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# taz.de -- Opposition in Russland: Dreieinhalb Jahre Haft
> Ein Menschenrechtler ist in Russland wegen sexuellen Missbrauchs
> verurteilt worden. Doch es dürfte um seine Forschung über Stalin-Opfer
> gehen.
Bild: Juri Dmitrijew im Jahr 2018
Moskau taz | Ein Gericht in Petrosawodsk hat am Mittwoch den russischen
Historiker und [1][Menschenrechtler Juri Dmitrijew] zu dreieinhalb Jahren
Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen angeblichen sexuellen
Missbrauchs seiner Adoptivtochter 15 Jahre Gefängnis gefordert.
Mit dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug bleibt der Staat weit unter der
ursprünglichen Forderung, Dmitrijew dürfte bereits im Herbst auf freiem Fuß
sein. Dennoch gilt der Historiker als vorbestraft, auch wenn er die
Strafkolonie demnächst verlassen kann. Darauf kam es an.
Bereits vor zwei Jahren hatte der 64-Jährige wegen des Vorwurfs sexuellen
Missbrauchs vor Gericht gestanden. Im ersten Verfahren sprach die Richterin
Dmitrijew frei. Mehrere unabhängige Gutachter bestätigten, dass die Fotos
aus Dmitrijews Computer keinen pornografischen Charakter trügen. Sie
sollten den gesundheitlichen Zustand des Mädchens vor dem Jugendamt
dokumentieren. Wie seine Tochter war auch Dmitrijew als Heimkind
aufgewachsen.
Einige Ungereimtheiten folgten dem Freispruch. So schied die Richterin
endgültig aus dem Justizdienst aus. Sie wurde nicht mehr an ein höheres
Gericht berufen, wie es ursprünglich vereinbart worden war. Auch die
Staatsanwältin verließ den Dienst und wechselte in die Privatwirtschaft.
## Freispruch aufgehoben
Der Ermittler, der in Dmitrijews Wohnung heimlich eingedrungen war und
die Fotos heruntergeladen hatte, wurde danach weder ermittelt noch
namentlich genannt. Auch dies entspricht nicht der üblichen
Ermittlungspraxis.
Kurz nach der Verhandlung 2018 wurde der Freispruch von einer höheren
Instanz aufgehoben und ein neues Verfahren eröffnet. Denn für Russland war
dies ein ungewöhnlicher Fall, da ein Verdächtiger in 99 Prozent der Fälle
auch verurteilt wird. Wen sie in den Fängen hat, lässt die Justiz
gewöhnlich nicht mehr los. Die Justiz spricht selten Recht, sie richtet
eher.
Für Memorial ist der Angeklagte [2][ein politisch Verfolgter]. Niemand
glaube den Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft, hieß es bei der
Menschenrechtsorganisation. Ähnlich sieht es auch die US-Organisation Human
Rights Watch, die hinter dem Vorgehen gegen den Historiker russische
Behörden vermutet, die die Verbrechen der Stalin-Zeit möglichst übergehen
möchten. Die Behörden, allen voran der Geheimdienst FSB, würde einen
Freispruch als Verstoß gegen Russlands staatliche Interessen werten.
Seit fast 30 Jahren spürte Dmitrijew den Opfern der Stalin-Zeit nach. Dabei
entdeckte er Sandarmoch – ein Waldstück im Norden Kareliens, wo zwischen
1937 und 1938 an die 10.000 Menschen erschossen wurden. Er halte es für
seine Pflicht, an „jene Menschen zu erinnern, die durch den Willen der
Anführer unseres Staats starben“, sagte Dmitrijew vor Gericht. Dennoch
kann der Staat dieses Urteil für sich als Sieg verbuchen. Den Sieg einer
menschenverachtenden Bürokratie.
22 Jul 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Juri Dmitrijew
russische Justiz
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