahmeereignis, nicht prototypisch, weder für Männer | |
noch für Frauen. | |
Der Erzählerin geht es nun offensichtlich darum, die Absage an den Helden, | |
den Verfall des Mannes, den Untergang des Abendlandes und das Abdriften in | |
die Ökodiktatur dem einen, wahren Schuldigen zuzuschreiben: den Frauen der | |
verweichlichten, verweiblichten Republik. | |
Charlotte ist ein Paradebeispiel dessen, was der Tiefenpsychologe Alfred | |
Adler mit dem Konzept des „männlichen Protests“ zu beschreiben suchte: das | |
Ergebnis von internalisierter Misogynie. Weiblichkeit wird mit einem Mangel | |
an Intelligenz und Tüchtigkeit assoziiert. Eine Frau wird im Rahmen des | |
männlichen Protests vermeintlich männliche Eigenschaften an sich ausbilden, | |
alles vermeintlich Weibliche ablehnen. | |
Charlotte, die doch große Sympathie für Artur empfindet, schüttet kaum | |
verhohlene Verachtung über den armen Mann aus, der tatsächlich das | |
israelische Selbstverteidigungssystem Krav Maga erlernen möchte, um fortan | |
heroische Heldentaten vollbringen zu können. Artur Lanz dient dem Roman als | |
das Sinnbild des beschnittenen, vom Feminismus verstümmelten Mannes, der | |
weder stark noch tüchtig ist. | |
## Facebook-Thesen, die in Figurenrede überführt werden | |
Ein wesentliches Unglück dieses Romans ist, dass eine Reihe von Thesen über | |
den [1][„Genderwahn“], wie man sie in unzähligen Artikeln, Facebook-Posts | |
und sonstigen Wortbeiträgen täglich lesen kann, in eine literarische Form | |
gegossen, in Figurenrede überführt werden. Den Männern, bis auf Artur, | |
fällt es zu, die Positionen Charlottes zu stützen. Auch die burschikosen | |
Frauen, wie Freundin Lady, die überhaupt nicht ladylike ist, widersprechen | |
Charlotte nur in Nebensächlichem. | |
Gänzlich schlecht aber kommen die anderen Frauen weg, die wahlweise als | |
überaffektiert oder hysterisch dargestellt werden. Allesamt sind sie, daran | |
lässt Charlotte keinen Zweifel, nicht halb so klug wie die Männer, die sie | |
kritisieren. Garstige „Weiber“ würden sich erdreisten, „die klügsten und | |
intelligentesten Männer“ zu beschimpfen. | |
Mehrfach verwendet die Erzählerin das Wort „Weib“, jeweils mit der | |
schnapsgeschwängerten Verachtung eines Charles Bukowski in die Buchseiten | |
gespuckt. Diese in einem einzigen Wort kulminierende Aburteilung der Frauen | |
begegnet einem realiter übrigens nicht selten aus dem Munde von Ostfrauen | |
der Generation 50+. Soziologisch recht spannend. | |
An dieser Stelle muss die Rezensentin, man lese es als Exkulpation, eine | |
biografische Notiz einfügen: Sie erlebte im zarten Frauenalter nämlich eine | |
wahrhaftige literarische Erweckung durch ein Monika-Maron-Buch, durch deren | |
melancholisch-schönes „Animal triste“ nämlich. Umso schmerzhafter also, n… | |
„Artur Lanz“ attestieren zu müssen, dass er misslungen ist. | |
## Der Roman misslingt, da er sein Thema verfehlt | |
Misslungen ist der Roman nicht, weil seine Erzählerin Charlotte Winter | |
durch und durch unsympathisch, ja herablassend ist – bei Bukowski | |
funktioniert es ja auch – oder weil der arme Artur Lanz als Abziehbildchen | |
vermeintlich verlorener Männlichkeit dienen muss, sondern weil der Text den | |
Heldentopos nicht in all seiner gegebenen Ambivalenz durchzuspielen vermag. | |
Weil es keine intelligente und eloquente Figur gibt, die das Heldenhafte zu | |
dekonstruieren vermag, eröffnet sich für den Leser kein Raum jenseits der | |
einseitigen Positionierung Charlottes, die sich nicht entblödet, die | |
Bedrohung der Freiheit im NS-Regime mit der Situation der Zeitgenossen zu | |
vergleichen. | |
Nur ganz selten wird sie, fernab der Politik, wahrhaft sympathisch: „Ich | |
hasste Jogger. Für mich waren sie das Sinnbild des unkommunikativen, | |
asozialen, rücksichtslosen, selbstbeschränkten und selbstoptimierenden | |
Zukunftsmenschen …“ | |
Das Nachdenken übers Heldentum kulminiert im Roman in jenem Punkt, an dem | |
Artur sich als wahrhaftiger Held, der für die Meinungsfreiheit einsteht, | |
erweisen muss. Ein Physikerkollege Arturs hatte die Umgestaltung der | |
Energieversorgung in Deutschland als Weg „ins Vierte Reich, ins Grüne | |
Reich“ bezeichnete. | |
## Die Freiheit der Andersdenkenden | |
Wenig überraschend kommt hier die zu Tode zitierte, Voltaire zugeschriebene | |
Aussage über die Freiheit des Andersdenkenden, für die es im Zweifelsfall | |
das Leben zu geben gelte. Man könnte meinen, Artur müsse um seinen Kopf | |
fürchten. | |
Antagonistin ist die junge Franziska Schwarz, die dem Roman als | |
prototypische feministische, im postkolonialen Denken geschulte | |
Denunziation, und, ja, Hexe dienen muss. Interessant: Sie darf nicht einmal | |
selbst sprechen, wird nur in den Stimmen der anderen wiedergegeben. Der | |
Roman lässt Artur noch am Ende seiner Heldenreise als unmännlich und | |
verweiblicht dastehen. Tragischer Held. Der arme Artur hätte es besser | |
verdient! | |
19 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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