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# taz.de -- Überschwemmungen in Indien: „Dämme bauen reicht nicht“
> Starke Fluten zur Regenzeit sind in Indien normal geworden. Der
> Sozialwissenschaftler Mirza Zulfiqur Rahman kritisiert: Die Regierung
> reagiert falsch.
Bild: Von der Flut betroffene Menschen suchen Schutz entlang des Flusses Brahma…
taz: Herr Rahman, nach Regierungsangaben sind in Indien dieses Jahr bisher
868 Menschen aufgrund von Überschwemmungen gestorben. Besonders der
Bundesstaat Assam ist stark betroffen. Sind Fluten mittlerweile zur
Normalität in der Regenzeit geworden?
Mirza Zulfiqur Rahman: Erneut wurden [1][große Teile Assams geflutet], als
der Fluss Brahmaputra über die Ufer getreten ist. Mehrere Millionen
Menschen sind betroffen. Auch wenn die Lage sich nun bessert, bleiben die
Folgen. In diesem Jahr kommt die Pandemie dazu. Die Fluten werden jedes
Jahr stärker, sie treten nun zu unterschiedlichen Zeiten auf.
Was hat sich verändert?
Einst wurde die natürliche Bewässerung der Felder mit reichhaltigem Schlamm
in den Flutgebieten Assams begrüßt. Man wusste, wann das Wasser kommt und
wann es geht. Man kannte den Rhythmus und den Puls des Flusses. Das änderte
sich nach dem Assam-Tibet-Erdbeben 1950.
Wie regierte die Politik darauf?
Um die Schäden zu begrenzen, wurden Dämme gebaut. Doch die
geomorphologischen Veränderungen durch das Ebnen und die Dämme haben einen
Hochwasserzyklus ausgelöst. Seit 1955 wurden so viele Deiche gebaut, dass
sich die gesamte Geografie Assams verändert hat. Das Flussbett stieg an,
und dicht besiedelte Gebiete gerieten in den Hochwassereinzug. Ein Anreiz
für den Bau ist sicher auch, dass sich mit solchen Großprojekten Geld
machen lässt.
Es wurde also mehr gebaut als nötig?
Indien steht in dieser Region unter Handlungsdruck, da die Lage mit unserem
flussaufwärts gelegenen Nachbarn China, wo der Brahmaputra seinen Ursprung
hat, seit jeher angespannt ist. Infrastrukturprojekte wie Deiche oder
Staudämme werden aus verschiedenen Gründen gefördert. Vor allem sind sie
aber beliebt bei Investitionen.
Warum?
Man kann darauf spekulieren, dass die meisten Eingriffe in den Fluss ohne
ordnungsgemäße wissenschaftliche Studien und ohne Sozial- und
Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgenommen werden. Die Projekte werden
hochgehalten, da sie Arbeitsplätze schaffen und man Strom erzeugen kann.
Die Kehrseite ist, dass sie wohl in großem Umfang ökologische Schäden
verursachen.
Das heißt, die Rücksicht der Politik fehlt?
Die ersten Dämme wurden kurz nach der Unabhängigkeit Indiens gebaut. Zu
dieser Zeit fehlte es an Ressourcen und politischer Aufmerksamkeit. Es ging
darum, Öl- und Teefelder zu schützen. Das größte Problem ist, dass die
Regierung ihre eigene Art von „Entwicklung“ vorantreibt, was sich aber
nicht mit den Bedürfnissen der Bevölkerung deckt. Sie werden weiterhin aus
dem Diskurs ausgeschlossen.
Wenn es vor allem um Profit geht, warum wählt die Bevölkerung die Regierung
nicht ab?
Es gab einen Regierungswechsel, aber dieselben Personen, die in der
vorherigen Regierung an der Macht waren, sind es wieder. Die haben die
Partei gewechselt.
Große Wasserkraftprojekte werden allerdings seit 2008 von lokalen Gemeinden
abgelehnt, sodass der Bau nur langsam vorankommt. Es gibt viele Pläne,
durch öffentliche Proteste zögern die Unternehmen aber gerade mit ihren
Investitionen.
Was könnte helfen, um die Flutlage besser unter Kontrolle zu bekommen?
Keine Lösung wird über Nacht greifen. Wir könnten aber die vorhandenen
Informationen über Fluten besser auswerten, um die Lebensbedingungen der
betroffenen Menschen würdig zu gestalten und Frühwarnsysteme zu etablieren.
Da könnte Indien beispielsweise [2][von Bangladesch] lernen. Langfristig
braucht es eine Beteiligung aller Länder, die sich im Wassereinzugsgebiet
des Brahmaputra befinden – von China über Bhutan bis Bangladesch.
Warum hört man so wenig über die ökologischen Probleme in Assam?
Weder der Brahmaputra noch Assam stehen im Fokus. Manchmal hat man das
Gefühl, dass kleine Konflikte stillschweigend am Leben erhalten werden,
weil sie davon ablenken, wie hier Ressourcen ausgebeutet werden. Ansätze
für nachhaltige Entwicklung werden vernachlässigt.
19 Aug 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Indien
Überschwemmung
Assam
Indien
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Kerala
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