Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Trauern in Hanau, feiern in München: Doppelte Standards in der Pan…
> Wer darf demonstrieren, wer sich wie auf den Straßen freuen? In der
> Corona-Pandemie ist Zusammenkunft im öffentlichen Raum umstrittener denn
> je.
Bild: Arm in Arm: Bayern-Fans nach dem Gewinn der Champions League auf der Stra…
Diese Pandemie hat alles zusammengeschweißt. Es wird fortwährend in
Echtzeit ausgehandelt, was okay ist und was nicht. Wer darf in die
Öffentlichkeit, wessen Anliegen ist es wert, gehört zu werden? Welche
Demonstrationen werden verteidigt, welche werden als überflüssig abgetan?
Ist es okay, wenn in München Menschen den Gewinn des Triples feiern,
[1][während in Hanau die Behörden die Gedenkdemonstration zu Ehren der
Opfer des rassistischen Anschlags untersagen?]
Vor einem Jahr hätten das eine und das andere nur am Rande miteinander zu
tun gehabt; selbstverständlich hätte es Stimmen gegeben, die Zusammenhänge
herstellen hätten können, aber sie wären ein Fall für ein interessantes
Stück im Feuilleton gewesen. Jetzt aber steht beides in unmittelbarer
Konkurrenz zueinander.
Es ist möglich, Gründe und Entschuldigungen zu finden, warum das eine okay
ist und das andere nicht. Bei den Black- Lives-Matter-Demonstrationen
trugen die Teilnehmenden in hohem Maße Masken, versuchten Abstand zu halten
und hatten ein menschenfreundliches Anliegen; das macht die Sache
unterstützenswert, auch weil wir dringend ein Bewusstsein dafür brauchen,
welche Zumutungen von Rassismus betroffene Personen in dieser Gesellschaft
erleben müssen, Tag für Tag.
## Vor allem Fragen
Hanau wäre eine Gelegenheit gewesen, diese Lebenswirklichkeit stärker ins
Bewusstsein zu holen. Währenddessen sind die Feierlichkeiten rund um den
Triple-Gewinn des FC Bayern nur so eine Art Luxus, Ausdruck eines
hedonistischen Eskapismus, dem angesichts der Pandemie jede Unschuld
abhandengekommen ist – oder ist es nicht vielmehr ein Ausdruck spontaner
Freude, die man desto entschuldbarer findet, je näher man sich dem Verein
fühlt? Und bleibt es dann nicht trotzdem dabei, dass auf der einen Seite
ein wichtiges zivilgesellschaftliches Anliegen steht – und auf der anderen
Seite nur Spaß an der Freude?
Die Rechnung „wichtig gegen unwichtig“ geht nicht auf, wenn man nach
Frankreich blickt. Auch dort ist gefeiert worden – allerdings in Marseille,
wo Anhänger des Clubs Olympique zu Tausenden die Niederlage des
geringgeschätzten Plastikclubs aus der geringgeschätzten Hauptstadt
zelebrierten. So bleibt Olympique auch der einzige französische Club, der
je Europas Topwettbewerb gewann. Und natürlich waren diese Feierlichkeiten
auch politisch – die Provinz, die sich gegen die Zentralmacht aus der
Hauptstadt behauptet, die sich und ihre Identität verteidigt; obendrein die
Tatsache, dass es viele junge Menschen auch aus den Banlieues waren, die
den Anlass ergriffen zu zeigen, dass sie da sind, dass es sie gibt.
In Paris hingegen ist es zu Riots gekommen, Autos brannten, Geschäfte
wurden angegriffen. 148 Festnahmen vermeldete die Polizei. Es ist zu
einfach, das schlicht als Vandalismus aus Enttäuschung über ein verlorenes
Finale abzutun: Riots sind in Frankreich seit den 80ern ein zentrales
Moment im Kampf gegen den institutionellen Rassismus. Und sie sind
natürlich nur deswegen wirksam, weil sie sich über die Vorgaben des Staates
hinwegsetzen.
## Behörden sind Partei
Dass der Staat manchmal gerne wegsieht und manchmal nicht, ist ganz gut in
Hamburg zu beobachten gewesen: [2][Der Gedenkmarsch für die Opfer von Hanau
wurde von der Polizei gestoppt,] weil mehr als 500 Teilnehmende da waren.
Am 15. August hatte man noch fröhlich tausend Rechtsextreme und
Coronaleugner:innen demonstrieren lassen. Das sind die Doppelstandards, die
daran zweifeln lassen, dass der Staat eine neutrale Position einnimmt; das
sind die Ungerechtigkeiten, die zeigen, dass die Behörden Partei sind.
So, wie diese Pandemie viele Themen zusammenschweißt, die früher getrennt
voneinander verhandelt worden sind, so zeigen sich jetzt noch stärker die
Gegensätze. Shit is real. Gerade weil im Moment offenbar nichts die
Fähigkeit schlägt, möglichst laut und kompromisslos zu sein: Es kennen sehr
viel mehr Menschen den Namen Attila Hildmann als den eines der Opfer des
Hanauer Anschlags.
24 Aug 2020
## LINKS
[1] /Gedenkveranstaltung-in-Hanau/!5708999
[2] /Hanau-Gedenken-in-Hamburg/!5703263
## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Champions League
Schwerpunkt Coronavirus
Champions League
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Maskenpflicht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bayern München gewinnt Champions League: Der 11. Sieg in Folge
Fans feiern in München den Sieg im Champions-League-Finale. Ausschreitungen
in Paris. Coman erzielt Siegtreffer per Kopf.
Absage der Hanau-Gedenkveranstaltung: Symbolisch fatal
Schwer zu ertragende Gleichzeitigkeit: Das Gedenken in Hanau war stark
eingeschränkt. Direkt nebenan herrschte aber dichtes Markttreiben.
Bußgeld-Pläne bei Maskenpflichtverstoß: Es muss richtig teuer sein
Womöglich bescheren Bußgelder den Coronaleugner*innen noch mehr Zulauf. Das
muss man in Kauf nehmen: Ihre Reihen würden wohl auch sonst weiter wachsen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.